Suche nach sich selbst

24.08.2009
David Foster Wallace galt als Superstar der amerikanischen Literaturszene, als Jahrhundert-Talent. Am 12. September 2008, im Alter von 46 Jahren, erhängte er sich. "Wallace war wie ein Komet, der in Bodenhöhe an uns vorbeifegt", so formulierte es der Schriftsteller David Lipsky.
Wallace, Jahrgang 1962, war eine schillernde Figur, ein Hippie, schulterlange Haare waren sein Markenzeichen. Fast wäre er Tennisprofi geworden; er schaffte es bis auf Platz 17 der amerikanischen Rangliste. Dann studierte er Literatur und Mathematik, bekam ein Harvard-Stipendium und geriet in die Mühlen der Psychiatrie. Nach diesem Erlebnis begann Wallace zu schreiben, 1996 erschien in den USA sein über 1000 Seiten langer Debütroman, der ihn über Nacht zu einem Kultstar der Literatur machte und jetzt endlich auch auf Deutsch vorliegt, unter dem Titel "Unendlicher Spaß". Sechs Jahre nahm die Übersetzung in Anspruch, für die Ulrich Blumenbach zu Recht mit dem Ledig-Rowohlt-Preis ausgezeichnet wurde.

Wer den Roman gelesen hat, der weiß, dass der Titel "Unendlicher Spaß" gallebitterböse ironisch gemeint ist. Der Roman ist eine schrille kafkaeske Satire auf die westliche Welt, insbesondere auf die USA. Den englischen Originaltitel "Infinite Jest" hätte man statt neutral-ironisch mit "Spaß" auch lustvoll-offensiv mit "Schwachsinn" übersetzen können, "Unendlicher Schwachsinn". Der Roman kommt daher als skurriler, verrückter, herrlich experimenteller Comic-Strip: So spielt er beispielsweise in einer Zukunft, in der sich die USA, Kanada und Mexiko mittlerweile zu einem Staatenbund zusammengeschlossen haben, zur O.N.A.N, zur Organisation Nordamerikanischer Nationen, deren Politik onanistisch ist. Das klingt nach Marx-Brothers auf LSD, und manch einer mag diesen Roman als unlesbar empfinden, wer ihn aber gelesen hat, der wird tief berührt und erschüttert sein.

Der Roman ist eine ins Grotesk-Surreale gespiegelte Autobiografie, verpackt als Entwicklungsroman, der also die Entwicklung eines Kindes zum Erwachsenen beschreibt. Es tritt auf ein Ich-Erzähler mit Namen Harold, der zu Beginn zehn Jahre alt ist, ein hochbegabtes Kind, das in die Knochenmühlen der Erwachsenenwelt gerät und am Ende in der psychiatrischen Anstalt endet - die Tennis-Karriere von Wallace als gedopter Zombie, der Ausbruch ins Drogenmilieu, Wallace´ Erfahrung als Patient in der Psychiatrie inklusive Elektroschocks, und dann die dreijährige Isolation des Romanautors Wallace. Im Angesicht des Selbstmordes von Wallace erscheint der Roman aus dem Jahr 1996 als der schmerzvolle Hilfeschrei eines Menschen, der es nicht schafft, aus dieser Welt auszubrechen. Als Wallace vor zirka 25 Jahren psychiatrisch behandelt wurde, bekam er ein auch heute weit verbreitetes Psychopharmakon, das ihn süchtig machte. Wer es absetzt, neigt zu Selbstmord oder Amoklauf. Als Wallace sich erhängte, war er Literaturprofessor und hatte seine Traumfrau gefunden. Keine Spur von Depression. Dann setzte er die Tabletten ab. So stellt es jedenfalls David Lipsky dar.

"Unendlicher Spaß" kann man vergleichen mit den Großen, mit der Ausweglosigkeit bei Kafka, mit der Welt in nuce wie in Joyce´ "Ulysses" oder mit der unendlichen Suche nach sich selbst wie in Prousts "Suche nach der verlorenen Zeit". Wie es einem geht, wenn man "Unendlicher Spaß" gelesen hat? Bestenfalls so wie dem Erzähler im Schlusssatz: "Und als er wieder zu sich kam, lag er flach auf dem Rücken am Strand im eiskalten Sand, aus einem niedrig hängenden Himmel regnete es, und draußen war Ebbe."

Besprochen von Lutz Bunk

David Foster Wallace: Unendlicher Spaß
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Ulrich Blumenbach
Kiepenheuer und Witsch Verlag 2009
1648 Seiten, 39,95 Euro