Studienplatzvergabe

Studentenwerk fordert verpflichtende Kooperation

Studenten in einem Hörsaal
Manche Plätze bleiben leer: Nicht alle Studienplätze werden auch tatsächlich vergeben. © Jan Woitas, dpa
Achim Meyer von der Heyde im Gespräch mit Dieter Kassel · 02.02.2015
Viele tausend Studienplätze bleiben jedes Semester unbesetzt. Der Generalsekretär des Studentenwerks fordert, alle Hochschulen an die zentrale Studienplatzvergabe anzuschließen. Denn es hapert vor allem am Nachrückverfahren.
Angesichts von tausenden unbesetzter Studienplätze spricht sich das Deutsche Studentenwerk dafür aus, die zentrale Vergabe über die Stiftung Hochschulstart zu stärken.
Der Generalsekretär des Studentenwerks, Achim Meyer auf der Heyde, sagte im Deutschlandradio Kultur, eine Beteiligung aller Hochschulen an dem zentralen Vergabeverfahren wäre sinnvoll. Im Moment sei die Beteiligung aber freiwillig. Wenn mehr Universitäten mitmachten, könnten freie Studienplätze auch zeitnah besetzt werden. Die Nachrückverfahren dauerten derzeit zu lange, sagte Meyer auf der Heyde.
Die Länder hätten ehemals die "ungeliebte" ZVS abgeschafft, obwohl sie "halbwegs funktioniert" habe, kritisierte Meyer auf der Heyde. Wenn sie die Hochschulen jetzt zur Teilnahme an der Stiftung verpflichteten, müssten sie sich diesen Fehler eingestehen.
In Masterstudiengängen gibt es eine zu starke Spezialisierung
Der Generalsekretär des Studentenwerks forderte die Hochschule zudem auf, nochmals über ihre Lehrangebote nachdenken. Gerade Plätze in Masterstudiengängen blieben unbesetzt. Das liege daran, dass es hier eine zu starke Spezialisierung gebe. Die Hochschulen müssten deswegen das Angebot der Nachfrage anpassen.

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Immer mehr Abiturienten drängen an die Hochschulen, die Vorlesungen sind überfüllt, Dozenten haben kaum noch Zeit für die Betreuung ihrer Studenten. Diese Meldung ist nicht neu, das hören wir so oder so ähnlich seit Jahren. Neu ist diese Meldung: Knapp 15.000 Studienplätze blieben im laufenden Semester unbesetzt. Das ist das Ergebnis einer Recherche von "Spiegel Online", und vermutlich ist diese Zahl noch zu niedrig, denn mehrere Bundesländer konnten gar keine konkreten Angaben machen. Tatsache aber scheint zu sein, es sind nicht unbedingt sehr spezielle, wenig nachgefragte Studiengänge an kleinen Unis, bei denen Plätze frei bleiben, sondern es sind auch beliebte Fächer an renommierten Hochschulen. Wie kann das sein? Darüber sprechen wir jetzt mit dem Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks, Achim Meyer auf der Heide. Einen schönen guten Morgen erst mal!
Achim Meyer auf der Heyde: Guten Morgen!
Kassel: Der Andrang ist groß, die Hörsäle sind überfüllt, sehr oft zumindest, das bezweifelt ja niemand, aber gleichzeitig jetzt diese Zahlen, mindestens 15.000 Studienplätze sind frei geblieben. Wie passt das für Sie zusammen?
Meyer auf der Heyde: Nun gut, es gibt natürlich Studierende, die sich an verschiedenen Hochschulen bewerben. Die bekommen dann irgendwann an einer Hochschule den Studienplatz und melden sich nicht rechtzeitig ab, und die Hochschulen sind nicht in der Lage, durch das Nachrückverfahren dann noch zeitgerecht zu besetzen. Und das hängt natürlich damit zusammen, dass wir auch kein zentrales Verfahren haben, an dem alle Hochschulen teilnehmen.
Kassel: Man hat ja 2008 die ZVS abgeschafft, die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen. Aber da gibt es ja im Prinzip einen Nachfolger, die Stiftung für den Hochschulzugang. Wäre da nicht die Lösung schlicht und ergreifend, dass die alle Studienplätze vermittelt? Warum tut sie es nicht?
Meyer auf der Heyde: Ich denke auch, das wäre sinnvoll, dass sie alle vermittelt. Im Moment ist es natürlich so, die Hochschulen sind ja nicht verpflichtet, sie beteiligen sich freiwillig daran. Und es wäre natürlich schön, wenn sich wesentlich mehr Hochschulen daran beteiligen würden, sodass zumindest zeitnah freie Studienplätze dann auch tatsächlich besetzt werden können. Ich glaube, es gibt aber auch noch einen zweiten Grund. Wenn man sich die Daten, die vorgelegt worden sind, etwas ansieht, dann sieht es ja zum Teil so aus, dass in vielen Ländern auch in größerem Maße Master-Plätze nicht besetzt sind. Und hier stellt sich natürlich die Frage, ob das Angebot dann auch der Nachfrage folgt, das heißt also, ob die Studierenden möglicherweise nicht andere Masterstudiengänge studieren wollen. Und hier müssten natürlich die Hochschulen individuell umsteuern.
