Suche nach einem besseren Ort

Von Günter Beyer · 18.12.2011
Die Künstlerin Karen Koltermann verbindet Projektionen stürmischer Seereisen mit Klangcollagen zu raumgreifenden Installationen. Auf der Suche nach dem Sehnsuchtsort "home" entstehen so Eindrücke einer abenteuerlichen Überfahrt.
Eine haushohe, fensterlose Wand aus Stahl, blassblau gestrichen, taucht schemenhaft aus dem Nebel auf. Sie scheint auf den Betrachter zuzufahren, der sich wohl in einem kleinen Boot knapp über dem Meeresspiegel aufhalten muss. Details werden sichtbar: Rostige Löcher, aus denen Kühlwasser herabläuft, eine Lotsenleiter. Da verschwindet der Ozeanriese wieder im Nebel.

Von einem Lotsenboot aus hat die Berliner Künstlerin Karen Koltermann den gewaltigen Frachter, der fabrikneue Autos über die Meere transportiert, gefilmt. Zum Sound von Schiffsmotoren wird die Szene riesenhaft projiziert. Koltermann kommt es auf die Perspektive an: die bedrohlich aufragende Bordwand des Transporters, der niedrige Horizont des Betrachters. So etwa müssen Menschen, die sich für ihre Flucht nach Europa einer Nussschale von Boot anvertrauen, unterwegs die Archen der reichen Nationen wahrnehmen:

"So ein kleines Boot, wenn dann so ein riesiger Kahn vorbei kommt: Es gerät ja auch ordentlich ins Schaukeln durch so ein Riesending, noch hat es irgendetwas davon. Man denkt: Ist es jetzt vielleicht meine Rettung, man hat vielleicht die Hoffnung, aber es fährt eben vorbei. Und die Hoffnung ist weg."

"Home" heißt die Ausstellung, die sich mit der riskanten Suche nach einem besseren Ort beschäftigt. Karen Koltermann, Jahrgang 1964, ist in Bremerhaven in der Familie eines Lotsen aufgewachsen. Mit breiten Pinseln malt sie Fahrzeuginterieurs: Sitzreihen in einem TGV-Zug, die Kabine eines Flugzeugs, ein Istanbuler Sammeltaxi - oder eben Schiffe. Projektionen stürmischer Seereisen und Videos aus dem Maschinenraum verbindet sie mit Klangcollagen zu raumgreifenden Installationen einer abenteuerlichen Überfahrt.

Doch wo liegt dieser Sehnsuchtsort "Home"? Und ist er zwangsläufig immer ganz woanders? Einen Steinwurf von der Kunsthalle entfernt hat Karen Koltermann einen leeren Friseurladen zum Atelier erklärt. Sie ermutigte Schülerinnen und Schüler eines Kunst-Leistungskurses ihrer ehemaligen Schule, in der Seestadt auf Entdeckungstour zu gehen. Marei Dierssen, eine der Teilnehmerinnen:

"Die Aufgabe war, zu dem Thema "Bremerhaven" innerhalb von zwei Monaten Bilder zu schießen, wenn man durch die Straßen geht, wenn man an Schaufenstern vorbei läuft, und dann die zu bearbeiten."

Etliche Aufnahmen verraten eher touristische Sehgewohnheiten, aber ins Umfeld von "home" gehören offenbar auch die Schmuddelseiten:

"Ich selber, wenn ich so durch Bremerhaven laufe, denke ich manchmal: Wie sieht das denn hier aus! So verrunzte Ecken, da fühle ich mich nicht so wohl, man hat auch viel Sperrmüll, haben wir auch fotografiert. So sieht man auch, dass es ein bisschen verlassen manchmal ist."

Ein Schiff, das den Hafen nicht mehr verlässt, ist ein Paradox - und natürlich hochinteressant für eine Künstlerin wie Karen Koltermann. 21 Jahre lang der irakische Frachter "Al Zahraa" in Bremerhaven an der Kette. Ein UN-Embargo hatte das 1990 gegen das Regime von Saddam Hussein verfügt. Eine Notbesatzung kümmerte sich fortan um das Schiff:

"Ich wusste, dass hier ein altes Schiff liegt, dass eben praktisch seine Funktion nicht mehr ausüben kann, hat auch diese Heimat nicht mehr, es liegt an einem seltsamen fremden Ort, vollkommen brach und wie ein nutzloser Mensch, der eben seinen Job verloren hat und irgendwo abgestellt wird und auch kein Zuhause mehr hat."

Die Künstlerin filmte mit der Handkamera und fotografierte an Bord, fand überall rostende Menetekel von Stillstand und Verfall. Die Aufnahmen zerlegte sie am Computer und druckte Dutzende von DinA3-Blättern für eine wandgroße Collage ihrer ganz persönlichen "Al Zahraa", verfremdet mit Brandspuren eines Lötkolbens und brüchigen Letraset-Anreibebuchstaben, wie sie vor dem Siegeszug des Computers von Grafikern verwendet wurden. Im Sommer diesen Jahres wurde die reale "Al Zahraa" zum Verschrotten nach Litauen geschleppt. Das Ende des Schiffes ließ sich die Künstlerin nicht entgehen:

"Dann dachte ich: dann dokumentiere ich das auch noch, weil die Bremerhavener sich sicherlich dafür interessieren, wie es ihrem Schiff ergangen ist und mal so sehen, wie es denn beerdigt worden ist sozusagen."

Weiterführende Informationen:

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