Suche nach der idealen Gesellschaft

22.02.2011
Seit jeher beschäftigen sich Menschen damit, wie die Welt um sie herum besser und gerechter sein könnte – das Ideal dafür haben sie in der Vergangenheit oder der Zukunft gesucht, auf neu entdeckten Kontinenten oder auf unbekannten Inseln. Gregory Claeys, Professor für Politikwissenschaft in London, hat nun eine Geschichte der Utopie vorgelegt.
Thomas Morus veröffentlichte 1516 ein Buch, dessen verkürzter Titel als Synonym für eine ideale Welt, eine Wunschvorstellung einging: Utopia. Ein Reisender namens Raphael Hythlodaeus (der griechische Name bedeutet "Schaumredner") berichtet von einer Insel, genannt Utopia. Der Inselname ist ein Kunstwort, eine Mischung aus eutopia - guter Ort und outopia - kein Ort. Die Menschen dort leben in einer Republik, aller Besitz ist gemeinschaftlich, die Behandlung der Kranken ist kostenlos, es gibt öffentliche Speisesäle und ein zentral organisiertes Wirtschaftssystem mit einem sechsstündigen Arbeitstag, wobei Arbeitspflicht für alle besteht.

Zahlreiche praktische Versuche, bessere Gesellschaften zu errichten, bauen auf Thomas Morus’ Ideen auf. So die Siedlungen, die der walisische Fabrikbesitzer und Sozialreformer Robert Owen im frühen 19. Jahrhundert errichtete. Zwar waren in New Lanark, Owens Fabrikdorf in Schottland, die Fabriken kein Gemeineigentum. Sie gehörten weiter Owens, doch der beteiligte immer mehr die Arbeiter an den Einkünften. Er erhöhte die Löhne, baute Schulen und schuf eine Kranken- und Sozialversicherung. Am Ende scheiterte sein Experiment an den wirtschaftlichen Verhältnissen – und heute ist die Siedlung Weltkulturerbe.

Claeys durchwandert in seinem gut lesbaren und sehr schön, bilderreich ausgestatteten Buch die Geschichte der Mythen und Religionen, weist auf utopische Entwürfe im Christentum hin wie die Waldenser im Frankreich des 12. Jahrhunderts, die kein Privateigentum zuließen, oder auf frühe chinesische Texte, die Gesellschaften in Frieden und Harmonie beschreiben. Er beschäftigt sich mit der Konstruktion idealer Städte, mit literarischen und verfilmten Utopien, mit traditionellen Glaubensgemeinschaften auf dem Land und Hippie-Landkommunen in Kalifornien.

Die Suche nach Utopia, der idealen Welt, in der alle Menschen glücklich leben sollen, hat mancherlei hervorgebracht: Positives wie New Lanark, Absurdes wie sektenähnliche Kommunen, aber auch Grauenvolles. Der Utopismus trägt die Saat des Totalitarismus in sich und so widmet sich Claeys auch ausführlich den so genannten Dystopien wie sie literarisch vor allem Huxley mit "Schöne neue Welt" und Orwell in "1984" vorlegten und wie sie Realität in den totalitären Regimes des 20. Jahrhunderts waren.

Für Claeys überwiegt dennoch das Positive bei der Suche nach Utopia. Er findet: Ohne das Bild einer idealen Welt hätte die Menschheit nie für eine Verbesserung ihres Lebens gekämpft und würde es heute auch nicht mehr tun. Utopia sei der Leitstern auf unserem Weg zu einem besseren Leben.

Besprochen von Günther Wessel

Gregory Claeys, Ideale Welten. Die Geschichte der Utopie.
Aus dem Englischen von Raymond Hinrichs und Andreas Model
Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 2011
224 Seiten, 29,90 Euro