Studie zu Heimkindern

Das Leid war in DDR und BRD gleich

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Schwestern tanzen mit den Kindern eines Kinderheims einen Ringeltanz in Frankfurt an der Oder, 1948.
Kinder eines Kinderheims in Frankfurt/Oder Ende der 40er-Jahre. Bis in die 70er-Jahre habe es in den Heimen ähnliche strukturelle Mängel in der DDR und BRD gegeben, so die Studie. © Imago / United Archives /Erich Andres
Heiner Fangerau im Gespräch mit Julius Stucke · 30.09.2021
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Kinder und Jugendliche haben in stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe und der Psychiatrie in der DDR als auch in der BRD massiv Gewalt erfahren. Bis in die 70er-Jahre habe es strukturelle Mängel gegeben, so eine aktuelle Studie.
Das Bundessozialministerium hat vor vier Jahren ein interdisziplinäres Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern damit beauftragt, Leid und Unrecht in stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe und der Kinder- und Jugendpsychiatrie in der BRD und DDR von 1949 bis 1990 zu untersuchen. Koordiniert wurde die Studie von der Universität Düsseldorf.
Die Ergebnisse sind erschreckend: Von der Nachkriegszeit bis in die 70er-Jahre habe es trotz der Systemdifferenz ähnliche strukturelle Mängel in Ost- und Westdeutschland gegeben. Die Kinder und Jugendlichen hätten unter massiver körperlicher Gewalt, Demütigungen, Missachtung der Intimsphäre oder Fixierungen gelitten.

Berührende Zuschriften von Zeitzeugen

Dass erst Jahrzehnte später das Leid der Kinder und Jugendlichen untersucht wird, erklärt der Leiter des Forschungsteams, Heiner Fangerau, damit, dass es zwar schon Studien zu Kinderheimen gebe, aber gerade Menschen mit Behinderungen oder psychischen Erkrankungen bisher an den Rand gerückt worden seien.
Sehr berührend seien Gespräche mit und Zuschriften von Zeitzeugen gewesen, sagt Fangerau. "In denen Menschen von Gewalt berichten, von Demütigungen, Isolationen, Zwang zu Essen, Essensentzug oder sogar den Missbrauch von Kindern und Jugendlichen, um bestimmte medizinische Techniken zu lernen. Also in dem Fall, dass an den Kindern geübt wurde, eine Magensonde zu legen. So was bleibt hängen. Das beschäftigt einen."

Es herrschte großer Mangel

Trotz verschiedener politischer Systeme und verschiedenen gesundheitspolitischen Voraussetzungen, habe es keinen Unterschied zwischen Einrichtungen in der BRD oder der DDR gegeben, sagt Fangerau.
Ein Grund sei unter anderem, dass bis in die 1960er-Jahre überwiegend Desinteresse beider Gesellschaften an der Situation von Minderjährigen mit geistigen Behinderungen und psychischen Erkrankungen geherrscht habe. "Es herrschten Mangel an Einrichtungen, Mangel in den Einrichtungen, Leid und Unrechtserfahrungen, die die Kinder dort machen, in beiden Ländern in gleicher Weise vor", so Fangerau.

Einzelne versuchten, Zustände zu ändern

Stellvertretend haben die Forschenden 17 Einrichtungen untersucht, die verschiedene Einrichtungstypen abdeckten. "Wir haben ausnahmslos in allen Einrichtungen Formen von Gewalt und Formen von Leid- und Unrechtserfahrungen gefunden", sagt Fangerau.
Es hätte allerdings auch immer wieder Mitarbeitende gegeben, die versucht hätten, die Zustände zu ändern. "Das zeigt uns eben auch, dass bei allem strukturellen Mangel, der strukturelle Mangel allein keine Begründung dafür sein darf – und auch keine Entschuldigung – dass die Kinder Leid und Unrecht erlebt haben", sagt der Forscher. "Es gab immer wieder Menschen, die dagegen aufgestanden sind."
(nho, mit Material von KNA)
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