Suche nach Spiritualität

Rezensiert von Gregor Ziolkowski · 03.08.2006
In "Sei wie ein Fluss, der still die Nacht durchströmt" veröffentlicht der Brasilianer Paulo Coelho Geschichten aus den vergangenen zehn Jahren. Der Autor des Erfolgsromans "Der Alchimist" beschäftigt sich weiterhin in vielen Erzählungen mit der Suche nach Spiritualität, seine Schlussfolgerungen sind häufig religiös motiviert.
Das Unbehagen an der modernen Zivilisation, wie es viele Menschen empfinden, hat Paulo Coelho als ein Wirkungsfeld seiner Texte entdeckt: Wo die Marktmechanismen und die kalte ökonomische Rationalität das Leben beinahe komplett durchdringen, entsteht eine Sehnsucht nach Spiritualität, nach Sinn, nach existentieller Tiefe, die der stupiden und marktgängigen Einförmigkeit des Alltags etwas entgegensetzen können.

Sein Erfolgsroman "Der Alchimist" führt die Begriffe "Traum" und "Bestimmung" im Untertitel. Und artikuliert damit Bedürfnisse, die von vielen Millionen Lesern geteilt werden und die darum seine Bücher kaufen.

Seine "Geschichten", zusammengetragen im Verlauf der vergangenen zehn Jahre, atmen denselben Geist. Wenn einer dieser kurzen Texte beginnt mit den Worten: "An meinem Geburtstag hat mir das Universum ein Geschenk gemacht, das ich mit meinen Lesern teilen möchte", dann ist das in etwa die weihevolle Höhe, die Paulo Coelho ungern unterschreitet.

Das "Universum" schenkt, und der gütige Autor teilt das Geschenk mit seinen Lesern. Die Geschichte handelt von einer jungen Frau, die in einer abgelegenen Kapelle singend und Gitarre spielend betet, sonst nichts. Muss man dafür das Universum bemühen? Ja, man muss wohl, sonst wäre es eine einfache Geschichte, eine Episode, die nett und vielleicht beeindruckend wäre, weil sie von einem ganz "unmodernen" religiösen Eifer berichtet. Das Universum als Folie für diese Szenerie suggeriert natürlich ganz andere Bezüge, hier teilt sich das Göttliche mit, mindestens.

Die Suche nach "Gottesbeweisen" grundiert zahlreiche dieser 103 Geschichten, wobei der bekennende Katholik Coelho keinerlei Wert legt auf die Exklusivität seiner Religion: Religiosität hat verschiedene Spielarten und Namen, und wenn das vorliegende Buch mit Gebeten ausklingt, dann versammelt der Autor Beispiele mehrerer Religionen, um seine Haltung zu demonstrieren.

Die gleiche Offenheit kennzeichnet seine Ratschläge an den "Krieger des Lichts" für den Fall einer depressiven Niedergeschlagenheit: "Er fährt fort zu beten und die Gottesdienste seiner Religionsgemeinschaft zu besuchen...", und wenn davon die Niedergeschlagenheit nicht weicht, "... gibt es nur eines: weiter beten. Ob aus Pflichterfüllung oder aus Furcht oder aus welchem Grund auch immer, egal: Nur weiter beten."

Jener "Krieger des Lichts", dem Coelho vor Jahren ein ganzes Handbuch gewidmet hat, ist nichts anderes als der Mensch in all den Widrigkeiten des Lebens, auf der Suche nach innerer Haltung und Spiritualität. Aber so profan würde Paulo Coelho das nie ausdrücken, und es liegt darin auch eine Erklärung für den Erfolg seiner Bücher.

Er spendet Trost und Ermutigung, denn wer sich nicht einfach als geplagter Mensch sehen muss sondern zum "Krieger des Lichts" ernannt wird, der hat die Schlachten des Lebens so gut wie gewonnen. Und der kann alles Mögliche vollbringen.

Im Hafen von San Diego in Kalifornien kam Paulo Coelho mit einer Anhängerin der "Mondtradition" ins Gespräch, teilt er seinen Lesern in einer Geschichte mit, die einen "weiblichen Weg des Lernens im Einklang mit den Kräften der Natur" verfolgt. Sie bringt ihm bei, wie man es schafft, eine Möwe zu berühren: Man müsse Liebe für die Möwe empfinden, diese dann bündeln und wie einen Lichtstrahl auf die Brust der Möwe richten. Beim dritten Versuch, versichert der Autor, habe die Methode funktioniert.

Viele der in diesem Band aufgezeichneten Geschichten berichten Episoden von den zahlreichen Reisen des Autors. Australische oder iranische Legenden, japanische Teezeremonien und armenische Jagdszenen sind dann der Stoff, aus dem diese Geschichten gemacht sind. Dass viele von ihnen letztlich in eine religiös motivierte Schlussfolgerung münden, gibt dem Buch insgesamt einen deutlich predigerhaften Ton.

Bei drei dieser Geschichten handelt es sich um Reaktionen auf politische Ereignisse: den Irak-Krieg, ein Gipfeltreffen zum Friedensprozess im Nahen Osten 2003 und den 11. September 2001.

Das "Prinzip Ermutigung" kennzeichnet auch diese Texte. Coelho streicht zum 11. September das Element des Wiederaufbauens, auch des spirituellen natürlich, heraus, zum Nahen Osten hebt er hervor, dass kein Krieg eine ewigwährende Feindschaft bedeuten muss, und in einer sarkastischen Dankesrede an George W. Bush notiert er all die Erkenntnisse, die dessen Irak-Feldzug über die Arroganz der (Welt-)Macht erlaubt.


Paulo Coelho: Sei wie ein Fluss, der still die Nacht durchströmt. Geschichten. Aus dem Brasilianischen von Maralde Meyer-Minnemann
Diogenes Verlag, Zürich 2006.
270 Seiten, 19,90 Euro.