Kassel: Das sind zwei verschiedene Dinge. Das eine ist die Frage, wie Sie es schon gesagt haben, passen Angebot und Nachfrage zusammen. Aber wenn wir doch noch mal kurz bei der Stiftung für den Hochschulzugang bleiben – so brandneu ist die inzwischen ja auch nicht mehr. Warum beteiligen sich denn immer noch so wenig Hochschulen an der Vergabe durch diese Stiftung?
Meyer auf der Heyde: Nun, ich vermag im Moment nicht genau zu beurteilen, ob das Verfahren jetzt schon so ausgereift ist. Andererseits gibt es da aber auch weiterhin eine Skepsis, sich zu beteiligen. Man möchte lieber selber besetzen, und manche Beispiele zeigen ja auch, wie die Universität Köln, dort scheint es gelaufen zu sein, aber es gibt natürlich auch eine überregionale Nachfrage, und hier geht es natürlich darum, dass die Studierenden dann auch überregional vermittelt werden, und das geht nur über eine zentrale Stelle, die das organisiert.
Kassel: Wenn man mit manchen Universitäten spricht, dann sagen die oft, wir würden ja durchaus bereit sein, alle unsere Studienangebote auch über die Stiftung für den Hochschulzugang vermitteln zu lassen, aber nur dann, wenn das wirklich alle tun. Aber solange viele sagen, wir machen es nicht, so lange es die anderen nicht machen, kann da doch auch nichts passieren?
Hochschulen zur Teilnahme verpflichten
Meyer auf der Heyde: Das ist völlig richtig. Wenn sich manche zurückhalten mit dem Argument, wir machen es nur, wenn es alle tun, dann heißt das natürlich eine Abwartehaltung, und ich glaube, hier müssen natürlich die Hochschulen vorpreschen, die sich bisher nicht beteiligt haben, dann werden die anderen tatsächlich auch folgen. Es sei denn, die Länder verpflichten sie dazu, und das wäre natürlich die nächste Frage. Aber die Länder haben damals die ungeliebte ZVS abgeschafft, obwohl sie halbwegs funktioniert hat, und sie müssten damit sich natürlich eingestehen, dass etwas, was sie abgeschafft haben, doch wohl ganz gut funktioniert hat, und die Hochschulen dann dazu verpflichten.
Kassel: Haben Sie das Gefühl, die Länder und vielleicht auch gerade der Bund haben eigentlich den Glauben an diese Stiftung schon verloren?
Meyer auf der Heyde: Nein, das habe ich nicht. Der Bund hat ja da keine Karten drin. Es sind ja eher die Länder, die natürlich die Verteilung organisieren müssen. Denn es ist ihre Aufgabe oder ihre Verantwortung. Sie finanzieren die Hochschulen. Der Bund war ja sogar noch dabei und hat die Stiftung mit finanziert. Und er müsste natürlich ein Interesse haben, dass die Stiftung funktioniert. Aber vorrangig ist es die Verantwortung der Länder.
Kassel: Sie haben es schon erwähnt. Es gibt natürlich auch einige Universitäten in Deutschland, bei denen das sehr gut zu funktionieren scheint, auch ohne diese Stiftung. Köln haben Sie selber als Beispiel schon genannt, Bochum wird gelegentlich noch erwähnt. Was machen die denn richtig, was andere falsch machen?
Meyer auf der Heyde: Ich glaube, die Hochschulen versuchen, sehr zeitnah zu gucken, welche Studienplätze frei sind, und die dann noch zu besetzen und natürlich auch die jungen Bewerber dann auch auf diese Studienplätze zu vermitteln. Und das ist selbstorganisiert, aber es gibt natürlich trotzdem da eine Menge Studierende, die auch leer ausgehen. Und insofern glaube ich tatsächlich, dass es nur über eine überregionale Verteilung geht, die auch tatsächlich hilft.
Kassel: Eine überregionale Verteilung, die vielleicht auch ein bisschen die Wahlmöglichkeiten reduziert. Denn wir wissen ja, es gibt gewisse Universitäten, gewisse Studiengänge, da will jeder hin. Es gibt Universitäten, die durchaus nicht schlecht sind, aber sie liegen vielleicht nur nicht besonders günstig. Nehmen wir Greifswald als Beispiel, da wollen dann weniger hin. Das erinnert mich auch so ein bisschen an den Wohnungsmarkt. Das heißt, man müsste vielleicht auch mehr steuern?
