Stummfilmthriller und Elektrojazz
Auf ein Motto haben die Donaueschinger Musiktage heuer verzichtet und das ist auch besser so, zu unterschiedlich waren die rund 30 Uraufführungen des wichtigsten Festivals Neuer Musik. Allerdings zeichnete sich programmatisch doch eine Linie ab: die mehr oder weniger gelungene Verbindung von Film, Raum und Musik zog sich durch zahlreiche Werke.
Ein echter Reisser war die erste Zusammenarbeit des Filmemachers Edgar Reitz mit dem Komponisten und Dirigenten Johannes Kalitzke. „Ortswechsel“ heißt der pop-moderne Stummfilm, der allerdings das Publikum in zwei sich lautstark bekämpfende Lager spaltete. Zu Beginn sieht man den Auftritt der Musiker sowohl im Saal wie auf einer großen Leinwand, dann setzt die Musik ein.
Plötzlich irrt ein Scheinwerferkegel durch den Saal. Er bleibt bei mehreren vermeintlich normalen Zuschauern hängen, eine Frau in rotem Kleid springt auf und rennt hastig aus dem Raum, dicht gefolgt von einem jungen Mann. Das weitere Geschehen sehen wir auf der Leinwand: eine virtuose Verfolgungsjagd über dunkle Strassen, durchs Rotlichtviertel, vorbei an seltsamen Gestalten und merkwürdigen Orten. Auf einmal findet der zunehmend verschwitzte junge Mann rote Lackschuhe, immer wieder meint er, die Frau zu sehen, zu spüren. Durch geschickte Dramaturgie und neueste Digitaltechnik wandert das rot gekleidete Subjekt der Begierde regelrecht durch den Kopf des Mannes – und durch den des Zuschauers ebenso. Morphing-Effekte, Spiegelungen, ein ständiges In-die-Irre-Führen sorgen für Krimispannung. Auch die Ohren sind hellwach, denn Johannes Kalitzke entfesselt mit dem Ensemble Modern einen wahren Klangrausch voller Akkordgeklapper und aufgeheizten, leicht angejazzten Rhythmen. Zum Schluss verliert sich der Mann vollends in der Film-Matrix, während die gesuchte Dame ganz einfach zurück in den Zuschauerraum kommt und ein reales Lied von Liebe und den Wirrnissen der Realität zum besten gibt. Die Dame heißt übrigens in unserer Wirklichkeit Salome Kammer und ist eine zentrale Protagonistin aus Edgar Reitz‘ Filmtrilogie „Heimat“. Ihre stimmliche wie szenische Präsenz macht diesen „Ortswechsel“ vollends zum Ereignis.
Wie anders man mit Film und Musik umgehen kann, zeigte der Däne Simon Steen-Andersen mit seinem, pardon, Stückchen „Nothing Integrated“. Der Titel ist hier wahrlich Programm. Geschlagene zwanzig Minuten liefert das sonst eigentlich immer vorzügliche Freiburger „ensemble recherche“ unzusammenhängende Klangereignisse, allerlei Gekratze auf allerlei möglichen und unmöglichen Materialien sowie vokales Gekeuche. Dazu flimmern über gleich drei Leinwände Augen, Noten oder auch mal ein zuckender Mund. Steen-Andersen gelingt es bestens, alle Vorurteile gegen Neue Musik zu bestätigen und er bekommt es ganz nebenbei auch noch hin, die Kardinaluntugend aller Musik zu realisieren: gähnende Langeweile.
Insgesamt hielten sich die Enttäuschungen dieses Festivaljahrgangs jedoch im Rahmen, vor allem die großen alten Neutöner boten aufregendes. Etwa Klaus Huber, der mittlerweile dreiundachtzigjährige Mentor und Lehrer von Szene-Stars wie Wolfgang Rihm, Toshio Hosokawa oder Brian Ferneyhough. Huber gelang mit „QUOD EST PAX?“ ein wirklicher Wurf. Er verkomponierte zwei feinsinnig-spirituelle Gedichte von Octavio Paz sowie den späten Derrida-Text „La raison du coeur“ und brachte die eigentlich sehr unterschiedlichen poetischen Welten in einen vorsichtig tastenden Dialog. Ausgedehnte, erdige Streicherbögen kommunizieren mit sehr hohen Flageoletts, das Ge- oder Versungene bekommt breiten Raum zum Atmen.
Ähnlich intensiv war GOYA I, eine Uraufführung von Helmut Oehring. Oehring ließ sich vor allem durch Goyas Radierung „Yo lo vi“ (zu deutsch: „Das sah ich") anregen, auf der eine Mutter ihr Kind vor den herannahenden Schrecken des Krieges zu schützen versucht. Oehrings Musik ist impulsiv und kraftvoll, viele Tempiwechsel sorgen für einen unruhigen Klangfluss, den aber immer wieder sanfte Geräusche wie knisterndes Papier oder raschelnde Plastikfolien etwas aufhellen. So entsteht eine diffuse, verschwommene Atmosphäre, die das ungewisse, bedrohte Schicksal der Menschen auf Goyas Bild bestens charakterisiert.
Auch die Jazzenthusiasten kamen in Donaueschingen auf ihre Kosten. Elliot Sharp kreierte mit „Ripples From The Bang“ einen eher meditativen Riff-Trip, während Bernhard Lang einige Teile aus seiner letzten Oper „Der Alte vom Berge“ zu einem mal besinnlichen, mal dancefloortauglichen, aber immer konsequent elektronisch hochgerüsteten Best-of-Mix amalgamierte. Langs mittlerweile sattsam bekannte Loopgrammatik besitzt hier eine besondere Pointe: verschliffen und wiederholt werden nämlich vorwiegend Texte oder Textbrocken aus dem semantischen Feld Anschlag, Attentat und Terrorismus. Ein zeitgemäßer Kommentar ebenso zur alltäglichen Terrorgefahr wie zu den übereifrigen Sicherheitsfanatikern, die uns – wie Langs Vokalsolisten – endlos die selben Warnungen um die Ohren schlagen.
