Studie über Eliten

Migranten und Ostdeutsche sind stark unterrepräsentiert

08:46 Minuten
Eine Geschäftsfrau schwebt an einem Ballon (Illustration).
Wer am Ballon hängt, ist in Deutschland noch immer stark von der Herkunft abhängig. © imago images / Ikon Images / Katie Edwards
Holger Lengfeld im Gespräch mit Nicole Dittmer · 26.10.2020
Audio herunterladen
Kaum Posten für den Osten, wenig Chancen für Migranten: Eine aktuelle Studie beleuchtet, wie sich deutsche Eliten zusammensetzen. Gerecht geht es nicht zu.
30 Jahre nach der Wiedervereinigung und 20 Jahre nach der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts gibt es immer noch Nachholbedarf, was die Beteiligung von Ostdeutschen und Menschen mit Migrationshintergrund an den Schaltstellen von Wirtschaft, Kultur und Politik anbelangt.
Ostdeutsche sind - bei einem Bevölkerungsanteil von rund 19 Prozent - mit nur rund zehn Prozent in Elitepositionen vertreten. Bei Menschen mit Migrationshintergrund ist der Unterschied mit etwa neun Prozent in Elitepositionen gegenüber einem Bevölkerungsanteil von 26 Prozent noch größer.

Die Zeit bringt mehr Ostdeutsche in die Chefetagen

Zwischen den einzelnen gesellschaftlichen Bereichen gibt es aber große Unterschiede. In der Politik sind Ostdeutsche bundesweit relativ gut repräsentiert. Im Militär, der Wissenschaft oder der Justiz dagegen nicht. Menschen mit Migrationshintergrund sind in den Bereichen Religion und Kultur kaum oder nur leicht unterrepräsentiert. Aber in Wirtschaft und Medien sind sie deutlich seltener auf gehobenen Posten.
Wenn es darum gehe, wie diese Situation geändert werden könne, müsse man beide Gruppen – Ostdeutsche und Bürgerinnen und Bürger mit Migrationshintergrund – gesondert betrachten, sagt der Leipziger Soziologe Holger Lengfeld.
Nach der Wende seien "massiv Eliten von Westdeutschland nach Ostdeutschland transformiert worden, weil man Leute brauchte, die das Gesellschaftssystem kennen und in ihm operieren können". Diese seien größtenteils noch relativ jung gewesen, sodass zunächst einmal für Jahrzehnte kaum Bewegung in den Führungsetagen spürbar gewesen sei. "Das wiederum bedeutet, dass es zumindest in den ostdeutschen Bundesländern eine Frage der Zeit ist, bis sich der Anteil von Ostdeutschen in Führungspositionen erhöht."

Rentenansprüche und Lohngleichheit

Allerdings, so Lengfeld, sei der Anteil an Führungspositionen aus seiner Sicht gar nicht so entscheidend - ein wichtiger Aspekt sei, dass die Lebensleistung anerkannt werde. Dabei gehe es um so essentielle Dinge wie Rentenansprüche und Lohngleichheit.
Im Hinblick auf Menschen mit Migrationshintergrund gebe es noch ganz andere Schwierigkeiten. Etwa bei der Jobsuche, wenn Bewerberinnen und Bewerber aufgrund ihres Namens vielfach gar nicht erst eingeladen würden. "Hier könnten Repräsentationsmechanismen, möglicherweise auch Quoten oder so etwas wie Ombudspersonen, bei Bewerbungen einen Effekt haben, dass geeignete und qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber mit Migrationshintergrund auch eine größere Chance haben in Besetzungsverfahren und tatsächlich zum Zuge kommen."
Lengfeld betont, für ihn seien hier die USA ein Vorbild: Bewerbungen würde dort zunächst anonymisiert begutachtet. Auch sei es unüblich, sich mit einem Foto zu bewerben. Auf diese Weise würden keine Vorurteile die erste Bewertung beeinflussen. Er bedauert, dass sich das in Deutschland bislang noch nicht durchgesetzt hat.
Die von verschiedenen Seiten geäußerte Meinung, dass es in Deutschland schwierig sei, aus einer bestimmten Schicht heraus aufzusteigen, teil der Soziologe nicht. Mittlerweile habe beispielsweise schon der Umstand, dass heute ein Studium auch ohne Abitur und somit der Bildungsaufstieg viel leichter möglich sei als noch zur Wendezeit, dazu geführt, Barrieren zu überwinden.
(mkn/all)
Mehr zum Thema