Suche nach der verlorenen Liebe
Protagonist in Jamie Fords Roman "Keiko" ist Henry. Er stammt aus einer chinesischen Familie. Als Jugendlicher verliebt er sich in Keiko, ein Mädchen japanischer Abstammung. Doch er verliert sie aus den Augen und begibt sich erst Jahrzehnte später auf eine Reise in die Vergangenheit.
"Keiko" erzählt die Geschichte des zwölfjährigen Henry, geboren in Seattle/USA in einer chinesischen Familie, der in den 1940er-Jahren von seinem Vater auf eine rein weiße Schule geschickt wird. Das ist nur das erste Paradox in Henrys Leben: Sein Vater ist chinesischer Nationalist und will doch, dass sein Sohn assimilierter Amerikaner wird. Er zwingt ihn sogar, nur noch Englisch zu sprechen -- mit dem Ergebnis, dass die Familie kaum noch kommuniziert, denn die Eltern sprechen fast kein Englisch.
So wird Henry als "Amerikaner" zu Hause ebenso zum Außenseiter, wie er es in der Schule als "Chinese" ist. Da lernt er Keiko kennen, eine Amerikanerin japanischer Abstammung. Die Kinder verlieben sich ineinander. Keikos weltoffene Eltern akzeptieren den jungen Chinesen. Der freilich hält seine Beziehung lange vor seinen Eltern geheim, denn für sie ist Japan aufgrund der japanischen Expansion im asiatischen Raum und speziell des Krieges gegen China der Todfeind schlechthin.
Nach dem Angriff der Japaner auf Pearl Harbour werden in den USA lebende Japaner ebenso wie japanischstämmige Amerikaner in Internierungslager gebracht. Henry besucht Keiko im Lager, beide versprechen sich, aufeinander zu warten, und schreiben sich jahrelang Briefe. Irgendwann versiegt der Briefwechsel (erst später erfährt man warum), und Henry gründet eine Familie.
Vier Jahrzehnte später: Henry hat seine krebskranke Frau bis zu ihrem Tod gepflegt, das Verhältnis zu seinem Sohn ist wortkarg. Da wird das lange leerstehende Panama Hotel renoviert, und im Keller finden sich die eingelagerten Besitztümer vieler damals internierter japanischer Amerikaner. Henry ist sicher, dass dort auch Keikos Sachen liegen, und er begibt sich auf die längst überfällige Reise in die Vergangenheit.
Der Roman ist durchgängig auktorial, also aus der Perspektive eines allwissenden Erzählers, erzählt: Es wechseln Kapitel aus der Gegenwart des Jahres 1986 mit solchen aus der Vergangenheit der 1940er-Jahre. Das ermöglicht es, die Suche nach einer verlorenen großen Liebe zugleich als die Suche nach der eigenen Identität zu erzählen. Denn Henry bemerkt mehr und mehr, dass sein Verhältnis zu seinem Sohn seinem eigenen Verhältnis zu seinem Vater ähnelt. Damit wird die Frage nach dem Einfluss der eigenen Herkunft und Geschichte auf das eigene Leben aufgeworfen: die variierende Wiederholung als Struktur, aber auch die Möglichkeit, das Muster zu verändern. Vor allem beleuchtet der Roman aus verschiedenen Perspektiven die Schwierigkeit eines Lebens zwischen den Kulturen und die brutale Art und Weise, wie Menschen andere Menschen aufgrund von Hautfarbe, Herkunft oder Geschlecht ausgrenzen.
Es sind also sehr wichtige Themen, die der Roman in die Lebens- und Liebesgeschichte eines einzelnen Menschen einflicht. Und er tut das streckenweise durchaus geschickt und so, dass man lesend am Ball bleibt. Allerdings hätte der Roman ein gründlicheres Lektorat benötigt. Man hört leider bisweilen die Konstruktion knirschen, der Roman könnte mehr erzählerische Spannung vertragen, und manche Figuren gewinnen zwar Leben, aber sie verlieren es zwischendurch auch wieder, weil zuviel gesagt statt gezeigt wird. Auch scheint die Liebe von Keiko und Henry zum Jazz nachvollziehbarer als ihre lebenslange Liebe zueinander.
