Suche Wohnung für den gewissen Dreh

Von Paul Stänner |
"Wohnung, hell, mit Blick auf See" steht in der Regieanweisung, und die wird nun gesucht. Sogenannte Locationscouts in Berlin und Umgebung suchen Drehorte für TV- und Film-Aufnahmen.
Das können Konferenzräume sein, Arztpraxen, Millionärsvillen oder ganz normale, ungestylte Wohnungen des Durchschnittsbürgers. Die Wohnungen werden weitestgehend so genutzt, wie sie gesucht wurden, sonst hätte man sich ja auch was bauen können. Gelegentlich werden sie auch den Erfordernissen angepasst und umgeräumt, dann wird zuvor alles fotografiert und hinterher so wieder hergerichtet wie vorgefunden. Manchmal wird sogar umgestrichen, und es kommt durchaus vor, dass die Wohnungseigentümer am Ende die Wohnung so behalten, wie sie im Fernsehen gezeigt wurde. Wer sind die Leute, die solche Wohnungen suchen? Und wer sind die Leute, die ihre Wohnungen vermieten, um sie später im Fernsehen zu sehen, als Leichenfundort im Krimi oder als Liebesnest in einer Romanze?
Anna Schmitz*): "Wir sind in Kreuzberg, in der Ritterstraße in einem Straßencafé, und haben gleich unseren ersten Jobtermin für heute und zwar gucken wir uns an ..."
Die eine verliert schnell die Orientierung, die andere kann sich keine Namen merken, aber zusammen bilden sie ein erfolgreiches Team. Anna Schmitz und Maria Fischer*) sind Locations Scouts in Berlin. Ihre Aufgabe besteht darin, für Fernseh- und Film-Aufnahmen Drehorte auszusuchen.
Schmitz: "Also das Projekt ist eine Verfilmung, Kinoverfilmung eines Buches. Und gedreht wird über vier Jahrzehnte, eine große Herausforderung für uns und wir fangen jetzt erst man an, uns eine Möglichkeit für die Wohnung des Protagonisten, des Hauptdarstellers, anzuschauen."
Je mehr bestehende Räume man finden kann, desto weniger muss an Kulissen gebaut werden. Das ist einerseits eine Kostenfrage, ist aber andererseits auch eine Frage der Filmwahrheit: Je authentischer ein Ort, desto glaubwürdiger erscheint die Geschichte, die der Film erzählt. Location Scouts suchen Wohnungen, Konferenzräume, Arztpraxen, Millionärsvillen oder die ganz normalen, ungestylten Wohnungen des Durchschnittsbürgers. "Ich hab aber nicht aufgeräumt", ist der Satz, den sie am häufigsten hören.
Schmitz: "Die Vorgaben für die Wohnung sind, wie das so oft ist, am Anfang von Projekten gar nicht so klar, weil der Regisseur selbst sich erst noch ein Bild macht und gerne verschiedene Vorschläge haben möchte, um stärker zu definieren, genauer zu spüren, in welche Richtung es geht."
"Was wir uns jetzt angucken, ist eine Kirche, gebaut von Düttmann 1964 und da unser Protagonist als junger Mann in den 60er Jahren und 70er Jahren in Berlin lebt, dachten wir, dass das eine interessante Möglichkeit ist, ev. eine ganz ungewöhnliche Architektur zu haben, weil die Architektur stimmt schon und wie die Wohnung aufgeteilt ist, werden wir gleich sehen ..."
Die Kirche ist ein aschgrauer, abweisenden Sichtbetonbehälter, der durchaus auch für militärische Zwecke gedacht sein könnte.
Im Treppenaufgang zur der ehemaliger Pfarrerswohnung steht der immer etwas spirituell-modrige Geruch, der Kirchen seit Jahrhunderten anhaftet - egal ob es sich um einen frühen Baumeister Balthasar Neumann handelt oder einen später Baudirektor Werner Düttmann.
