Suche nach Dodo

Von Josef Schnelle · 23.12.2009
Auf Mauritius kann man ihm nicht entkommen. Überall ist er als Spielzeug, auf Postern oder im Wappen des Landes zu sehen. Es geht um den Dodo, den flugunfähigen Riesenvogel. Er ist das Maskottchen der beliebten Ferieninsel.
Der flugunfähige Riesenvogel hat tatsächlich gelebt. Er bewohnte die Insel im Indischen Ozean bis ins späte 17. Jahrhundert. Nicht einmal hundert Jahre nach dem die ersten holländischen Kolonialisten Mauritius betreten hatten, fehlte aber schon jede Spur von ihm.

Jacob Cornelius van Neck, Kapitän des ersten Schiffes, das vor Mauritius ankerte, notierte 1598 in seinem Bordbuch:

"Sie blieben einfach sitzen und erlaubten uns, sie tot zu schlagen. Wir kochten diesen Vogel, aber er war so zäh, dass wir ihn halbgar essen mussten."

Die ausgehungerten Seeleute haben den Dodo trotzdem keineswegs verschmäht. Er war ihr willkommenes Hauptnahrungsmittel und sie dezimierten die Dodo-Population in kürzester Zeit. Der Dodo hatte vor der Ankunft des Menschen keine natürlichen Feinde gehabt, daher auch wahrscheinlich nur wenige Nachkommen und war so perfekt angepasst an seinen Lebensraum Mauritius - nur dort hat er gelebt - dass die kleinsten Veränderungen ihn schon aus der Bahn warfen. Für Matthias Glaubrecht von der Humboldt-Universität in Berlin ist der Dodo eine wichtige Fallstudie:

"Für Evolutionsbiologen ist das ein tragisches Sinnbild, der Dodo. Weil er ausgestorben ist. Mir ist er begegnet im Zusammenhang mit der Untersuchung von Inselfaunen, weil Inseln so Naturlaboratorien sind und da spielt natürlich nicht nur die Frage der Entstehung der Arten eine Rolle, sondern warum sterben sie da besonders schnell aus. Denn es sind vor allem die Inseln und Archipele wo die meisten Tierarten seit 1600, seit wir das dokumentieren, ausgestorben sind."

Der lustige Kindername "Dodo" für den kuriosen Taubenvogel mit der bizarren Gestalt stammt wohl aus dem portugiesischen und ist gleichbedeutend mit "dumm". Dieses Image ist der Dodo bis heute nicht losgeworden. Portugiesische Seefahrer hatten die Insel abseits der wichtigen Seerouten schon einige Male vor den Holländern angelaufen, jedoch niemals eine Besiedlung von Mauritius erwogen.

Aber der Makel ein dummer Vogel zu sein, wurde zu einem der wichtigsten Aussterbegründe für den Dodo, der manchmal auch Dronthe oder Dodersen genannt wurde. Auch der italienische Abenteurer Guillemo Piso, an Bord eines holländischen Schiffes 1658 nach Mauritius gelangt, gab dem gängigen Vorurteil in seinem Bericht weitere Nahrung:

"Der Vogel ist langsam und dumm und leichte Beute für Jäger. Ihr Fleisch und hier besonders das Brustfleisch ist fett und essbar und so reichhaltig, dass manchmal drei oder vier Drontes reichen, um hundert Seeleute zu verpflegen. Wenn sie nicht richtig durchgekocht sind oder alt, sind sie schwerer zu verdauen, in gesalzenem Zustand werden sie als Schiffsproviant genutzt."

Nicht nur verfressene Seeleute sind aber am Aussterben des Dodo schuld. Die Ankunft der Siedler brachte ein funktionierendes Ökosystem dauerhaft durcheinander, worunter nicht nur der Dodo zu leiden hatte. Vielleicht hat der Prozess des Wandels auch verborgen schon vorher eingesetzt. Äffchen zum Beispiel waren wohl schon mit portugiesischen Seefahrern angelandet oder mit Treibholz aus dem 900 Kilometer entfernten Madagaskar an Land gespült worden.

