Subtile virtuelle Welt

Pädophilie, Bilder minderjähriger Mädchen im Internet und viel Action sind die Zutaten des Kriminalromans "Blaue Augen". Der Norweger Jan-Sverre Syvertsen geht mit dem bekannten Handlungsmuster aber unerwartet um. In seinem Buch lässt sich eine Mädchengang ihre erotischen Posen vor der Webcam teuer bezahlen und erpresst immer höhere Summen.
Der Name Marc Dutroux steht für eine Abfolge beispielloser Verbrechen an jungen Mädchen und Frauen, die in den 1990er Jahren in Belgien begangen wurden. Der Chefredakteur der belgischen Tageszeitung "De Standaard" schrieb nach der Urteilssprechung 2004, bei der Dutroux zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, er sei "Synonym für alles Böse in dieser Welt".

Dass das Verbrechen nicht erst seit Dutroux viele Gesichter hat und unter den Augen der Öffentlichkeit geschieht, ist eine traurige Tatsache. Dabei lässt sich beobachten, dass die globale Vernetzung des organisierten Kindesmissbrauchs in den vergangenen Jahren perfektioniert wurde. Das Internet ermöglicht den Tätern eine leichte Kommunikation, so dass die gewünschte "Ware" in kurzer Zeit nahezu spurlos versendet werden kann.

Der Norweger Jan-Sverre Syvertsen (Jg. 1968) hat für sein Prosadebüt nicht nur dieses komplizierte Thema gewählt, sondern bezeichnet "Blaue Augen" eindeutig als Kriminalroman. Damit scheint er sich bewusst auf einen Balanceakt zwischen Actionthriller und Psychodrama einzulassen.

In der südnorwegischen Stadt Ski verschwindet das 14-jährige Mädchen Tonje Kvamme. Es stellt sich die Frage, ob Tonje lediglich die vermeintliche Freiheit des Teenagerdaseins feiert oder Opfer eines gewaltsamen Übergriffs geworden ist. Mit der Aufklärung wird deshalb nicht nur die Kommissarin Lisa Lunde beauftragt, sondern auch ein Schulpsychologe, der Einblick in Tonjes soziales Umfeld hat.

Damit konfrontiert Syvertsen zwei Welten, die in ihrer Perspektive auf den Fall konträrer nicht sein könnten und per se schon für reichlich Spannung sorgen. Kommissarin Lunde leidet – wie alle ehrgeizigen Ermittler - aufgrund beruflicher Überbelastung an permanentem Schlafmangel, während sich der Psychologe Sander Mørk gerade im wohlverdienten Sommerurlaub befindet.

Doch Syvertsen geht mit dem allzu bekannten Handlungsgerüst unerwartet um. Bei den Ermittlungen stellt sich heraus, dass Tonje einer Mädchengang angehört, die nicht daran denkt, sich passiv in den weiblichen Opferstatus zu fügen. Mit geschenkten Geldkarten und Webcams agieren sie im Chatroom und lassen sich ihre erotischen Dienste teuer bezahlen. Sie erpressen immer größere Geldsummen und drohen, ihr Wissen publik zu machen, falls die Zahlungen nicht pünktlich erfolgen.

Was ein perfektes Spiel zu sein scheint, wird bald grausige Wirklichkeit. Denn hinter den technischen Geräten, die eine sichere Distanz nicht wirklich garantieren, stehen globale Netzwerke mit einem gewaltigen Finanzpotenzial. Indem Syvertsen die Fakten nur andeutet und aus der Sicht der Teenager naiv deutet, offenbart sich die virtuelle Welt als ein äußerst bedrohlicher Bereich. Für Tonje geht es nun um Leben und Tod.

Rezensiert von Carola Wiemers

Jan-Sverre Syvertsen "Blaue Augen". Kriminalroman.
Deutsch von Hanne Hammer. Die norwegische Originalausgabe erschien 2007 unter dem Titel "Øyne Blå". Dumont 2008. 255 Seiten. 19,90 Euro.