Kipp: "So, dann wollen wir euch mal zeigen, wo ihr drehen könnt. Ihr habt viele Innenmotive hier, vor allen Dingen könnte ihr von draußen nach drinnen drehen, und ihr könnt Schienen bauen, könnt die Schauspieler gut abholen und was ihr nachher noch seht, ihr habt vier Eingänge hier in der Hütte."
Uwe Kipp ist ein kräftiger Mann Ende 30, kahlköpfig, untersetzt, mit fassartigem Brustkorb. Er hat die frühere Wohnung des katholischen Pfarrers und seiner unmittelbaren Gefolgschaft – also Kaplan, Haushälterin usw. – gemietet. Die Wohnung hängt voller Kunst in vorwiegend gedeckten Farben. Die Kirche gehört heute einer freikirchlichen Vereinigung und dient zu Gottesdienstübertragungen im Berliner und Hamburger Regionalfernsehen.
Kipp: "Also, es ist ziemlich groß hier, ihr seht das noch, wir gehen noch auf die andere Seite rüber, aber hier ist eben schön, dass ihr eine Dachterrasse habt und dass ihr eben – ihr könnt auch hier von draußen reinfilmen, und ... "
Schmitz: "Toll, diese Oberlichte sind schön, wie groß ist das hier?"
Kipp: "Also jede Etage von der Pfarrbrücke hat dreihundert Quadratmeter und unten ist ein Apartment und hier oben hab ich Gästezimmer eingerichtet."
Die Wohnung liegt als sogenannte Pfarrbrücke zwischen Kirche und Gemeindesaal, bzw. Kindergarten. Die Räume sind nach der Architektur der 70er Jahren nicht allzu hoch, aber hell, obwohl die Fenster wie Lichtbänder in der oberen Wandhälfte angebracht sind. Verlockend sind die bodentiefen Fenster und Türen, die auf Terrassen und Balkone hinausführen. Sie spiegeln in Größe und Attraktivität die damalige Amtshierarchie der katholischen Kirche wider, d.h. der Pfarrer hatte die größte Terrasse, nachrangige Geistliche oder Laien entsprechend kleinere.
Schmitz: "Das wäre sozusagen das Wohnzimmer ..."
Kipp: "Eines Künstlers, sicherlich nicht eines Finanzbeamten."
Schmitz: "... für unseren Protagonisten. Es ist ohnehin so, wir würden das leer übernehmen, also wir würden das neu möblieren, weil das spielt in einer anderen Zeit, das spielt in den 70er Jahren, bzw. 80er Jahren und dann müsste man die Möblierung daraufhin abstimmen. Das wäre denkbar für sie?"
Kipp: "Aber ihr baut rück?"
Schmitz: "Natürlich, ja. Also das wäre für sie auch denkbar, ja?"
Kipp: "Kein Problem!"
Schmitz: "Dann würde ich sagen machen wir ein paar Fotos ..."
Anna Schmitz und Maria Fischer sind aufeinander eingespielt. Beide halten sie kleine Elektronikkameras in Händen. Während die eine die Räume fotografiert, verwickelt die andere den Wohnungsinhaber in ein Gespräch und verhindert, dass er aufgeregt durchs Bild läuft. Eine erste Bewertung findet statt, wie diese Wohnung zu dem Filmprojekt passen könnte.
Fischer: "Auf jeden Fall die Architektur, das ist was ganz Besonderes und vor allen Dingen auch diese Durchblicke, also dass es nicht nur einen Flur hat mit einzelnen Räumen, die abgehen, dass ist immer ein bisschen schwer zu filmen, sondern dass man durchgehen kann und Durchblicke hat zur Terrasse, von der Terrasse wieder rein in dieses Zimmer, dann ins Wohnzimmer, das kann man im Film sehr schön rüberbringen, und außen/innen ist eine spannende Kombination."
