Subjektive Versionen der Natur

Von Johannes Halder |
Felder, Gärten, Himmel und Horizonte: Nirgendwo war Vincent van Gogh sich selbst so nah wie in der freien Natur, von der erdigen Gegend seiner holländischen Heimat bis zu den sonnendurchtränkten Kornfeldern Südfrankreichs. 70 Landschaftsgemälde versammelt die spektakuläre Schau "Zwischen Erde und Himmel" im Kunstmuseum Basel – Gedränge garantiert.
Es ist heiß, die Sommersonne brennt erbarmungslos, und weit und breit kein Schatten. In einem Weizenfeld bei Arles im Süden Frankreichs hat Vincent van Gogh seine Staffelei aufgestellt. Mitten im reifenden Getreide atmet er die glühende Luft und arbeitet wie im Fieber. Das Stakkato seiner Pinselstriche strukturiert die Halme und Ähren und teilt die Farben aus, Gelb und Rot und Braun für die Früchte des Feldes, das Blau bekommt der Himmel. Der Maler ist in seinem Element.

In diesem Sommer 1888 schreibt er in einem Brief an seinen Bruder Theo: "Ich arbeite sogar in der Mittagshitze in den Weizenfeldern und fühle mich wohl wie eine Zikade." Mit dem Bruder, der als Kunsthändler in Paris arbeitet, hat er einen Deal. Als Dank für das Stipendium, das dieser ihm gewährt, überlässt er ihm alle Landschaften, die er malt. Und das sind nicht wenige im Lauf der Zeit, 200 bis 300, und 70 sind hier ausgestellt.

Sie sind nach den Schauplätzen seines Lebens sortiert, fünf Kapitel vor dezent getönten Wänden, und legen eine Fährte durch sein ganzes Schaffen. Lange hatte der Maler mit sich gerungen, ob er denn ein Porträt- oder Landschaftsmaler sein wolle. Tatsächlich war er beides, und ein Stilllebenmaler dazu. Und doch, glaubt die Kuratorin Nina Zimmer, war er in der Landschaft wohl am meisten bei sich selbst:

"In der Natur hat er so eine Art unmittelbare direkte Auseinandersetzung mit der Schöpfung gesucht und gefunden. Und gerade das Zyklische der Natur, das Werden und Vergehen, die ewige Ordnung, in die der Mensch hineingestellt ist, das war für ihn quasi gelebte, empfundene Metaphysik."

Auch wenn es schwerfällt, all das zu abstrahieren, was Romane und Filme an Mythen und Legenden um den Maler aufgebaut haben – die Schau widersteht der Versuchung, van Goghs Werke als Chronik seiner seelischen Verzweiflung zu inszenieren und den Maler publikumswirksam zu pathologisieren.

Recht nüchtern führt sie das Drama seiner Kunst vor Augen und lässt uns mit den Bildern fast allein. Ferner von Farbe kann ein Werk kaum beginnen. In seinem holländischen Frühwerk legt er die erdigen Töne wie Teppiche auf Felder und Blumenbeete, Malweise und Motive noch typisch in der nationalen Tradition: eine Wassermühle, ein Friedhofsturm, die freudlos flache Landschaft von Brabant, Bauern bei der Feldarbeit, ein Paar beim Torfstechen, der Pfarrgarten im schmutzigen Schnee – eine melancholisch verschlammte, verschattete Welt.

Dann, im Februar 1886, kommt der von Selbstzweifeln geplagte junge Mann nach Paris – ein Schock. Schlagartig wird er sich seines gnadenlos veralteten Stils bewusst. Doch innerhalb der beiden Jahre, die er in Paris verbringt, saugt er wie ein Schwamm die Kunst der Avantgarde auf. Faszinierend anzusehen, wie er seiner Leinwand Licht und Luft erobert, wie er tüpfelt, strichelt und die Farbe von den Dingen löst. Und als er dann in der Provence sein Paradies zu finden glaubt, hält ihn die Farbe ganz gefangen: der weiße und rosarote Blütenrausch der Obstbäume, die sonnendurchtränkten Kornfelder mit ihren goldgelben Garben.

"Van Goghs Landschaften sind natürlich von ihm empfundene subjektive Versionen dieser Landschaft, aber innerhalb seiner Kunst ist ihm sehr wichtig, dass es objektiv beobachtete Landschaften sind, die Naturwahrheit beanspruchen."

Van Gogh brauchte das direkte Naturvorbild, auch körperlich, und also lässt er den Pinsel hüpfen, kreiseln, zittern und züngeln und pflügt die Farbe in die Bilder wie ein Bauer seine Felder furcht. So sehr steigert sich van Gogh in dieses Schauspiel zwischen Erde und Himmel, dass er in seiner missionarischen Verbohrtheit am Ende die Kontrolle über sich verliert, sich selbst verstümmelt und schließlich in die Klinik kommt.

"Wir zeigen aus dieser Phase in Saint-Rémy, wo van Gogh in der Heilanstalt war, eine ganze Reihe von Landschaften. Das war nämlich eine recht produktive Zeit für ihn. Er hat immer nur in den Phasen gemalt, in denen es ihm gut ging. Aus den Phasen, wo er wirklich geistig umnachtet war, gibt es kein einziges Bild."

In Auvers schließlich, in der Obhut des Arztes Paul Gachet, schöpft er nochmals Hoffnung. Er fasst den Plan, die gesamte Landschaft der Gegend in einer Serie extrem flacher Bildformate festzuhalten, breite Panoramen mit tief geduckten Horizonten – eine entfesselte Malerei, in der Schönheit und Schrecken verstörend eng beieinander liegen. Hier, in den mit schwerer Faust hingewühlten Abschiedsbildern erfüllt sich, was er früher mal gesagt hat: "In der Kunst muss man sein ganzes Leben aufs Spiel setzen."

Das wäre eigentlich genug für eine Schau. Und doch ist in Basel, ein Stockwerk tiefer, noch eine zweite zu sehen: 40 hauseigene Bilder von Zeitgenossen wie Cézanne, Corot, Monet und Gauguin, von Signac, Seurat, Pissarro und Renoir zeigen den Kontext, in dem van Goghs radikales Werk entstanden ist.

"Man kann fast mit den Augen van Goghs durch diese Ausstellung gehen und sich vorstellen: Das war das Panorama dessen, was ihm damals in Holland größtenteils unbekannt war."


Service:
Die Ausstellung "Zwischen Erde und Himmel – van Goghs Landschaften" ist bis zum 27. September 2009 im Kunstmuseum Basel zu sehen.