Bei einem Blick in das unzugängliche Tal des Rivière des Anguilles kann man immer noch - wild lebend - Tausende von ihnen sehen, wenn sie den Touristen das Mitgebrachte klauen. Die niederländischen Kolonisten hatten jedenfalls nachweislich keine Affen an Bord, die sich über die Eier des Dodos hermachen konnten. Das Staunen über seltsame Tiere wie den Dodo hielt sich erwiesenermaßen in Grenzen. Alle waren froh, nach den Strapazen der Entdeckungsfahrt endlich wieder festen Boden unter den Füssen zu haben und niemand machte sich Sorgen um den Erhalt der Tierpopulation.

Erst daheim in Holland bemühten sich neugierige Chronisten darum, den Berichten der Kapitäne wahres und kurioses systematisch abzutrotzen. Der Naturhistoriker Carolus Clusius fasste 1605 in seinem Exoticum Libri die Erkenntnisse der Expeditionsjournale von Jacob Cornelius van Neck aus den diversen Teilbeschreibungen zusammen.

"Dieser eigenartige Vogel war so groß oder größer als ein Schwan, aber sehr anders im Aussehen; denn sein Kopf war von einer Art Membrane überzogen, die einer Kapuze ähnelte; auch der Schnabel war nicht flach, sondern dick und länglich, am Kopfansatz war er gelblich, das äußere Ende schwarz, der obere Teil war gekrümmt und der untere Teil besaß einen bläulichen Fleck zwischen dem Gelb und Schwarz. Er war nur von wenigen kurzen Federn bedeckt und anstelle von Flügeln besaß er vier oder fünf Kielfedern. Der hintere Teil des Körpers war sehr fett und dick. Seine Beine waren eher dick als lang. Die Füße bestanden aus je vier Zehen, von denen die längeren drei nach vorn und der kürzere nach hinten gerichtet war."

Die Insel Mauritius hat einen vulkanischen Ursprung. Sämtliche Tierarten sind also irgendwann und irgendwie auf die Insel gelangt und waren wie später die Menschen und ihre mitgebrachten Säugetiere Kolonisatoren. Wie also ist der Dodo auf die Insel gelangt, die seine Heimat und dann sein Schicksal wurde?

Glaubrecht: "Da gibt's verschiedene Hypothesen. Nichts davon ist wirklich beweisbar. Wir wissen inzwischen relativ sicher, dass es sich um Taubenverwandte handelt. Tauben sind sehr gute Flieger, die sehr häufig abgelegene Inseln besiedeln konnten und eine der Theorien besagt, dass der Dodo erst auf Mauritius sein Flugfähigkeit verloren hat, weil er da als Bodenvogel gelebt hat und in Jahrtausenden Anpassung diese Flugfähigkeit gar nicht mehr brauchte. Andere sagen, der hat aber nicht weite Ozeanstrecken überwunden, sondern möglicherweise war Mauritius damals gar nicht so isoliert, wie es uns heute vorkommt, im Indischen Ozean. Es gab vielleicht Trittsteine, Inseln und Landbrücken, die so eine Kolonisation ermöglicht haben. Vielleicht war der gar nicht mehr son toller Flieger aber er hats immerhin noch von einer Insel zur nächsten in so einer Kettenbewegung bis Mauritius geschafft."

Eine Gruppe von Wissenschaftlern des Naturkundemuseums von Leyden untersucht seit einigen Jahren in einem Forschungsprojekt auf der ehemaligen Zuckerrohrplantage Mon Tresor im Mare Aux Sanges im Süden von Mauritius. Im Augenblick geht es gerade um die Erdschichten mit Pflanzen und Samen in den zufällig durch vulkanische Ereignisse verschlossenen Depots, in denen tatsächlich Dodoknochen gefunden wurden. Damit könnte die Lebenswelt des Dodos wieder rekonstruiert werden - Das Paradies in dem Dodo nachweislich lange gelebt hat:

Glaubrecht: "(Diese) Inseln wirken tatsächlich wie Paradiese, weil sie natürlich konkurrenzfrei sind. Das heißt die die als Erste durch Zufall auf die Inseln geraten, die finden paradiesische Verhältnisse vor, weil sie als Erstkolonisatoren dort sich in alle Lebensbereiche hineinentwickeln können. Das macht es für uns als Evolutionsbiologen auch so faszinierend, wie unter so einem Brennglas Evolutionsprozesse ablaufen. So paradiesisch waren die Verhältnisse nachher nicht oder sie blieben es nicht, denn die Tiere, die da Fuß gefasst haben, die haben sich natürlich sehr schnell gegenseitig Konkurrenz gemacht und dann hatte man wieder dieselbe Situation wie in anderen Bereichen der Erde auch."