Herr Kipp gibt übertrieben aufdringliche Kommentare über die Filmtauglichkeit seiner Liegenschaften ab, so, als hätten die beiden Scouts überhaupt keine Ahnung. Die tragen das mit Fassung. Herr Kipp betreibt noch eine Galerie, eine Trauergalerie, neudeutsch grieve-gallery, und ist im Internet zu finden. Dort kann man Künstler finden, die die ganz private Form der Totentrauer künstlerisch gestalten.
"Wir sagen, ihr macht eine ganz normale Beerdigung auf dem Friedhof, und ihr macht noch mal eine Beerdigung, nämlich in eurem Zuhause. In eurem Garten, unter der Eiche, wo es euch am liebsten gefallen hat. Wo man sagt, hey!, da fühlt er sich wohl, da möchte ich gern begleitend um ihn trauern und da hab ich keine Vorschriften, in meinem Garten kann ich sagen, was ich möchte und ich möchte gern, dass das zwei Meter groß ist und dass das kackenpink ist und ich möchte gern, dass das akustische Signale hat ..."
Man hat genug gesehen, man geht. Nur Frau Fischer läuft noch mal zurück und holt ihre Sonnenbrille und die vergessene Handtasche.
Anna Schmitz und Maria Fischer sind ungefähr Mitte dreißig. Die eine eher etwas größer, die andere eher etwas kleiner, ähneln sie berühmten Paaren der Filmgeschichte. Anna Schmitz hat in Berlin zunächst Soziologie studiert, was sehr viel mit Arbeiten am Computer und Statistiken zu tun hatte.
Schmitz: "Ich hab einen Artikel gelesen, das war zu einer Zeit, wo ich noch meine Abschlussarbeit in Soziologie geschrieben hab an der Humboldt Universität und da nicht so ganz zufrieden damit war und hab diesen Artikel gelesen über das Berufsfeld Location Souting, was damals eine Novität war, und ich hab beim Lesen spontan gemerkt, das ist etwas, was mich total interessieren würde, was mich reizen würde und worauf ich große Lust hätte und dachte, das möchte ich machen."
Daneben begann sie eine zweite Ausbildung als Fotografin, während der sie Maria Fischer kennen lernte.
Fischer: "Wir haben also künstlerische Projekte zusammen verfolgt, haben dabei gemerkt, dass wir sehr gut zusammen arbeiten und dann hat sich ergeben, - also ich hab Anna gefragt, ob sie sich das so vorstellen könnte zu zweit, und seitdem arbeiten wir auch als Location Scouts zusammen, nicht nur als Fotografinnen."
Unbestreitbar ziehen die beiden große Vorteile daraus, dass die Wohnungsinhaber dem geballten Charme zweier junger Frauen gegenüberstehen. Zwei Männer im selben Alter hätten wohl eher Probleme, sich nur durch Freundlichkeit Zutritt zu fremden Wohnungen zu verschaffen.
Schmitz: "Na, vielleicht machen Sie mal eine Ausnahme."
Hagemann: "Nein!"
Eine Ausnahme machen – schlechter Vorschlag. Zwei Location Scouts und zwei Vertreter der Presseabteilung der Messehallen unter dem Berliner Funkturm. Die Leiterin, Frau Hagemann, hat offenkundig die feste Absicht, keine Außergewöhnlichkeiten zu dulden und erst recht keine Ausnahmen.
Schmitz: "Puh, das braucht jetzt ein großes Vorstellungsvermögen, ob man hier einen Gerichtssaal einbauen kann, nicht?"
