Suche nach Leben auf dem Mars

Moral für Mikroben aus dem All

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Der NASA Aeroshell, die den Rover und die Abstiegsstufe umschließt, bei dem Anflug auf dem Mars. 2021 soll sie landen.
Unterwegs zum roten Planeten: Die NASA-Mission "Mars 2020" soll Bodenproben am Rand eines Kraters einsammeln, um nach Spuren von Leben zu suchen. © imago-images/ UPI Photo
Von Sibylle Anderl · 14.02.2021
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Die amerikanische Weltraum-Mission "Mars 2020" soll auf unserem Nachbarplaneten Bodenproben sammeln. Sie könnten Spuren außerirdischen Lebens enthalten. Doch dies würde schwierige ethische Fragen aufwerfen, kommentiert Sibylle Anderl.
Drei Weltraummissionen haben in diesen Tagen den Mars erreicht: die arabische "Hope"-Sonde, die chinesische Tianwen-1-Mission und die amerikanische "Mars-2020"-Mission. Alle drei sollen wichtige wissenschaftliche Daten sammeln. Die Mission "Mars 2020" aber besitzt das Potenzial, einen Wendepunkt in der Menschheitsgeschichte zu markieren.

Suche nach Leben in Bodenproben

Ihr Mars-Rover "Perseverance", dessen Landung am kommenden Donnerstag geplant ist, soll unter anderem Bodenproben sammeln, die später von einer europäischen Folgemission abgeholt und erstmalig zurück zur Erde gebracht werden könnten. Wenn sich einmal Leben auf dem Mars entwickelt haben sollte, dessen Spuren sich noch im Marsboden befinden, könnten irdische Analysen es daraufhin nachweisen.
Dass es Leben auf dem Mars gegeben haben könnte, ist nicht ganz unwahrscheinlich: Unser Nachbarplanet besaß einst eine Atmosphäre, ein warmes Klima und war von flüssigem Wasser bedeckt. Perseverance wird am Rand eines einstigen Kratersees landen — eine aussichtsreiche Stelle für den Nachweis fremden Lebens.

Marsmikroben wären handliche Aliens

Was aber würde es bedeuten, wenn wir tatsächlich Marsmikroben fänden? Wenn es sich um eine von der Erde unabhängige Entstehungslinie handelte, wäre es schließlich der erste Nachweis der Entwicklung extraterrestrischen Lebens. Zudem wäre es die wohl für uns Menschen am wenigsten bedrohliche Variante eines Erstkontaktes mit Aliens.
Und doch würde sich uns die Frage stellen, wie wir uns diesem fremden Leben gegenüber verhalten sollen. Welchen moralischen Status besäßen außerirdische Mikroben? Hätten wir Gründe, sie anders zu behandeln als ihre irdischen Verwandten, vor deren Ausrottung wir kaum zurückschrecken — etwa, wenn es sich um gefährliche Viren handelt?

Wie weit reicht unsere Ethik?

Ein Unterschied liegt offensichtlich im deutlich höheren instrumentellen Wert der Marsmikroben, ihrem potenziellen Nutzen für die Wissenschaft und für unser Verständnis der Entstehung von Leben. Würden wir aber auch so weit gehen, ihnen einen intrinsischen Wert zuzuschreiben, unabhängig von ihrem Nutzen für uns?
Mit der ethischen Frage, wo wir hier die Grenze ziehen, ringen wir bereits auf der Erde. Bezieht sich unsere moralische Verantwortung nur auf andere Menschen? Nur auf intelligentes Leben? Auf fühlendes Leben? Auf Leben im Allgemeinen?
Porträt der Astrophysikerin Sibylle Anderl, geboren 1981. Sie hat in Astrophysik über Stoßwellen im interstellaren Medium promoviert und in Philosophie ein Magisterstudium abgeschlossen. Seit Januar 2017 ist sie Redakteurin der FAZ und schreibt für das Feuilleton sowie das Wissenschaftsressort.
Mars-Mikroben fordern unsere ethischen Maßstäbe heraus, meint die Philosophin und Astrophysikerin Sibylle Anderl.© imago/Viadata/Holger John
Der schottische Astrobiologe Charles Cockell hat darauf hingewiesen, dass wir berücksichtigen müssten, dass die Unsicherheiten beim Verständnis einer fremden Lebensform deutlich größer sind als bei irdischen Organismen. Reizverarbeitung oder gar Intelligenz könnten für uns Menschen zunächst nicht offensichtlich erkennbar sein.

Carl Sagan: "Der Mars gehört den Marsianern"

Für eine utilitaristische Ethik ist das ein Problem. Eine pragmatische Position wäre daher, fremdem Leben vorläufig höchsten moralischen Status zu verleihen — so lange zumindest, bis wir genügend wissen, um es in irdische ethische Kategorien einzuordnen.
Das hätte allerdings weitreichende Konsequenzen. "Wenn es auf dem Mars Leben gibt …, dann gehört der Mars den Marsianern, selbst wenn es nur Mikroben sind", hatte in diesem Sinne der amerikanische Astronom Carl Sagan 1980 gefordert. Eine Kolonialisierung des Mars, eine weitreichende Veränderung seiner Landschaft gar, wären demnach moralisch fragwürdig.
Wenn die Marsproben frühestens Anfang der 2030er-Jahre auf die Erde gelangen, bliebe nach einer möglichen Entdeckung von Leben allerdings kaum Zeit für ethische Überlegungen. Elon Musk plant bereits astronautische Flüge zum Mars für das kommende Jahrzehnt.

Sibylle Anderl, geboren 1981, ist Philosophin, promovierte Astrophysikerin und arbeitet als Wissenschaftsredakteurin im Feuilleton der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Zuletzt erschien "Das Universum und ich. Die Philosophie der Astrophysik" (Carl Hanser Verlag, 2017, 256 Seiten, 22 Euro).

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