Angst vor der Krisenwelle

"Das große Problem bleibt die Unbestimmtheit"

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Illustration eines Mannes, auf den eine riesige Welle zurollt.
Bei der derzeitigen Nachrichtenlage sei es normal, Angst und Überforderung zu spüren, sagt der Psychologe Stephan Grünewald. © imago images / fStop Images / Malte Mueller
Stephan Grünewald im Gespräch mit Julius Stucke · 01.10.2022
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Angst und Ungewissheit treiben die Menschen angesichts zahlreicher Krisen um. Dabei ist der "psychische Rucksack" durch die Corona-Jahre bereits ziemlich vollgepackt. Psychologe Stephan Grünewald beklagt vor allem die politische Kommunikation.
Neben der Coronapandemie ist der Krieg in der Ukraine seit Monaten das Hauptthema. Neuerdings kommen die Angst um Preissteigerungen und Gasknappheit dazu. "Die Menschen erleben eine Krisensituation, die anbrandet und in gespenstischer Art und Weise unbestimmt ist. Niemand weiß genau, was auf ihn zukommt, ob er die Kosten stemmen kann", erklärt Psychologe Stephan Grünewald.

Soziales Gefälle

Er spricht von drei Momenten der Unbestimmtheit, die die Menschen derzeit umtreiben: ein möglicher Blackout, eine mögliche Energiekrise sowie die Entlastungspakete der Bundesregierung. Während man bange, ob man im Herbst und Winter in einer kalten dunklen Wohnung sitze, könne man die Entlastungen noch nicht ermessen, erklärt Grünewald. "Das große Problem bleibt die Unbestimmtheit. Die Menschen brauchen konkrete Erfahrungen, was das auch finanziell für sie bedeutet", so der Psychologe weiter.
Stephan Grünewald an seinem Schreibtisch sitzend.
Der Psychologe Stephan Grünewald sieht angesichts der Kride die Solidarität in der Gesellschaft schwinden.© picture alliance / dpa / Rolf Vennenbernd
Hinzu komme ein großes soziales Gefälle in Deutschland, das sich bereits seit dem ersten Corona-Lockdown deutlich zeige. Grünewald erklärt: "Jene am prekären Rand sehen überhaupt keine Sparpotenziale, denn sie haben bereits alles ausgereizt und große existenzielle Sorgen." Für diese Menschen grenzten die Sparappelle der Regierenden an Zynismus.

Appell an die Selbstwirksamkeit

Am anderen Rand stünden Besserverdienende, "die denken, sie könnten sich der Krise entziehen und sich das Sparen sparen. Dort beobachten wir einen Trotzkonsum", führt Grünewald aus. Dazwischen liege die bürgerliche Mitte, die spart, mehr arbeitet und versucht, das finanzielle Niveau zu halten.
Hinzu kämen eine mangelnde Motivation sowie eine Zunahme des Einzelkämpfertums. "Man ist allenfalls noch auf die eigene Familie bezogen, aber die große gesellschaftliche Solidarität schwindet."
Man müsse an die Selbstwirksamkeit der Menschen appellieren, rät Grünewald mit Blick auf die derzeitige politische Kommunikation. "Viele Energiespartipps kamen eher bevormundend rüber, wie beispielsweise der Rat zum Waschlappen." Dabei fühlen sich viele Menschen an ihre Kindheit erinnert und kleingemacht, sagt der Psychologe.
(lsc)

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