Gesucht wird für die Verfilmung ein Gerichtssaal – oder ein Saal, den man als Gerichtssaal herrichten könnte. Eine Messehalle wäre eine Möglichkeit. Die Halle ist gerichtssaaltauglich groß. Der Fußboden ist grau mit quadratischen Holzplatten als Zugang für die Infrastruktur im Hallenboden. Unter der Decke hängt modernste Belüftungstechnik, die aber frei liegt und nur dürftig durch schwarze Farbe kaschiert wurde. Ein Mann fegt hingebungsvoll den Hallenboden und ist stark irritiert, dass er jetzt dabei beobachtet wird. Das Problem bei der Halle sind die Türen, die so gar nicht nach Gerichtssaal aussehen,
Schmitz: "Was gut ist, sind diese Wandelemente, diese hervorstehenden, geraden, der Boden, da müsste man was tun, mit der Decke müsste man was tun, mit den Türen – die Türen gehen natürlich nicht für einen Gerichtssaal, da müsste man was vorbauen und puh ..."
Die Scouts brauchen gute Schuhe und eine hohe Frustrationstoleranz. Man sieht etwas, das könnte es sein, oder auch nicht, vielleicht nicht ganz - und das geht gar nicht. Aber dann, auf dem Weg durch den Innenhof des Messegeländes, springt ein Gebäude ins Auge, ein länglicher Riegel mit einem runden Abschluss wie ein überdimensionaler Tennisschläger. Das Gebäude ist gebaut in der wunderbar leichten, von großen Fenstern und minimalen Streben geprägten Architektur der 50er Jahre. Frau Schmitz und Frau Fischer werden hochaufmerksam, dies könnte ein Bahnhof werden.
Schmitz: "Dieses Rondell hier, was eigentlich draußen dranhängt, was ist da drinnen, hier, diese Rundung mit den Vorhängen."
Hagemann: "Das gehört auch zu den Werkstätten."
Die Werkstätten der Ausstellungshallen unter dem Funkturm sind tabu. Frau Hagemann von der Messe Berlin duldet keine Ausnahme, das Nein! klingt sehr final. Nun hat Frau Schmitz aber dieses Rondell entdeckt und wird erst recht aufmerksam. Sie würde da wirklich gerne rein, aber Frau Hagemann ist entschlossen, die Unbetretbarkeit der Werkstätten zu verteidigen, ungeachtet ihrer architektonisch wertvollen Fassade. Frau Schmitz ist nicht zufrieden.
Schmitz: "Können wir da sicher nicht rein?"
Das Nein bleibt ein Nein. Frau Schmitz schiebt die Unterlippe vor, ein "Nein" ist nicht das, was sie für eine zufriedenstellende Antwort hält.
Schmitz: "Ich würde nicht so hartnäckig sein normalerweise, aber es geht um einen großen Kinofilm. Und das ist einfach ein sehr, sehr schönes, sehr besonderes Projekt, wo wir auch nicht so viel Möglichkeiten haben zu Filmen, weil einfach aus der Zeit in Berlin nicht so viel ist und insofern wäre das wirklich sehr schön, wenn man zumindest darüber sprechen könnte oder zumindest ja auch gucken könnte, ob es eine Möglichkeit wäre, weil wir eigentlich nichts unversucht lassen wollen, was in die richtige Richtung geht und dieses hier geht sehr in die richtige Richtung von außen."
Hagemann: "Also das müsst ich wirklich prüfen lassen, d.h. sie müssten mir bitte eine Mail schicken, was sie machen möchten und wo sie hinmöchten – aber mit den Werkstätten, das geht nicht."
Schmitz: "Hmm - aber diese Außenrundung."
Hagemann: "Das gehört dazu."
Schmitz: "Aber vielleicht könnte man das temporär auslagern, könnte man drüber sprechen?"
Hagemann: "Darüber sprechen, ich wird mich erkundigen, gerne."
Schmitz: "Okay, gut, super!"
Schmitz: "... weil ich das Gefühl hatte, ich kann durch diese Tätigkeit überall, egal wo, egal in welchem Milieu, egal ob arm oder reich, alles sehen - überall eine Berechtigung zu haben, einzusteigen, also überall legitim mir Orte angucken und das war die Hauptmotivation zu sagen, ich will das machen."
In gut erzogenen Kreisen gilt diese Form von Neugierde, diese Lust, in anderer Leute Privatleben umherzuschauen, als ein Charakterdefizit. Dafür muss man sich rechtfertigen.