Vollkommen unbekannt wird auch der Gesang des Dodos bleiben auch wenn das berühmteste Buch zum Thema von dem Naturhistoriker David Quammen "Song of the Dodo" heißt. Quammen hat 1998 das wohl umfassenste Buch über die Besonderheiten der Inselbiologie geschrieben und den Dodo dabei an herausragender Stelle als wichtiges Beispiel präsentiert. Auf dem Titelbild der berühmten Studie ist sogar ein Dodo abgebildet, der seinen Kopf in den Himmel reckt und offensichtlich einen Schrei ausstößt. Zwar kann man auf Grund des Kehlkopfes und Schnabelresonanzraumes gewisse Vermutungen über den Schrei des Mythenvogels anstellen. Sicher ist jedoch nichts. In der umfangreichen erhaltenen Schiffstagebuchliteratur hielt es lediglich der Leichtmatrose Fancois Cauche 1638 für angebracht ausgerechnet die Lautäußerungen des Dodo zu beschreiben, um dann gleich wieder auf das Thema Nahrhaftigkeit zu kommen.

"Ihr Schrei ist dem von jungen Gänsen ähnlich und sie schmecken überhaupt nicht so gut wie die Flamingos und die Enten. Ihr Fett ist aber ausgezeichnet zur Entspannung der Muskeln und Nerven."

Die christliche Seefahrt auf den sieben Weltmeeren war noch im 17. Jahrhundert eine ausgesprochen gefährliche und entbehrungsreiche Angelegenheit. Nur ein Teil der Matrosen kehrte zurück. Abseits eines kurzfristigen Profitinteresses an Gewürzen, Bodenschätzen, Sklaven oder Nutzfrüchten, waren die neu entdeckten Inseln und Kontinente nur Übergangsstationen im täglichen Überlebenskampf. Naturhistorisch interessierte Expeditionsteilnehmer in den Mannschafts- oder Offizierskajüten waren eher die Ausnahme, bevor viel später Darwin, Alexander von Humboldt und deren Gefolgsleute sich daran machten, die Welt zu vermessen und verstehen zu wollen.

Glaubrecht: "Das ist ja für die Seefahrer auf Inseln sehr nachvollziehbar wirklich das erste gewesen, was auf den Inseln gemacht werden musste. Die haben jede Insel und jedes Land angelaufen, um sich mit Frischwasser und Proviant zu versorgen, einfach um die langen Ozeanreisen überhaupt zu überleben. Natürlich ist da den Seeleuten zuerst zum Opfer gefallen, was nicht schnell genug fliehen konnte. Und auf den ganzen abgelegenen Inseln und Archipelen, die wir kennen, gibt es sehr viele Tierarten, die nicht nur durch ihre Behäbigkeit wie Schildkröten sondern auch durch ihre Flugunfähigkeit aber auch wenn sie fliegen könnten, gar keine Scheu vor den Menschen gezeigt haben. Charles Darwin hat das auf Galapagos beobachtet, wo man heute als Besucher das noch sehen kann: den dort heimischen Vögeln, denen fehlt die übliche Fluchtdistanz. Der Charles Darwin sagte, er konnte so einen Vogel mit seinem Hut vom Ast herunter schlagen. Und wenn sie in der Nähe im indischen Ozean auf den Seychellen heute sind, dann sehen sie, dass viele der Seevögel am Boden brüten und überhaupt nicht auffliegen und sich von den Eiern trennen, wenn sie dort hingehen. (Das heißt) das ist ein Phänomen der Inseltierwelt, dass die diese Scheu, die wir aus dem Kontinentalbereich von Menschen kennen, wo sie lange Zeit hatten, sich an diesen Feind zu gewöhnen
Und mit einer großen Fluchtdistanz ausgestattet sich auch daran zu adaptieren, dass das auf Inseln fehlt, weil es dort keine Feinde gab. () Der Mensch ist da ein Eindringling, der sich da wie die Axt im Walde benommen hat."

