Studie zur Spaltung der Gesellschaft

Ein Land, zwei Lager

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Köpfe einer Menschenmenge am Potsdamer Platz in Berlin. Es handelt sich um eine Demo. Zwischen den Köpfen ragt ein Schild mit der Aufschrift "Dagegen" hervor.
Die gesellschaftliche Polarisierung sei zwar nicht überraschend, aber problematisch, sagt der Psychologe Mitja Back. (Symbolbild) © Unsplash / Leon Bublitz
Mitja Back im Gespräch mit Nicole Dittmer · 18.06.2021
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Eine Studie zeigt, dass sich in der deutschen Gesellschaft zwei Lager polarisiert gegenüber stehen: Das Problem daran ist, dass sich eines von ihnen marginalisiert fühle und unzufrieden mit der Demokratie sei, sagt der Psychologe Mitja Back.
Nur wer in Deutschland geboren ist, gehört dazu! – sagen die einen. Wir brauchen maximale Offenheit und Diversität! – fordern die anderen. Zwei Lager stehen sich in der deutschen Gesellschaft offenbar unversöhnlich gegenüber, und das auch in weiteren europäischen Gesellschaften. Das ist das Ergebnis einer Studie der Universität Münster, für die eine Umfrage unter mehr als 5000 Menschen in Deutschland, Frankreich, Polen und Schweden durchgeführt wurde.
Die Studienmacher sprechen von einem grundlegenden Konflikt, der auf unterschiedlichen Identitätskonzepten beruhe: Es gebe einerseits die Gruppe der sogenannten Verteidiger und andererseits die Gruppe der Entdecker.

Entdecker und Verteidiger

Entdecker befürworteten eher ein offenes Zugehörigkeitskonzept, fühlten sich durch Fremde nicht bedroht und wollten Fremde und neue Möglichkeiten des Zusammenlebens entdecken, erklärt der Psychologe Mitja Back von der Universität Münster, der an der Studie mitgewirkt hat.
Verteidiger hingegen stünden für ein enges Konzept der Zugehörigkeit: Man müsse in Deutschland geboren sein und deutsche Vorfahren christlichen Glaubens haben, um dazuzugehören. "Und die fühlen sich auch dann eher durch Fremde, insbesondere Muslime und Geflüchtete, bedroht", so der Psychologe.

Unzufriedenheit mit der Demokratie

An sich sei diese Spaltung zwar nicht überraschend. Doch überraschend und auch problematisch sei, dass sich diese unterschiedlichen Identitätskonzepte mit unterschiedlichen Wahrnehmungen der gesellschaftlich-politischen Repräsentation verbänden, betont Back:
Entdecker sähen sich als gut repräsentiert an, seien eher zufrieden mit der Demokratie und vertrauten politischen Institutionen. Verteidiger hingegen fühlten sich marginalisiert, seien unzufrieden mit der Demokratie und misstrauten politischen Institutionen eher.
"Das ist etwas Neues, was wir über viele Länder hinweg beobachten", sagt Back. Im semi-autoritär regierten Polen sei die Lage allerdings etwas anders: Dort fühlten sich Entdecker marginalisiert. Der politische Kontext könne also eine Rolle spielen.
Die Lagerbildung berge die Gefahr, dass sich das weiterentwickele, so der Psychologe. Noch würde eine Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland keinem der beiden Lager zuzuordnen sein, sondern würde sich irgendwo in der Mitte befinden. Aber das könne sich auch zuspitzen.
(jfr)
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