Schmitz: "Das muss so nicht sein, es ist klar, es hat was mit Neugierde zu tun, auf jeden Fall hat es mit Neugierde zu tun, es ist eine ganz menschliche, denk ich, Grundeigenschaft, die uns alle betrifft, die wir alle haben."
Fischer: "Ich denke, es ist auch dieser fotographische Ansatz, den wir auch beide haben. Auch als Fotografinnen haben wir halt gemerkt bei diesen Projekten, wir sind sehr interessiert an Orten, wir schauen die ganze Zeit, uns fallen Dinge auf, da möchten wir noch mal hingehen, insofern ergänzen sich diese zwei Bereiche auch wunderbar und es hat viel mit diesem fotographischen Moment zu tun. Also, jetzt weniger voyeuristisch irgendwelche Geheimnisse bloßlegen oder auch diese Neugierde, das Bild auch zu machen von dem Ort, den man selber toll findet. Es ist ja auch immer eine positive Begeisterung dem Ort gegenüber, nicht irgendwas, wo wir irgendwie jemanden oder den Ort bloßstellen wollen oder so sondern, wir finden ja Orte und schlagen Orte vor, von denen wir selber angetan sind, die uns positiv ins Auge fallen."
Aus diesem Zusammenspiel, aus der Begeisterung für Orte und Räume, ist dann Schauplatz: Berlin entstanden, ein Fotobuch, in dem Anna Schmitz und Maria Fischer eine Auswahl aus Hunderten Aufnahmen von möglichen, tatsächlichen und denkbaren Drehorten zusammengestellt haben.
Während Frau Fischer einem amerikanischen Touristen, der mit dreiteiligem, weißem Anzug, weißem Strohhut und braunen Halbschuhen aussieht, als sei er dem Hollywoodfilm über Truman Capote entsprungen, hilft, sich im Stadtplan zurechtzufinden, mustert Frau Schmitz das Bankhaus. Es ist ein repräsentatives Gebäude aus dem 19. Jahrhundert mit einer Fassade aus dunkelrotem Sandstein, eingeklemmt zwischen zwei nichtssagenden Plattenbauten. Der Eingang ist nischenartig geformt wie der Zugang zu einer kleinen Kirche oder einem antiken Tempel. Eine Tafel aus schwarzem Marmor weißt auf die Luisenstädtische Bank hin, die hier ihre Geschäftsräume hat, bzw. hatte. Die Nische ist durch ein Gitter verschlossen, die Bank macht ihre Geschäfte jetzt anderswo. Über der Bank im Erdgeschoss schien eine Wohnung groß, repräsentativ, gut beleuchtet und als Büro für ihren Filmhelden tauglich zu sein. Der Eingang befindet sich auf der Rückseite des Gebäudes, hier dachte die Bank wirklich nicht mehr an repräsentative Pracht.
Schmitz: "So erste Etage, klingelt du? Wohnen zwei Leute."
Abromeit: "Ja bitte."
Fischer: "Mein Name ist Fischer. Ich bin auf Drehortsuche."
Abromeit: "Dann kommen Sie doch mal rauf ..."
Herr Abromeit und seine Lebensgefährtin sind unvorbereitet, aber einladend. Auf dem Esstisch steht noch das Frühstück, die Teekanne und der Brotkorb.
Schmitz: "Große, offene Küche."
Arbomeit: "Das ist die Wohnung, die jetzt schon richtig durchsaniert wurde im Hause."
Tür zum Alkoven ist geöffnet. Dort ist das Fenster geöffnet, es zieht ein wenig, bald wird ein Kalender von der Wand geweht.