Ein berühmter Kupferstich illustriert die Mauritius-Reiseberichte des holländischen Kapitäns DeBrys von 1619. Da sitzen zwei Seeleute mit Hellebarden und Vorderladern auf gigantischen Schildkröten, von denen sie sich in einer Art Triumphzug umhertragen lassen. Nicht weit davon halten andere Holländer ein Kolleg in dem umgedrehten Panzer einer längst erschlagenen, verspeisten und weggekratzten Riesenschildkröte. Ein Dutzend Männer findet darin Platz. Ringsumher werden Taubenvögel und neugierige Dodos mit dicken Knüppeln erschlagen.

Eine Inszenierung der Macht, die man über die fernen Inselparadiese errungen hatte und die die Finanzierung künftiger Fahrten sichern sollte. Dass inzwischen sehr viel mehr geschehen war, verschweigt dieses Bild. Wahrscheinlich war den Seefahrern nicht einmal klar, dass sie tief in den ökologischen Haushalt der Insel eingegriffen hatten.

Glaubrecht: "Im Gefolge des Menschen auf den Segelschiffen sind ja sehr viele Tiere als Verpflegung auf die Schiffe mitgenommen worden. Es war eine der Strategien solche zum Beispiel Hausschweine auf den Inseln immer wieder auszusetzen. Das haben alle seefahrenden Nationen seit dem Ende des 15. Jahrhunderts gemacht. Und diese europäischen Nutztiere sind natürlich ne Katastrophe für das sehr delikate ökologische Gleichgewicht auf den Inseln gewesen. Also es sind die Ratten, die Vogeleier gefressen haben. Es sind Ziegen, die die Vegetation zerstört haben, Schafe, alle diese Inseln sind durch das da im Gefolge des Menschen über die Welt gekommen ist.() Alle diese Naturräume sind dadurch eben sehr stark verändert worden. Mauritius gibt heute als Touristenziel eher nur noch ein armseliges Beispiel dafür, was auf dieser Insel mal ursprünglich vorhanden war."

Hunderte holländische Schiffe besuchten im 17. Jahrhundert die Insel Mauritius, die nach dem Thronfolger Moritz benannt wurde und zeitweise eine Strafkolonie beherbergte. Letzte Berichte über die Sichtung eines Dodos stammen aus dem Jahr 1662. Es scheint so, dass sich die letzten Exemplare über ein flaches Stück des Meeres auf die Ile au Aigrettes in der Blauen Lagune, die heute ein Vogelschutzgebiet mit einem bronzenen Dododenkmal ist, zurückgezogen haben. Affen, Ratten und Schweine konnten dahin nicht folgen. Einige Zeit könnten die letzten Exemplare des Dodo-Vogels dort noch überlebt haben, bevor auch ihre Zeit gekommen war. David Quammen beschreibt in "Der Gesang des Dodo" ein anderes bewegendes Ende des letzten Dodos in seinem Stammland am Riviere des Anguilles:

"Stellen wir uns einen einzelnen Überlebenden vor, einen einsamen Flüchtling, der Ende des 17. Jahrhunderts irgendwo auf Mauritius existierte. Stellen wir uns vor, dass es sich um ein Weibchen handelt. Sein letztes Jungen war von einem wild lebenden Schwein aufgestöbert worden, während sein letztes fruchtbares Ei ein Affe gefressen hatte. Das Männchen war tot, erschlagen von einem hungrigen holländischen Seemann, einen neuen Partner zu finden konnte das Weibchen nicht hoffen. Das Tier rannte nicht mehr, es watschelte schwerfällig. Mittlerweile war es dabei zu erblinden. Dann kam ein Morgen im Jahre 1667, an dem es noch vor Tagesgrauen unter einem kalten Steinsims eines der Schwarzflussfelsen Zuflucht vor einem heftigen Regenguss suchte. Es neigte den Kopf und presste ihn an den Körper, plusterte sich auf um den Wärmeverlust gering zu halten, stierte in stiller Trübsal vor sich hin. Es wartete. Weder es selbst noch sonst jemand wusste, dass es das letzte lebende Dodoexemplar auf der ganzen weiten Welt war. Nach dem Regensturm öffnete es nicht mehr die Augen. So sieht Aussterben aus."

