Suche nach einem passenden Rabbiner

Von Katharina Schmidt-Hirschfelder · 21.08.2009
Die Große Synagoge Stockholm sucht einen passenden Rabbiner - und das seit Jahren. Viele Kandidaten gaben sich bislang die Klinke in die Hand, Männer und Frauen. Einige, die den Job schon so gut wie in der Tasche hatten, sind im letzten Moment doch wieder abgesprungen.
Wer an diesem Schabbatmorgen zum Gottesdienst in die Große Synagoge will, darf direkt hineingehen. Ohne Sicherheitskontrolle. Die fällt diesmal aus. Der Grund: Es ist langes Mittsommerwochenende, Schwedens höchster Feiertag. Es ist stattdessen der Gabbai, der das Eingangstor aufschließt. Ein gutes Dutzend Beter hat sich dennoch eingefunden. Meist Ältere, die ohnehin keinen Schabbat versäumen. Nicht einmal für Mittsommer.

An den Hohen Feiertagen drängen sich bis zu 1000 Menschen in dem orientalischen Prachtbau aus dem 19. Jahrhundert. Heute jedoch liegt die bange Frage in der Luft, ob es wohl diesmal überhaupt für einen Minjan reicht. Verjüngung der Gemeinde, Reformen, vor allem aber eine klare Linie stehen dringend an, damit der Gottesdienst wieder attraktiver wird. Das weiß auch Alf Levy vom Gemeinderat.

Alf Levy: "Von 4500 Gemeindemitgliedern leben etwa 300 orthodox. Die anderen 4200 – inklusive der rund 10.000 Juden in Stockholm, die keine Gemeindemitglieder sind – definieren sich in erster Linie als Juden. Sie empfinden eine starke Zusammengehörigkeit und wollen den wichtigen Ereignissen in ihrem Leben einen jüdischen Rahmen geben, sei es Bar oder Bat Mitsva, Hochzeit oder Beerdigung.

Sie fühlen sich in der Grossen Synagoge zu Hause, auch wenn sie vielleicht nicht alle Teile vom Gottesdienst mögen. Viele wollen aktiver teilnehmen, vor allem die jungen Leute. Das müssen wir stärker ausbauen."

Es ist höchste Zeit. Denn Szenarien wie an diesem Mittsommerwochenende kann sich die Gemeinde schlichtweg nicht mehr leisten. Fehlender Nachwuchs, zögerliche Jugendarbeit und stagnierende Mitgliederzahlen – keine gute Ausgangsbasis für die Zukunft. Dass die Große Synagoge sich deshalb vor kurzem Masorti Europa angeschlossen hat, sieht Rabbi Chaim Weiner als Gewinn. Der Chef des Londoner Masorti Bet Din erklärt:

"Ich denke, indem sich die Große Synagoge als Masorti definiert, erleichtert sie es in Zukunft Rabbinern, Besuchern, vor allem aber ihren einzelnen Mitgliedern, die Gemeinde besser zu verstehen. Bei einer Gemeinde, die nirgends hin gehört und keine klaren Grenzen hat, weiß man nicht genau, woran man ist oder was man vorfindet."

So erging es auch den etwa 50 Kandidaten für die seit Jahren vakante Rabbinerstelle, mit denen Alf Levy, Chef des Rekrutierungskomitees, gesprochen hat. In den Interviews stellte sich schnell heraus, dass viele von ihnen nicht wussten, was sie in Stockholm erwartete. Alf Levy erinnert sich.

"Als wir angefangen haben, einen Rabbiner zu suchen, haben wir uns als nicht-orthodox definiert. Oberrabbiner Morton Narrowe und die beiden Kantoren gingen dabei wohl von der Sicht aus, die wir selbst auf uns haben. Aber die Kandidaten wussten oft nicht, wovon die Rede war. Sie waren weitaus deutliche Richtlinien gewohnt."

Neben inhaltlich schwierigen Fragen erinnert sich Alf Levy jedoch auch an erhebliche Kulturunterschiede zwischen Amerika, Israel und Europa.

"Wir haben einen ganz anderen kulturellen Hintergrund. Wir haben eine andere Sicht auf unsere Mitglieder. Wir haben eine andere Führungsform. Man könnte sagen, in unserer Führung sind wir nicht so direkt. Wir haben keine hierarchische Sicht auf einander, so wie das in Israel oder den USA der Fall ist. Hier bei uns gelten alle Menschen als gleichwertig. Das war ein Standpunkt, den wir nur schwer vermitteln konnten."

Masorti Europa soll nun helfen, einen geeigneten Kandidaten zu finden. Jung soll er sein, europäisch und weltoffen. Die Erfahrungen aus früheren Bewerbungsgesprächen haben Alf Levys Blick geschärft und seine Anforderungen präzisiert.

Levy: "Lieber ein Talent in der täglichen Arbeit und im Umgang mit den Menschen als ein begnadeter Prediger mit guten Verbindungen zur Regierung und zum König – das wünschen sich jedenfalls die meisten Mitglieder."

Chaim Weiner aus London hat schon seine volle Unterstützung zugesagt und berät das Rekrutierungsteam um Alf Levy seit ein paar Wochen in allen wichtigen Fragen des Bewerbungsprozesses.

Weiner: "Wir haben eine Art Expertise erstellt. Die nehmen wir als Grundlage, um Gemeinden auf ihrer Suche nach einem passenden Rabbiner zu unterstützen. Auch auf einer späteren Stufe, wenn es darum geht, den Vertrag auszuhandeln, arbeiten wir eng mit der Gemeinde zusammen. Und natürlich später, wenn der Rabbi den Job bekommen hat, unterstützen wir ihn in allen wichtigen Fragen der Gemeindearbeit."

Derzeit aussichtsreicher Anwärter für die Stelle als Rabbiner der Großen Synagoge Stockholm ist Stas Wojciechowicz, ein junger Kandidat aus St. Petersburg. Alf Levy kann sich gut vorstellen, den jungen Rabbiner einzustellen.

Alf Levy: "Dieser junge Mann hier passt perfekt zu uns. Wir sind sehr zuversichtlich, dass er der Richtige ist. Klar, jemand, der 32 Jahre alt ist, hat auch viel bessere Voraussetzungen, wieder mehr junge Leute ins Boot zu holen. Rabbi Morton Narrowe war auch 32, als er nach Schweden kam. Und wie wir alle wissen, war das ein Erfolg auf der ganzen Linie."