Abromeit: "Und das so ist eigentlich hier so in dem Straßenzug das, wo man das Original noch so erahnen kann. Deswegen wird hier auch ganz gerne gedreht. Wir haben hier auch schon 'n Banküberfall und alles gehabt, wie hieß diese andere Serie, die sie drüben gedreht haben 'Unter Köchen?' Nee - Gelächter – dieses Restaurantdrama, das wurde auch drüber dann – die Eckkneipe ... also ist schon eine sehr beliebte Ecke hier geworden."
Die Zusage, die beiden Frauen in die Wohnung zu lassen, kam schnell und ohne Zögern. Was man so nicht erwartet hätte, man denkt, die Leute müssten viel reservierter sein, wenn Fremde in die Wohnung wollen. Aber nein ...
Abromeit: "Wir hatten schon mal jemanden hier, die die Karte dagelassen hatte und da hab ich schon mal überlegt, man kann sich ja zumindestens erkundigen. Ich weiß, dass es in jedem Fall auch ein bisschen in Stress ausarten kann, aber dann muss man sich das halt vorher überlegen, möchte man das wirklich. Man kann ja immer noch Nein sagen, ist ja ein gegenseitiger Vertrag, nicht, dass sie jetzt mit einem Hellebardenkommando hier reinkommen und alles übernehmen, und als sie dann sagten: Wir suchen einen Drehort, dachte ich ja gut, reinlassen kann man sie ja mal."
Der Vorteil für die Scouts ist, dass in Berlin fast täglich irgendwo gedreht wird. Eigentlich jeder Berliner hat schon einmal Dreharbeiten in seiner Nachbarschaft beobachtet oder er ist an einer Straßensperre hängen geblieben und hat sich gefragt, wer beim Film eigentlich arbeitet, wo doch so viele rumstehen. Von daher kommt eine Anfrage von Filmleuten nicht mehr überraschend.
Schmitz: "Ich würd sagen, 80 Prozent sagen Ja, und 20 sagen: Nö, bei uns nicht – unsere Wohnung ist nicht so toll oder wir wollen es nicht. Aber 80 Prozent lassen uns schon rein."
Seine Wohnung für Filmarbeiten zur Verfügung zu stellen, bringt einerseits Geld, andererseits aber auch Durcheinander. Womöglich wird alles ausgeräumt und umdekoriert. Oder die weiße Wand wird neu gestrichen, weil sie für die Kamera zu hell ist. Am Ende wird natürlich alles wieder so hergerichtet, wie es vorher war, aber ein Durcheinander war es doch gewesen. Das will für den Vermieter überlegt sein, sagt Herr Arbomeit.
Arbomeit: "Das wäre dann der Punkt, über den man sich unterhalten müsste, wie viel da geschoben wird und was dann hinterher alles wieder zusammengeschraubt werden muss. Ansonsten ist vielleicht auch mal die Gelegenheit, sich von alten Dingen zu trennen, die sonst immer im Weg rumstanden. Hab ich nicht so das riesige Problem mit. Wäre einfach, dass es vom Aufwand und von der Zeit her passt."
Wieder ist die Wohnung interessant, aber eben nicht ganz so, wie sie gebraucht wird. Vor allem wurde sie restauriert und modernisiert und gesucht wird doch eigentlich etwas, was im Stil der 70er Jahre gehalten ist. Aber wer will so noch wohnen? Es wird nicht leicht werden, Häuser zu finden, die noch aussehen wie Berlin in den 70er Jahren, d.h. abgeranzt, mit heruntergekommener Fassade, grau vom Ruß der Ofenheizungen und dem Grust der Jahrhunderte, zernarbt von den Geschossspuren des Zweiten Weltkriegs. Im Hauptstadtfieber ist mittlerweile fast die gesamte Stadt durchsaniert und überstrichen worden, da findet sich kaum noch ein Haus, das die Perspektivlosigkeit der 70er Jahre ausstrahlt. Wie gesagt, Locations Scouts brauchen eine hohe Frustrationstoleranz – aber dann klappt es doch noch. Bei Frau Neumann:
Schmitz: "Also wir brauchen Wohnzimmer, Esszimmer, Küche, Schlafzimmer, Arbeitszimmer, das suchen wir."
