Suche nach dem Trick für den Kick

Von Michael Laages |
Das neue Jahr steht im Zeichen der Fußball-Weltmeisterschaft: Ziehen die Theater mit? So sehr sich Regisseure und Intendanten um Stücke zu diesem Thema bemühen, so rar sind die Autoren, die den richtigen Trick für den Kick gefunden haben.
Von wegen Dramatik – eher müde scheint die Partie sich bis in die Nachspielzeit geschleppt zu haben; beim 0:0 ist es geblieben. Die Männer auf den Rängen sind nun ganz mit sich allein – und mit der, nächst dem Fußball, schönsten Nebensache der Welt: Frauen, Weibern, Mädels, Schneckchen. Und wie sie vorher 90 Minuten lang ihre Helden auf dem grünen Rasen begröhlt haben, so greinen sie nun etwa genau so lange ihren gegenwärtigen oder gewesenen, erträumten oder versäumten Verhältnissen hinterher - "Männer 06", einer der älteren Liederabende der theatralischen Allzweckwaffe Franz Wittenbrink, hatte schon bei der Uraufführung 1997 im Grunde nichts mit Fußball zu tun. Jetzt, im Jahr der WM, ist dieser "Stadiongesang" nun nurmehr eine Mogelpackung: mit nur ein paar Miniatürchen in Sachen Kicker-Kunst, Franz-Beckenbauer-Poesie für 22 stramme Waden etwa.

Doch das muntere Mogeln in Hannover ist durchaus symptomatisch. Denn das Spiel mit dem Spiel findet im Grunde eher selten auf der Bühne statt. So sehr sich nämlich Regisseure und Intendanten stets nach der Nähe zum Sport der Massen gesehnt haben, so rar sind die Autoren, die, Hacke-Spitze-Eins-Zwei-Drei, den richtigen Trick für den Kick auf der Bühne gefunden haben. Deshalb behelfen sich auch so viele Bühnen mit "Stadiongesang" – bei dem dann wohl, wenn’s ganz volkstümlich wird, auch immer noch der Theodor im Fußballtor steht.

Immerhin machen es sich die Strategen der Fußball-Liederabende nicht so einfach wie das Kölner Schauspiel - das mögliche Fußball-Sehnsüchte einfach mit dem Gastspiel der "Maracana"-Choreografie der Brasilianerin Debra Colker bedient. Friedrich Schirmers Hamburger Schauspielhaus bittet im Mai immerhin mit Erik Gedeon zur brandneu sortierten "Abseits. Melodie", und die Kollegen in Düsseldorf montieren ähnliche szenisch-musikalische Kostbarkeiten unter dem Titel "Brot und Spiele". Literatur gibt’s ja allemal genug – über Ödön von Horvaths "Sportgeschichten", vor Jahren dramatisiert am kleinen, mutigen und längst wieder weggesparten Theater Wismar, bis zu den immer noch urkomischen Fußball-Hörspielen von Ror Wolf.

Nur Stücke gibt’s halt nicht. Oder kaum. Jedenfalls sehr selten mal eins, das auf den ersten Blick schon nach Inszenierung schreit. Eher zu Recht vergessen sind Klaus Pohls "Manni Ramm" oder Wolf-Dietrich Sprengers "Null zu Null oder Die Wiederbelebung des Angriffsspiels"; auch "Der Pott" von Sean O’Casey wurde seit Peter Zadek in den 70er Jahren nicht mehr angepackt. Elfriede Jelineks "Sportstück", dieses Jahr in Leipzig, ist kaum fussball-kompatibel, Thomas Brussigs Jugendtrainermonolog "Leben bis Männer" (derzeit unter anderem in Halle) nicht eben eine Theaterakete. Zum Stück des Jahres wird sich absehbar Marc Beckers prinzipiell sehr pfiffige, vor zwei Jahren in Jena uraufgeführte Chor-Fantasie "Wir im Finale" mausern – das Bremer Theater zeigt das Stück schon, Hannover folgt noch diesen Monat, Leipzig im Frühjahr.

Echte Entdeckungen bleiben rar: Oliver Schmaerings jüngstes Stück "Mal verlieren wir, und mal gewinnen die anderen", das am 14. Januar in Halle uraufgeführt wird und allemal das Zeug zur hoch intelligenten Montage fußballalltäglicher Stimmungen hat; inklusive doppeltem Boden.

Und es kommt noch viel komischer – der Autor nimmt sogar den dramatischsten aller Fußballtheaterklassiker aufs Korn: ost-westlich reportiert das WM-Endspiel 1954 in Bern.

Schmaering lässt nun gar ausgerechnet Wilhelm Pieck Rahns Torschuss doch noch halten. Und anno 1974 in Hamburg füllt DDR-Stürmer Jürgen Sparwasser lieber einen Ausreiseantrag aus, statt das 1:0 gegen den Klassenfeind zu erzielen. Sehr komisch.

In Berlin schließlich wird mit Unterstützung des Maxim-Gorki-Theaters die potenziell verrückteste Überraschung vorbereitet: "Fußballspieler und Indianer", eine Kicker- und Urwald-Farce des Prager Frühmodernisten Melchior Vischer aus dem Jahre 1924. Helfer dafür sind immer noch willkommen.