Studienfach Islamische Theologie

Zwischen dem Staat und den Verbänden

Koran und Gebetskette
Über die Auslegung der Thesen im Koran wird hitzig diskutiert. © dpa / picture alliance / Roos Koole
Von Kemal Hür · 11.10.2015
Das Studienfach Islamische Theologie gibt es in Deutschland erst seit vier Jahren. Es soll Integrationshilfe leisten und theologische Reformen vorantreiben. Die Wissenschaftler wollen ihre Unabhängigkeit bewahren, doch das ist manchmal gar nicht so leicht.
"Sobald man sich im Bereich des Religiösen bewegt, ist man Erwartungen ausgesetzt. Und da muss man natürlich entscheiden: Will man sie bedienen, oder will man sie nicht bedienen?"
Professor Bekim Agai ist Direktor des Instituts für Islamstudien an der Universität Frankfurt. Politik ließe sich kaum aus der Islamischen Theologie heraushalten, sagt Agai.
"Gesellschaft ohne Politik gibt es nicht. Das heißt nicht, dass man parteipolitisch ist, aber diese gesellschaftliche Komponente zu ignorieren, wäre naiv."
Es ist eine Gratwanderung. Seit der Einführung vor vier Jahren ist das Fach Islamische Theologie damit beschäftigt, sich gegen Erwartungen zu behaupten. Die Politik stellt Anforderungen im Bereich der Integration an sie: An den vier Zentren, wo das Fach gelehrt wird, sollen deutsche Imame ausgebildet werden; die Absolventen sollen den Bedarf an Lehrkräften für den islamischen Religionsunterricht decken – und das Fach soll der Gesellschaft den Islam näherbringen.
"Wir müssen für eine Säkularität auftreten"
Professor Mouhanad Khorchide, Leiter des Zentrums Islamische Theologie in Münster warnt: Die Wissenschaft müsse ergebnisoffen sein. Der Islam stehe bereits seit seiner Entstehung im siebten Jahrhundert unter politischem Druck. Das dürfe sich in Deutschland nicht fortsetzen.
"Was wir heute Islam nennen, ist eigentlich Staatsislam omajjadischer, abbasidischer Kalifate, die sehr viel Einfluss genommen haben, um sich für eine bestimmte Theologie stark zu machen. Und darunter leiden wir heute in der islamischen Theologie. Wir müssen für eine Säkularität auftreten, um den Islam selbst vor politischem Missbrauch zu schützen."
In Münster studieren derzeit 650 junge Menschen islamische Theologie. An allen vier Zentren sind es insgesamt 1.500 Studierende. Ein Schwerpunkt liegt auf dem Lehramt, aber es sind auch Studiengänge mit einem Bachelor- oder Masterabschluss möglich. Im Studium gehe es um die theologische Lehre selbst, aber diese könne von den gesellschaftlichen Bedürfnissen nicht abgekoppelt sein, sagt Bekim Agai. So zum Beispiel, wenn muslimische Gefangene eine Seelsorge fordern und der Staat das Angebot dafür bereitstellen möchte.
"Dann gibt es Anfragen an die Wissenschaft: Gibt es sowas überhaupt? Und was könnten die Grundlagen dafür sein? Das ist eine wissenschaftliche Frage. Die kann auch darauf hinauslaufen, dass man sagt, sowas gibt es nicht. Oder man sagt, es gibt hier Elemente, an die können wir anknüpfen und das als wissenschaftliche Prämisse in den Raum stellt. Und am Ende muss der Staat mit den Religionsgemeinschaften darüber entscheiden, was er dann machen will."
Verbände wollen den Islam gegen Reformen schützen
Doch zwischen dem Staat und den Religionsgemeinschaften besteht nicht immer Einigkeit. Während der Staat die islamische Theologie auch als Wegweiser für Muslime in die deutsche Gesellschaft sehen möchte, sind die großen islamischen Verbände daran interessiert, ihre Religion weitgehend gegen Reformen zu schützen. Beide Seiten wollen ihre eigenen Ziele durchsetzen, sagt Bülent Uçar, Direktor des Instituts für Islamische Theologie der Universität Osnabrück.
"Es ist nicht nur so, dass die Mehrheitsgesellschaft uns sehr kritisch beäugt, sondern auch islamische Institutionen sind sehr kritisch. Man hat Sorgen, dass der Islam im universitären Rahmen hier in Deutschland verflüssigt wird, dass die Grundsätze hybridisiert werden, dass ein zahnloser Euro-Islam durch die Theologen geschaffen werden soll. Ein Staats-Islam, der genehm ist, ein Hof-Islam, der aber nicht mehr authentisch ist."
Diese Kritik bekam der Münsteraner Institutsleiter Mouhanad Khorchide besonders stark zu spüren. Die großen Islamverbände, darunter der Ableger der türkischen Religionsbehörde in Deutschland, DITIB, warfen Khorchide vor, er missachte islamische Lehren. Die Verbände sind zwar keine anerkannten Religionsgemeinschaften. Aber sie sind dennoch Ansprechpartner des Staates; denn sie sitzen im Beirat des Instituts und haben Mitspracherecht bei der Ernennung der Professoren und der Vermittlung der Lehre – ähnlich wie die Kirchen an Instituten für christliche Theologie.
Die vier großen Islamverbände, so werfen ihnen Kritiker vor, nutzen ihre Stellung im Beirat und wollen Einfluss auf die Lehrinhalte nehmen. Tatsächlich habe sich der Streit erst etwas gelegt, nachdem der DITIB-Vertreter Bekir Alboğa selbst einen Lehrauftrag an der Universität Münster erhalten habe, heißt es aus Institutskreisen. Die Gratwanderung der islamischen Theologie geht aber weiter: zwischen wissenschaftlicher Selbstbehauptung sowie Erwartungen seitens des Staates und der Verbände.
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