Neumann: "Arbeitszimmer."
Schmitz: "Hier ist es natürlich integriert, hier hätten wir das Arbeitszimmer im Salon, im Wohnzimmer, was ich eigentlich sehr charmant finde, als Alternative, also so integriert im Wohnzimmer, dieser Mittelraum ist einfach wahnsinnig schön. Hab ich ihnen gesagt, wir haben einen ziemlich langen Zeitraum, das würde fast heißen, eigentlich Möbel, alles raus, Wände streichen, ein ganz neues Gesicht geben dem Hauptraum, wär' das denkbar?"
Neumann: "Es wäre denkbar – wohin mit den Möbeln?"
Schmitz: "Da findet sich ein Weg."
Das Haus steht im Grunewald, eine ehemals hochherrschaftliche Villa, die jetzt von acht Mietparteien bewohnt wird. Der Blick aus dem Wohn- und Arbeitszimmer geht über ein mehrstufiges Gartenparterre auf den Dianasee. Das weitläufige Zimmer ist über und über angefüllt mit Bücherregalen. Wo keine Bücher sind, hängen Bilder, oder es stehen schwere, alte Möbel an den Wänden. Mehrere Teppiche von hoher Fadenscheinigkeit liegen auf dem Fußboden, an der Decke hängen zwei Gründerzeit-Leuchter.
Neumann: "So, dann gehen wir mal weiter."
Der Flur ist ebenso überfüllt, Bilderrahmen hängt an Bilderrahmen, selbst die Wand über der Tür ist mit Bücherregalen möbliert.
Neumann: "Das ist die Küche."
Schmitz: "Mit diesen schönen alten Einbauten, das ist super. Das ist natürlich super. Die sind ja – wie alt sind die?"
Neumann: "Die sind schon immer drin gewesen."
Schmitz: "Das heißt, Sie sind eingezogen und da waren die Einbauten drin?"
Neumann: "Ja! Wir wohnen ja hier schon seit 50 Jahren, das Haus ist gebaut worden Anfang des 20. Jahrhunderts, also 1911 oder so, und das war alles drin, das war ja mal ein Einfamilienhaus."
In der Küche werkelt schweigend ein introvertierter Herr Neumann und bereitet seiner Frau ein Abendessen. Die Einbauten um den Herd, das sind elfenbeinfarbene Schränke, die vom Fußboden bis zur Decke reichen, und an der gegenüberliegenden Wand, Sideboards mit Schiebetüren. 50 Jahre Leben in einer Wohnung haben ihre Spuren hinterlassen, sie hat Charakter gewonnen wie ein Mensch mit all seiner Geschichte.
Schmitz: "Wer hat da gewohnt?"
Neumann: "Das war eine jüdische Familie, Hirschfeld. Heißt auch Landhaus Hirschfeld oder Hirschberg. Das ist natürlich auch von den Nazis enteignet worden."
Frau Neumann in legerer Abendkleidung mit Hose und Pullover, die Lesebrille auf die Haare geschoben, führt ins Schlafzimmer, nicht ohne die routinemäßige Bemerkung: Das sieht aber wüst aus!, die ebenso routinemäßig beantwortet wird mit einem: Das macht doch nichts! Auch hier wieder altes Mobiliar aus unterschiedlichen Epochen und sogar eine Vitrine mit Porzellanfiguren. Woher all die Sachen?
Neumann: "Wir waren mal Antiquitätenhändler, daher."
"Und was machen Sie jetzt?"
Neumann: "Drehbuchautoren!"
Die Wohnung wäre es. Daraus lässt sich viel machen, endlich haben die Scouts einen Treffer. Man verabschiedet sich und geht zum Wagen. Da geht Frau Schmitz mal wieder zurück und holt ihre Handtasche.
*) Die richtigen Namen wurden aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes geändert. Sie sind der Redaktion bekannt.