Der Dodo, vor rund 400 Jahren erst entdeckt, sechzig Jahre später nachweislich schon ausgestorben, hat bei denen, die seine Geschichte kannten immer schon besondere Gefühle hervorgerufen. Selbst seine wenig zimperlichen Entdecker sahen ihn schon als Symbolvogel von einigem Erkenntniswert wie Sir Thomas Herbst 1634:

"Ihr Gesichtsausdruck ist so melancholisch, als ob sie sich der Ungerechtigkeit der Welt bewusst sind."

Vielleicht hat der Dodo ja immer schon besser als andere Arten gewusst, dass Aussterben ebenso zum Evolutionsgeschehen dazugehört, wie das Entstehen, schließlich kann man sich eine Welt, in der alle Arten auf ewig existieren, wohl nur als knallharter Kreationist vorstellen, der die Evolution leugnet. Überfüllt wäre diese Erde außerdem. Und doch gibt es verschiedene Varianten des Massensterbens.

Glaubrecht: "Es ist ein Naturphänomen, dass in der Evolutionsgeschichte bestimmte Arten immer wieder ausgestorben sind. Wir kennen auch katastrophale Massensterben in der Erdgeschichte. Es sind mindestens fünf. Wir reden deshalb von dem Menschen gemachten als das sechste Massensterben. Die fünf können wir in Verbindung bringen mit richtigen Faunenwechseln. Da ist die ganze Tier und Pflanzenwelt teilweise ausgerottet worden. Bei dem letzten vor 65 Millionen Jahren mussten die Dinosaurier dran glauben. Wir denken dass wir das korrelieren können mit einem Meteoriteneinschlag. Es gibt also extraterrestrische Verursachung zumindest sehr glaubhaft versichert für das letzte Aussterben. Das ist ein Prozess der naturgemäß da ist. Was wir machen ist, dass wir mit einer nie da gewesenen Geschwindigkeit Lebensräume und Tierarten vernichten und zwar in einer kurzen Zeit, in weniger als einem Jahrhundert ist der Dodo ja durch diese Aktivitäten der ersten Seeleute ausgerottet worden und er ist Sinnbild für die Schnelligkeit mit der der Mensch Arten und Tierpopulationen ausrotten kann."

Der Dodo war jedoch spätestens 1693 nicht nur ausgestorben, sondern darüber hinaus fast 200 Jahre auch vollkommen in Vergessenheit geraten. Erst Ende des 19. Jahrhundert tauchten Knochenfunde im Sammlerbesitz auf Mauritius auf, aus denen das einzige komplette Skelett eines individuellen Tieres in Port Louis zusammengesetzt ist. Ab 1865 wurde systematisch gegraben. Unter den 100 Knochen, die der Privatgelehrte George Clark zutage förderte, befanden sich immerhin 14 Schädel und 30 Wirbel.

Viele europäische Museen hatten auch längst schon Dodo-Überreste im Fundus: Knochen, Schnäbel, sogar den Kopf und Abgüsse davon. Doch alle Listen von Dodo-Material sind unvollständig. Ein angebliches Dodo-Ei im Naturkundemuseum Südafrikas gilt als Legende. Offenbar sind jedoch im 17. Jahrhundert einige Exemplare lebender Dodos in die Kuriositätenkabinette und Menagerien europäischer und asiatischer Regionalherrscher gelangt:

Den am schönsten erhaltenen Dodokopf sogar mit etwas mumifizierter Kopfhaut besitzt das Museum of Natural History von Oxford. Angeblich hat das Museum einmal einen vollständigen ausgestopften Dodo gehabt, den ein voreiliger Arbeiter wegen Mottenbefall des Federkleides bei Aufräumarbeiten Ende des 19. Jahrhunderts ins Feuer warf. Der Kopf mit Haupt wurde von einem umsichtigeren Museumsmitarbeiter wieder aus dem Feuer gerettet. Er ist nicht dauerhaft ausgestellt, ruht in Seidenpapier geschlagen im Depot des Museums. Es wirkt so, als schliefe er nur. In der ständigen Ausstellung ist nur eine Rekonstruktion des Oxford Dodo zu sehen und ein Gemälde des Breugelschülers Jerome Savery aus dem 17. Jahrhundert, der offenbar den kompletten lebenden Dodo noch gesehen hatte.