Meyer auf der Heyde: Na ja, es gibt natürlich schon noch eine Wahlfreiheit. Andererseits ist es so, das zeigen ja auch durchaus die Beispiele in bestimmten Regionen, dass sie doch Zuwächse hatten. Und wenn Sie sich zum Beispiel manche Universitäten in den neuen Bundesländern angucken, die haben ja in den letzten Jahren signifikante Steigerungen von Studierenden aus den alten Bundesländern gehabt. Also das funktioniert zum Teil schon, aber ich glaube eher, dass es auch die zeitliche Komponente ist. Wenn über die verschiedenen Nachrückverfahren es so lange dauert, bis dass das Semester schon halb vorbei ist, dann sagen die jungen Leute natürlich auch, mitten im Semester geht es nicht, und dann kommt tatsächlich auch natürlich noch dazu, dass sie sich dann um Studienfinanzierung kümmern müssen, dass sie sich um Wohnung kümmern müssen, und damit ist das erste Semester eigentlich verloren.
Kassel: Die Länder Niedersachsen und Berlin denken bereits laut darüber nach, Hochschulen Gelder zu kürzen, wenn diese Studienplätze nicht besetzen. Halten Sie das für eine gute Idee?
Studienwünsche verändern sich
Meyer auf der Heyde: Ich denke, es ist ja so, dass die – über die Hochschulpakte bekommen die Hochschulen ja zusätzliche Mittel, wenn sie eben ihre Studienkapazitäten ausbauen. Und natürlich hängen diese Mittel auch daran, wie die Studienplätze besetzt werden. Also ich glaube, da gibt es sogar schon einen Automatismus, der halbwegs funktioniert. Ich glaube eher, man sollte schon die Hochschulen auffordern, sich an dieser zentralen Verteilung zu beteiligen, um die freien Studienplätze dann auch tatsächlich zu besetzen.
Kassel: Nun haben Sie aber auch schon gesagt, Sie sehen da manchmal auch ein Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage. Nun wissen wir ja auch aus anderen Statistiken, dass halt Bachelorstudiengänge einfach immer noch nicht besonders beliebt sind. Wenn Sie nun zu recht auch sagen, da sind auch einige Plätze dabei, die nicht besetzt wurden – kann das wirklich ein Grund sein, dann diese Plätze einfach auch abzuschaffen zugunsten anderer?
Meyer auf der Heyde: Na ja gut, die Hochschulen müssen natürlich schon auch darüber nachdenken, welche Lehrangebote sie machen. Wir haben eine sehr starke Differenzierung gehabt, und möglicherweise bleiben da tatsächlich einige NC-Fächer aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre offen. Ich glaube, das wird sich hundertprozentig sowieso nicht vermeiden lassen, aber ich hatte ja darauf verwiesen, dass scheinbar bei den Masterstudienplätzen die höhere Quote ist, und hier, glaube ich, ist eine zu starke Spezialisierung, hier müsste man dann wahrscheinlich doch eher darüber nachdenken, das Angebot an die Nachfrage stärker anzupassen.
Kassel: Nun stellt sich natürlich nicht nur die Frage, wieso bleiben Plätze leer. Es stellt sich bei allen Plätzen, auch bei den besetzten, die Frage, wie werden die Studierenden eigentlich ausgewählt? Es gibt da grundsätzlich drei Möglichkeiten: Einfach nur die Abiturnote, eine Art Test, wie es in der Medizin zum Teil gemacht wird, oder ein Auswahlgespräch. Ich habe immer das Gefühl, man kann bei allen drei Varianten eigentlich auch gut aufzählen, was schlecht daran ist. Gibt es da den Königsweg?
Meyer auf der Heyde: Ich glaube, es gibt da keinen Königsweg. Es gibt ja Studien, die sagen, die Abiturnote ist das Beste. Bei den Auswahlgesprächen haben sie einen wahnsinnigen Zeitaufwand, und das war allerdings das Argument damals, dass man die Auswahl selbst vornehmen will, um die ZVS abzuschaffen. Inzwischen ist man tatsächlich wieder zu den Notenschnitten zurückgekehrt. Also insofern kann man dann auf der anderen Seite auch sagen, okay, wenn schon so ein Auswahlverfahren, was eben vermeintlich objektiviert ist, dann kann man natürlich auch sich an überregionalen Auswahlverfahren beteiligen, um die Situation zu beenden, dass Studienplätze unbesetzt bleiben.
Kassel: Überfüllte Hörsäle und freie Studienplätze – warum es in Deutschland beides gibt. Darüber sprachen wir mit Achim Meyer auf der Heyde, dem Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks. Vielen Dank fürs Gespräch!
Meyer auf der Heyde: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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