Studio Orka bei der Ruhrtriennale

Wie sich ein einsamer Mann in ein Theaterstück verirrt

Impressionen von der Ruhrtriennale 2015: Stühle stehen vor der Kohlenmischhalle der Zeche Lohberg in Dinslaken, einem der Spielorte.
Impressionen von der Ruhrtriennale 2015: Stühle stehen vor der Kohlenmischhalle der Zeche Lohberg in Dinslaken, einem der Spielorte. © picture alliance / dpa
Von Stefan Keim · 15.08.2015
Das Stück "Sturzflug" erzählt von einem einsamen Mann, der mit einer selbst gebauten Maschine Müll aus dem Fluss holt. Er bearbeitet die Dinge, die andere weggeworfen haben. Das Künstlerkollektiv Studio Orka inszeniert die Geschichte bei der Ruhrtriennale unter freiem Himmel an der Emschermündung in Dinslaken.
"Du solltest das einfach machen. Spring mal, das hab ich auch schon gemacht. – Würdest du bitte still sein, du Quatschnudel?"
Das Minard Theater in Gent. Eine Schauspielerin lernt Text. Sie muss einspringen im Stück "Sturzflug" von Studio Orka, und das ausgerechnet bei der Ruhrtriennale, wenn nicht auf flämisch, sondern auf deutsch gepielt wird.
"Mach die Biege! Mach die Biege! Das ist deutsch. Mach die Biege!"
Studio Orka produziert nur ein Stück pro Jahr. Es gibt ein Kernkollektiv aber immer wieder auch Schauspieler, die dazu engagiert werden. Jeder hat andere Jobs, deshalb ist die Terminplanung eine schwierige Sache. Martine Decroos ist die Regisseurin, sie hat mit ihrem Mann Philippe van de Velde Studio Orka vor elf Jahren gegründet.
Martine Decroos: "Ich und mein Mann Philippe, der die Bühnenbilder von Studio Orka macht, waren Designer. Wir haben Installationen und Ausstellungen für Kinder gemacht. Sehr pädagogisch war das damals. Nach zehn Jahren hat uns das ziemlich gelangweilt, und wir haben unser eigenes Studio Orka gestartet. Aber am Anfang gab es überhaupt keinen Bezug zum Theater."
In einer Ausstellung von Studio Orka über Gefühle lief ein Film, der viel Aufmerksamkeit auf sich zog. So fingen Martine Decroos und Philippe van de Velde an, sich für Schauspieler zu interessieren. Sie entwickelten Geschichten und näherten sich dem Theater. Aber immer noch steht bei einem neuen Projekt zuerst nicht der Text im Mittelpunkt.
Martine Decroos: "Wenn wir ein neues Stück anfangen, haben wir keinen Text. Wir wählen einen Spielort und eine Atmosphäre. Dann überlegen wir uns, was speziell an diesem Ort ist, welche Menschen hier wohnen oder vorbei kommen könnten. Irgendwann haben wir dann eine Menge Charaktere, vielleicht zehn oder 15, die alle vorkommen könnten. Dann improvisieren wir, schreiben den Text und wählen die Charaktere aus, um mit ihnen eine Geschichte zu erzählen."
Das Stück erzählt von einem einsamen Mann, der Müll aus dem Fluss holt
Das Stück "Sturzflug" ist schon drei Jahre alt. Es erzählt von Philippe, einem einsamen Mann, der mit einer komplizierten, selbst gebauten Maschine Müll aus dem Fluss holt. Er bearbeitet die Dinge, die andere weggeworfen haben, und gibt ihnen ein zweites Leben. Philippe ist menschenscheu, der einzige, nach dem er sich sehnt, ist sein verschwundener Bruder. Aber es kommen andere vorbei, ein Paketbote, eine Fährfrau und ein kleinwüchsiger Riese, dem niemand ansieht, dass er ein Riese ist.
Martine Decroos: "Wir hatten eigentlich eine ganz andere Geschichte. Alles sollte im Wald spielen. Aber als wir in Antwerpen probierten, gab es einen Vogel, der dort brütete. Ein Umweltschützer meinte, wir dürften den Vogel nicht stören. Er ging zur Regierung, es gab großes Aufsehen, wir mussten aufhören und einen anderen Spielort suchen. Das alles geschah sieben Wochen vor der Premiere. Wir mussten uns in sieben Wochen eine völlig andere Geschichte ausdenken."
Nun spielt das Stück in der Nähe eines Flusses, in Dinslaken läuft es open air an der Emschermündung. Die Sensation ist die Ausstattung, eine eigene Welt aus Röhren und nostalgisch anmutenden Maschinen, die zum Teil völlig absurd wirken. Natürlich gibt es viel Humor in dieser Aufführung, aber ebenso ernsthaftes Gefühl. Studio Orka macht zwar Theater, das sich an Kinder ab acht Jahren wendet. Aber deswegen, sagt Martine Decroos, werden die Konflikte nicht abgemildert, im Gegenteil.
Martine Decroos: "Wir schonen die Kinder nicht. Wenn wir streiten, tun wir das wie Erwachsene. Wenn man die Welten der Kinder und Erwachsenen mischt, bekommt man verrückte und berührende Geschichten. Manchmal fangen die Erwachsenen in unseren Vorstellungen an zu weinen. Die Kinder bemerken das natürlich und fragen sich, warum Mama in einer Kindervorstellung weint. Dann gibt es Gespräche zwischen Kindern und Eltern, die sehr interessant sind."
Unter freiem Himmel zu arbeiten, ohne die Begrenzungen einer Bühne, bietet Freiheit. Das neue Stück allerdings entwickelt Studio Orka erstmals in einem Theatergebäude, im Genter Minard Theater wird im Herbst Premiere sein. Aber jetzt müssen alle erst mal die deutschen Texte lernen, für die Gastspiele bei der Ruhrtriennale.
"Mach die Biege! Mach die Biege! Das ist deutsch. Mach die Biege!"