Fast ebenso war es dem zurückgezogen lebende Mathematiklehrer Charles Dogson ergangen, der sich ab 1856 das ausgestopfte Exemplar mit der kleinen Alice Liddel immer wieder im Museum angeschaut hatte. Dogson legte sich das Pseudonym Lewis Carrol zu und schrieb mit "Alice im Wunderland" eines der berühmtesten Kinderbücher der Literaturgeschichte, in dem er dem Dodo einen denkwürdigen Auftritt als absurdem Besserwisser und zerstreutem Professor auf den Leib schrieb. In der Illustration zum Buch ist der Dodo den Gemälden von Safari nachempfunden und das ist sein dadaistischer kulturhistorisch bedeutsamer Erstauftritt:

"Was ich sagen wollte," sprach der Dodo in gereiztem Ton, »war, dass das Beste Mittel uns zu trocknen ein Caucus-Rennen wäre. »Was ist ein Caucus-Rennen?" fragte Alice. »Nun,« meinte der Dodo, »die beste Art, es zu erklären, ist, es zu spielen.« Erst bezeichnete er die Bahn, eine Art Kreis »es kommt nicht genau auf die Form an,« sagte er, und dann wurde die ganze Gesellschaft hier und da auf der Bahn aufgestellt. Es wurde kein: »eins, zwei, drei, und los!« gezählt, sondern sie fingen an zu laufen wenn es ihnen einfiel, hörten auf wie es ihnen einfiel, sodass es nicht leicht zu entscheiden war, wann das Rennen zu Ende war. Als sie jedoch ungefähr eine halbe Stunde gerannt waren, rief der Dodo plötzlich: »Das Rennen ist aus!« und sie drängten sich um ihn, außer Atem, mit der Frage: »Aber wer hat gewonnen?« Diese Frage konnte der Dodo nicht ohne tiefes Nachdenken beantworten, und er saß lange mit einem Finger an die Stirn gelegt. Endlich sprach der Dodo: »Jeder hat gewonnen, und Alle sollen Preise haben."

Seit diesem Auftritt als absurd-komische Figur ist der Dodo nicht mehr wegzudenken aus der Kinderliteratur und auch die Macher des Eiszeitzeichentrickfilms "Ice-Age" konnten es sich nicht verkneifen, den netten dicken Vogel als dummes Tier in Szene zu setzten, das partout aussterben will. Die Eiszeit aber hat der Dodo im warmen Mauritius um Einiges überlebt. Es gibt außerdem Dutzende von Gemälden auf denen der Dodo, augenscheinlich nach Exemplaren, die Mitte des 17. Jahrhunderts nach Europa und Asien verschifft worden waren, verewigt worden ist – durchaus nicht immer als das besonders verfettete Exemplar, als das er mit den Gemälden von Savari zur Legende geworden ist.
Glaubrecht: "Die Bilder. Da ist umstritten ob sie tatsächlich die Tiere, so wie sie ausgesehen haben zeigen. Die werden da meistens als fette übermästete Truthähne dargestellt. Das mag daran liegen, dass die wenigen Tiere, die wirklich nach Europa gelangt sind, durch die Mästung, durch die Fütterung, die nicht adäquat gewesen ist, dieses etwas quasimodohafte Aussehen gehabt haben. Heute würde man ihn sich viel schlanker vorstellen als auf diesen alten Gemälden dargestellt ist."

Auf der ehemaligen Zuckerrohrplantage Mon Trésor im Süden von Mauritius, wo auch die meisten Dodo-Knochen gefunden worden sind, träumt Plantagenmanager Christian Foe Kune von einem "Dodo-Park" in dem mindesten die Geschichte des berühmtesten Inselbewohners dargestellt werden wird. Neuerdings keimen Hoffnungen auf, dass eines Tages wieder echte Dodos über die Insel tapsen könnten. Große Teile der DNA sind entschlüsselt worden, von einem der Beinknochen im Oxford-Museum. Beth Shapiro gehörte zum Team und schwärmt in einem Artikel in Nature und einem Vortrag betitelt "How to clone a Dodo" vom Unmöglichen. Erst das Mammut, dann der Dodo – kann man das Aussterben rückgängig machen?

Am Ende wird's wahrscheinlich nicht reichen. Zu wenig Erbgut des Dodos ist erhalten und auch wenn die niederländische Regierung alle ihre Resourcen auf das Projekt werfen würde, die Wiederbelebung des durch holländische Kolonialisten vom Antlitz der Erde gewischten Ausnahmevogel würde wahrscheinlich kein Erfolg werden. Wäre es aber außerdem überhaupt wünschenswert?