Plötzlich irrt ein Scheinwerferkegel durch den Saal. Er bleibt bei mehreren vermeintlich normalen Zuschauern hängen, eine Frau in rotem Kleid springt auf und rennt hastig aus dem Raum, dicht gefolgt von einem jungen Mann. Das weitere Geschehen sehen wir auf der Leinwand: eine virtuose Verfolgungsjagd über dunkle Strassen, durchs Rotlichtviertel, vorbei an seltsamen Gestalten und merkwürdigen Orten. Auf einmal findet der zunehmend verschwitzte junge Mann rote Lackschuhe, immer wieder meint er, die Frau zu sehen, zu spüren. Durch geschickte Dramaturgie und neueste Digitaltechnik wandert das rot gekleidete Subjekt der Begierde regelrecht durch den Kopf des Mannes – und durch den des Zuschauers ebenso. Morphing-Effekte, Spiegelungen, ein ständiges In-die-Irre-Führen sorgen für Krimispannung. Auch die Ohren sind hellwach, denn Johannes Kalitzke entfesselt mit dem Ensemble Modern einen wahren Klangrausch voller Akkordgeklapper und aufgeheizten, leicht angejazzten Rhythmen. Zum Schluss verliert sich der Mann vollends in der Film-Matrix, während die gesuchte Dame ganz einfach zurück in den Zuschauerraum kommt und ein reales Lied von Liebe und den Wirrnissen der Realität zum besten gibt. Die Dame heißt übrigens in unserer Wirklichkeit Salome Kammer und ist eine zentrale Protagonistin aus Edgar Reitz‘ Filmtrilogie „Heimat“. Ihre stimmliche wie szenische Präsenz macht diesen „Ortswechsel“ vollends zum Ereignis.
Wie anders man mit Film und Musik umgehen kann, zeigte der Däne Simon Steen-Andersen mit seinem, pardon, Stückchen „Nothing Integrated“. Der Titel ist hier wahrlich Programm. Geschlagene zwanzig Minuten liefert das sonst eigentlich immer vorzügliche Freiburger „ensemble recherche“ unzusammenhängende Klangereignisse, allerlei Gekratze auf allerlei möglichen und unmöglichen Materialien sowie vokales Gekeuche. Dazu flimmern über gleich drei Leinwände Augen, Noten oder auch mal ein zuckender Mund. Steen-Andersen gelingt es bestens, alle Vorurteile gegen Neue Musik zu bestätigen und er bekommt es ganz nebenbei auch noch hin, die Kardinaluntugend aller Musik zu realisieren: gähnende Langeweile.
Insgesamt hielten sich die Enttäuschungen dieses Festivaljahrgangs jedoch im Rahmen, vor allem die großen alten Neutöner boten aufregendes. Etwa Klaus Huber, der mittlerweile dreiundachtzigjährige Mentor und Lehrer von Szene-Stars wie Wolfgang Rihm, Toshio Hosokawa oder Brian Ferneyhough. Huber gelang mit „QUOD EST PAX?“ ein wirklicher Wurf. Er verkomponierte zwei feinsinnig-spirituelle Gedichte von Octavio Paz sowie den späten Derrida-Text „La raison du coeur“ und brachte die eigentlich sehr unterschiedlichen poetischen Welten in einen vorsichtig tastenden Dialog. Ausgedehnte, erdige Streicherbögen kommunizieren mit sehr hohen Flageoletts, das Ge- oder Versungene bekommt breiten Raum zum Atmen.
Ähnlich intensiv war GOYA I, eine Uraufführung von Helmut Oehring. Oehring ließ sich vor allem durch Goyas Radierung „Yo lo vi“ (zu deutsch: „Das sah ich") anregen, auf der eine Mutter ihr Kind vor den herannahenden Schrecken des Krieges zu schützen versucht. Oehrings Musik ist impulsiv und kraftvoll, viele Tempiwechsel sorgen für einen unruhigen Klangfluss, den aber immer wieder sanfte Geräusche wie knisterndes Papier oder raschelnde Plastikfolien etwas aufhellen. So entsteht eine diffuse, verschwommene Atmosphäre, die das ungewisse, bedrohte Schicksal der Menschen auf Goyas Bild bestens charakterisiert.
Auch die Jazzenthusiasten kamen in Donaueschingen auf ihre Kosten. Elliot Sharp kreierte mit „Ripples From The Bang“ einen eher meditativen Riff-Trip, während Bernhard Lang einige Teile aus seiner letzten Oper „Der Alte vom Berge“ zu einem mal besinnlichen, mal dancefloortauglichen, aber immer konsequent elektronisch hochgerüsteten Best-of-Mix amalgamierte. Langs mittlerweile sattsam bekannte Loopgrammatik besitzt hier eine besondere Pointe: verschliffen und wiederholt werden nämlich vorwiegend Texte oder Textbrocken aus dem semantischen Feld Anschlag, Attentat und Terrorismus. Ein zeitgemäßer Kommentar ebenso zur alltäglichen Terrorgefahr wie zu den übereifrigen Sicherheitsfanatikern, die uns – wie Langs Vokalsolisten – endlos die selben Warnungen um die Ohren schlagen.