Suche nach der eigenen Herkunft

Von Elisabeth Nehring · 11.12.2008
Nach drei Stücken, die große Texte zum Gegenstand hatten – Schillers "Wallenstein", dem ersten Band von Karl Marx’ "Kapital" und den "Breaking News" der Abendnachrichten – gilt die neue Produktion "Black Tie" dem mikroskopischen Blick auf die Schriftsätze des Lebens und kreist um das schwarze Loch der Herkunft.
Miriam Stein, koreanischer Herkunft und Adoptivkind deutscher Eltern, hat die Anfänge ihrer persönlichen Geschichte von anderen erfahren: 1977 in Seoul in einer Pappschachtel und in Zeitungspapier gewickelt aufgefunden, Kinderheim und schließlich Adoption nach Deutschland. Die junge Frau erzählt über ihre Kindheit, über das stete "Anderssein" und dass sie, wenn sie in den Spiegel schaute, nie so aussah, wie sie sich fühlte. Führt uns außerdem ein in die Geschichte Koreas und lässt uns teilhaben an ihrer ersten Reise als junge Erwachsene in ihr Herkunftsland, das sie eigentlich überhaupt nicht kennt – wie sich ihr Gesicht im Glas spiegelte zwischen vielen anderen Gesichtern, und wie sie sich zum ersten Mal nicht sofort erkannte, weil alle anderen auch so aussahen wie sie und dass sie gleichzeitig dennoch kein Wort verstand, weil sie kein koreanisch spricht.

Brüche zwischen der äußeren Realität und dem inneren Gefühl, die sich in so einem Leben abspielen – sprunghaft und erzählt in kleinen Ausschnitten auf der Bühne des überschaubaren HAU 3 erzählt von Miriam Stein, die keine Schauspielerin, sondern eigentlich Journalistin ist und die bei aller anfänglichen Unsicherheit mit sympathischer Natürlichkeit agiert und zunehmend sicherer und professioneller wird.

Dem Geheimnis ihrer Herkunft kommt Miriam Stein nicht näher, weder durch die Reise ins entferne Korea, noch durch Genanalysen, die sie von zwei verschiedenen Firmen durchführen lässt. Letztere geben ihr zwar Aufschluss über genetische Dispositionen für bestimmte Krankheiten – mehr über ihre Eltern erfährt sie auf diesem Weg jedoch nicht.

Einige Konflikte, die Miriam Stein anreißt, weisen exemplarisch über ihre individuelle Geschichte hinaus: die Diskrepanz zwischen Innen und Außen, die latente Verpflichtung zur Dankbarkeit, das Gefühl eine "Versuchsanordnung" zu sein und die damit einhergehende Entfremdung sowie die Tatsache, dass sie das eigene Leben in Bezug zu einer Zahl, einem Geldwert setzen muss (insgesamt 100.000 DM hat sie den Adoptiveltern gekostet). Doch hätte man sich, bei aller Sympathie genau an diesen Stellen mehr Tiefe gewünscht; die Herausarbeitung, Verschärfung, Zuspitzung der spezifischen Konflikte, die in einem Leben durch das ‚schwarze Loch der Herkunft’ entstehen.

Die widerstreitenden Prinzipien des Dokumentarischen, das auf der Bühne zwar echtes Leben erzählen, aber zugleich niemanden bloßstellen will, und das des Theater, das immer den Konflikt sucht und herausstellt, vermögen Daniel Wetzel und Helgard Haug, die Regisseure des Theaterkollektivs Rimini Protokoll, dieses Mal zwar in einem netten Abend, nicht aber in einer wirklich tiefenwirksamen Inszenierung aufeinanderprallen zu lassen.