Glaubrecht: "Die Faszination ist groß und da kann sich glaub ich auch niemand entziehen, der sich damit beschäftigt. Das ist sicherlich auch unsere Sehnsucht, etwas was ausgestorben ist, nicht wirklich aussterben zu lassen und es wiederzubeleben. Uns wird das nicht gelingen. Da bin ich ganz sicher. () Es ist bei den Dinosauriern in Jurassic Park vorgeführt worden. Es ist eine schöne faszinierende Geschichte. Aber man muss eben dazu sagen. Sie ist bar jeder reellen Möglichkeit, die wir haben. Wir verstehen so wenig von den notwendigen zellulären Prozessen, dass uns allein die Erbsubstanz, oder ein kurzes Fragment der Erbsubstanz, was wir beim Dodo oder bei den Dinosauriern haben, dass uns das in keinster Weise reicht, um irgendein ausgestorbenes Leben wieder herzustellen. Es reicht uns auch beim Mammut nicht, wo wir relativ gutes Material aus dem Permafrost haben. Ich glaub wir sollten uns von der Idee verabschieden, dass wir damit ausgestorbene Tiere wiederbeleben können. Wir hätten auch den Lebensraum nicht mehr um diese Tiere leben zu lassen. Was wollen sie machen, wenn sie den Dodo auf Mauritius wieder ansiedeln wollen, dann müssen sie auch den Lebensraum wieder herstellen. Das ist noch viel viel schwieriger. Und wenn sie das Mammut in Sibierien wiederherstellen wollen, dann müssen sie auch den Lebensraum wieder herstellen. Auch das ist nicht ganz einfach. Ich glaube wir sollten viel, viel größere Anstrengungen darein stecken, zu verhindern, dass noch weitere Tiere um uns herum aussterben . Und das werden sie. Das ist die traurige Wahrheit, als uns dieser Utopie hinzugeben, wir könnten den Dodo wiederbeleben. Den haben wir auf ewig verloren."

Charles Darwin landete bei seiner Reise um die Welt ganz am Ende auf Mauritius. Niemand hat ihm 1836 von dem so spektakulär ausgestorbenen Vogel erzählt. Wenn Galapagos die Insel war, auf der die Geheimnisse des Entstehens der Arten zu entschlüsseln waren, dann ist Mauritius vielleicht der Ort, an dem man das Verschwinden der Arten begreifen kann. Und schließlich müssten die Menschen der Erfolgsgeschichte des Dodos erst einmal etwas Gleichwertiges entgegenzusetzen haben.

Glaubrecht: "Der Dodo hat sehr, sehr lange auf Mauritius überlebt. Wenn wir die molekulargenetischen Ergebnisse nehmen, dann müssen wir davon ausgehen, dass der mehrere Millionen Jahre auf dieser Insel war und er hat diese Millionen Jahre auf dieser Insel überlebt und zwar eine zehnfach so lange Zeit wie der Mensch auf dieser Erde ist. Wir müssten uns mindestens als genauso dumm bezeichnen wie den Dodo, denn er hat nachweislich länger auf Mauritius in seiner Flugunfähigkeit überlebt. Vielleicht werden Marsbewohner oder andere Besucher der Erde von uns auch mal so ähnlich wie von dem Dodo reden, denn wir sind ja auch dabei, viele der Dinge, die gerade nicht sehr adaptiert sind, zu betreiben und uns nicht an die obwaltenden Umweltbedingungen, von denen wir ja wissen, wie wir sie ändern, anzupassen. Vielleicht teilen wir ja auch das Schicksal und vielleicht ist das ja auch ein Grund unserer besonderen Faszination mit dem Dodo. Vielleicht ahnen wir insgeheim, dass er uns nur vorausgegangen ist."

Auf Mauritius raunen manche, der Dodo sei doch gar nicht verschwunden. Es gibt schließlich unzugängliche Täler mit alter Vegetation, und wenn man genau hinhört in der Nacht, kann man manchmal den Schrei des Dodos noch hören, meinen manche. Aber als Märchenfigur war der Dodo immer schon allen überlegen. Und als Symbol des Naturschutzes auch.