Dass Romane Handlungen und Personen konstruieren, ist ebenso selbstverständlich wie die Tatsache, dass der empirische Wahrheitsgehalt kein Qualitätskriterium für Literatur ist. Ein Qualitätskriterium ist hingegen sehr wohl, wie plausibel die Konstruktion ist: Man sollte sie beim Lesen vergessen und sich ganz und gar auf die Geschichte einlassen können. Das gelingt "Keiko" nur streckenweise. Kein großer Roman also -- wenn auch ein durchaus lesenswerter.
Rezensiert von Gertrud Lehnert
Jamie Ford: Keiko
Aus dem Amerikanischen von Werner Löcher-Lawrence
Bloomsbury Berlin 2009
380 Seiten, 19,90 Euro
So wird Henry als "Amerikaner" zu Hause ebenso zum Außenseiter, wie er es in der Schule als "Chinese" ist. Da lernt er Keiko kennen, eine Amerikanerin japanischer Abstammung. Die Kinder verlieben sich ineinander. Keikos weltoffene Eltern akzeptieren den jungen Chinesen. Der freilich hält seine Beziehung lange vor seinen Eltern geheim, denn für sie ist Japan aufgrund der japanischen Expansion im asiatischen Raum und speziell des Krieges gegen China der Todfeind schlechthin.
Nach dem Angriff der Japaner auf Pearl Harbour werden in den USA lebende Japaner ebenso wie japanischstämmige Amerikaner in Internierungslager gebracht. Henry besucht Keiko im Lager, beide versprechen sich, aufeinander zu warten, und schreiben sich jahrelang Briefe. Irgendwann versiegt der Briefwechsel (erst später erfährt man warum), und Henry gründet eine Familie.
Vier Jahrzehnte später: Henry hat seine krebskranke Frau bis zu ihrem Tod gepflegt, das Verhältnis zu seinem Sohn ist wortkarg. Da wird das lange leerstehende Panama Hotel renoviert, und im Keller finden sich die eingelagerten Besitztümer vieler damals internierter japanischer Amerikaner. Henry ist sicher, dass dort auch Keikos Sachen liegen, und er begibt sich auf die längst überfällige Reise in die Vergangenheit.
Der Roman ist durchgängig auktorial, also aus der Perspektive eines allwissenden Erzählers, erzählt: Es wechseln Kapitel aus der Gegenwart des Jahres 1986 mit solchen aus der Vergangenheit der 1940er-Jahre. Das ermöglicht es, die Suche nach einer verlorenen großen Liebe zugleich als die Suche nach der eigenen Identität zu erzählen. Denn Henry bemerkt mehr und mehr, dass sein Verhältnis zu seinem Sohn seinem eigenen Verhältnis zu seinem Vater ähnelt. Damit wird die Frage nach dem Einfluss der eigenen Herkunft und Geschichte auf das eigene Leben aufgeworfen: die variierende Wiederholung als Struktur, aber auch die Möglichkeit, das Muster zu verändern. Vor allem beleuchtet der Roman aus verschiedenen Perspektiven die Schwierigkeit eines Lebens zwischen den Kulturen und die brutale Art und Weise, wie Menschen andere Menschen aufgrund von Hautfarbe, Herkunft oder Geschlecht ausgrenzen.
Es sind also sehr wichtige Themen, die der Roman in die Lebens- und Liebesgeschichte eines einzelnen Menschen einflicht. Und er tut das streckenweise durchaus geschickt und so, dass man lesend am Ball bleibt. Allerdings hätte der Roman ein gründlicheres Lektorat benötigt. Man hört leider bisweilen die Konstruktion knirschen, der Roman könnte mehr erzählerische Spannung vertragen, und manche Figuren gewinnen zwar Leben, aber sie verlieren es zwischendurch auch wieder, weil zuviel gesagt statt gezeigt wird. Auch scheint die Liebe von Keiko und Henry zum Jazz nachvollziehbarer als ihre lebenslange Liebe zueinander.
Dass Romane Handlungen und Personen konstruieren, ist ebenso selbstverständlich wie die Tatsache, dass der empirische Wahrheitsgehalt kein Qualitätskriterium für Literatur ist. Ein Qualitätskriterium ist hingegen sehr wohl, wie plausibel die Konstruktion ist: Man sollte sie beim Lesen vergessen und sich ganz und gar auf die Geschichte einlassen können. Das gelingt "Keiko" nur streckenweise. Kein großer Roman also -- wenn auch ein durchaus lesenswerter.
Rezensiert von Gertrud Lehnert
Jamie Ford: Keiko
Aus dem Amerikanischen von Werner Löcher-Lawrence
Bloomsbury Berlin 2009
380 Seiten, 19,90 Euro