Subtil präsentes Leistungsdenken

Elsbeth Stern und Aljoscha Neubauer räumen mit einigen Vorurteilen zur Intelligenz auf. Zum Beispiel mit falschen Vorstellungen über den Nutzen frühkindlicher Förderung. Unterschwellig ist das Buch allerdings von einem elitären Leistungsdenken geprägt, das an keiner Stelle in Frage gestellt wird.
Was ist Intelligenz? Wie kann man sie erkennen, messen und fördern? Und vor allem: Macht sie den Menschen glücklich, zufrieden und erfolgreich? In ihrem Buch "Intelligenz. Große Unterschiede und ihre Folgen" geben Elsbeth Stern und Aljoscha Neubauer einen fundierten Überblick über ein mit vielen Vorurteilen beladenes Thema.

Intelligenz hat etwas mit der Verarbeitungsgeschwindigkeit von Informationen zu tun, dazu gehört nicht nur die Fähigkeit, Altes mit Neuem zu verknüpfen oder Prioritäten zu setzen und blitzschnell zu wechseln, sondern auch die Fähigkeit, Informationen zu hemmen, um sich ganz auf eine Sache zu konzentrieren. Zudem lässt sie sich durch Intelligenztests messen und bleibt ab einem Alter von 12-15 Jahren relativ stabil. Diese "robuste Größe" folgt innerhalb der Bevölkerung der Gaußschen Normalverteilung – 15% sind unterdurchschnittlich, 70 % durchschnittlich und 15 % überdurchschnittlich begabt.

Aber woher kommen diese Unterschiede? Wie in vielen Zwillingsstudien geklärt wurde, ist das maximale Intelligenzpotential angeboren, es liegt aber an der Umwelt, ob es sich voll entfalten kann. Und wie fördert man die kognitiven Fähigkeiten? Das Kapitel über die Entwicklung der Intelligenz gehört zu den Highlights des Buches, und räumt mit vielen falschen Vorstellungen über den Nutzen frühkindlicher Förderung auf.

In der Schwangerschaft genügt das Vermeiden toxischer Substanzen, im ersten Lebensjahr reichen "wohlwollende und kommunizierende Mitmenschen" und im Vorschulalter geht es vor allem darum, den Sprach- und Zählinstinkt des Kindes im Alltag zu fördern und ihm zugleich genug Ruhe für die Entfaltung seiner Konzentrationsfähigkeit zu gönnen. Am wichtigsten jedoch ist die Rolle der Schule, weil "sich die Intelligenz eines Menschen erst durch den Schulbesuch entwickeln kann". Hier geht es vor allem um die Unterrichtsqualität – ein wichtiger Beitrag zur Bildungsdebatte.

Nach einem Blick in das intelligente Gehirn, das im Frontalhirn mehr graue Zellen aufweist, stellt das Autorenduo fest: Intelligentere Menschen sind im Leben erfolgreicher, leben länger, weil sie klügere Entscheidungen treffen und sind generell glücklicher, vor allem, wenn sie einen Beruf und ein Umfeld haben, das zu ihrer kognitiven Begabung passt. Doch können Fleiß, Disziplin oder Motivation Intelligenz ersetzen? Nein, antworten die Autoren trocken: Die Vorstellung, "dass jeder unabhängig von seiner Intelligenz alles erreichen kann" sei nur ein Mythos.

Solche Formulierungen verweisen auf ein in allen Kapiteln subtil präsentes elitäres Leistungsdenken, das bis zu dem abschließenden Plädoyer der Autoren reicht, worin sie fordern, die Zugangsbedingungen für Universitäten radikal zu verschärfen. Dass das hinter solchen Forderungen stehende Welt- und Menschenbild, in dem allein der "robuste Faktor" Intelligenz dem einzelnen seinen Platz in der Gesellschaft zuweist, an keiner Stelle in Frage gestellt wird, ist schade. Zumindest von der renommierten Elstbeth Stern wäre etwas mehr Reflektion zu wünschen und zu erwarten gewesen.

Besprochen von Ariadne von Schirach

Elsbeth Stern/ Aljoscha Neubauer:
Intelligenz. Große Unterschiede und ihre Folgen

dva, München 2013
304 Seiten, 19,99 Euro