Struktureller Rassismus im Sport

Gleichberechtigung als Mythos

23:43 Minuten
100-Meter-Finale bei der Leichtathletik-Weltmeisterschaft 2013 in Moskau, unter anderem mit Usain Bolt.
Über Höchstleistungen im Sport entscheiden vor allem auch gesellschaftliche Gründe. © AFP / Loic Venance
Von Ronny Blaschke · 19.09.2021
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Auch im Sport ist Rassismus tief verankert. 96 Prozent der Führungskräfte sind weiß. Viele US-amerikanische Sportvereine haben rassistische Traditionen. Neue Bündnisse wollen echte Gleichberechtigung – über Symbolpolitik hinaus.
In den 80er-Jahren kommen die besten Mittelstreckenläufer aus Großbritannien, zum Beispiel Sebastian Coe. Als Ursachen gelten Trainingsqualität und Lauftradition – niemand glaubt an genetische Vorteile von Europäern. Bald jedoch gewinnen viele schwarze Läufer aus den USA, Jamaika und Subsahara-Afrika wichtige Wettbewerbe. Nicht nur in Großbritannien beginnt eine Suche nach genetischen Nachteilen der "eigenen Rasse", erzählt der Historiker Gavin Evans:
"Viele gute Läufer kamen aus einer bestimmten Region in Kenia. Und so glaubten etliche europäische Sportler, dass es dort ein Wundergen geben muss. Seriöse Forschungen haben klargestellt: Es gibt geringe genetische Unterschiede zu Europäern, aber entscheidend für den Erfolg sind andere Gründe. Die meisten kenianischen Läufer kamen aus einer Hochebene, das hatte Vorteile fürs Ausdauertraining. Und sie wollten durch Sport der Armut entkommen."

Vorurteile gegen schwarze Schwimmer und Läufer

In seinem Buch "Skin Deep" nimmt Gavin Evans den Rassismus der Wissenschaften aus den vergangenen zwei Jahrhunderten auseinander. Und er geht auch auf den Sport in den USA ein. Dort glauben viele Menschen, dass Afroamerikaner aus genetischen Gründen höher springen können und so schneller in der Profiliga NBA landen.
Dass Basketball für viele Schwarze der wichtigste Jugendsport ist, zur Popkultur gehört und einen sozialen Aufstieg ermöglicht, berücksichtigen sie weniger. Und sie ignorieren: Die Olympiasieger in anderen Sportarten, etwa im Hochsprung, sind fast immer weiß.
"Ein anderes Beispiel", so Gavin Evans, "in den USA gibt es Vorurteile gegen schwarze Schwimmer. Manche glauben, sie seien wegen ihrer schweren Knochen langsamer. Aber das ist Unsinn. Tatsächlich waren Schwimmbäder für schwarze Menschen lange geschlossen. Und auch nach der Bürgerrechtsbewegung blieb das Schwimmen lange ein weißer Sport. Noch heute ist der Anteil von Nichtschwimmern unter schwarzen Kindern höher. Aber das hat nichts mit Genetik zu tun."

Solche Stereotype stammen aus der sogenannten "Rassenlehre" während des Kolonialismus. Europäische Wissenschaftler haben Afrikaner schon im 18. Jahrhundert als kraftvoll und wild bewertet. Auch die Gründungsmitglieder der internationalen Sportverbände haben im frühen 20. Jahrhundert das Überlegenheitsdenken der Kolonialmächte verdeutlicht.
Start des Marathonlaufs bei den Olympischen Sommerspielen 1904 in St. Louis.
Ein dunkles Kapitel: die "Anthropologischen Tage" im Rahmen der Olympischen Spiele 1904 in St. Louis.© imago / Colorsport
Ein dunkles Kapitel waren die "Anthropologischen Tage" im Rahmen der Olympischen Spiele 1904 in St. Louis, sagt Jules Boykoff, Autor des Buches "Power Games", über die politische Geschichte Olympias:
"Für die 'Anthropologischen Tage' wurden indigene Menschen in die USA verschifft, unter anderem aus Kanada, Japan und den Philippinen. Wie in einem Zoo wurden die Indigenen vorgeführt und vermessen. Bei einem Laufwettbewerb warteten einige Teilnehmer auf ihre langsameren Kollegen, um gemeinsam ins Ziel zu kommen. Für die Organisatoren war das eine Bestätigung ihrer Vorurteile – für die Rückständigkeit der sogenannten 'Wilden'."

96 Prozent der Führungskräfte sind weiß

Jahrzehnte später, bei der Fußball-WM 1974, feierten Medien die Spieler aus Zaire als Leoparden, die eindrucksvoll springen können. Vergleiche, die heute wohl undenkbar sind. Aber aktuelle Forschungen in den großen Fußballligen zeigen: TV-Kommentatoren gehen bei schwarzen Spielern überdurchschnittlich oft auf Kraft und Schnelligkeit ein, weniger auf Taktik und Spielintelligenz. Die Sportsoziologin Tina Nobis hat zum Thema geforscht:
"Im Zuge dieser rassistischen Ideologien, die sich längst als falsch erwiesen haben, wird ja ein Bild der intellektuellen Überlegenheit von weißen Menschen gezeichnet. Und diese Bilder sind über so viele Jahrzehnte und Jahrhunderte hinweg natürlich so tief in unseren Köpfen verankert, dass wir bisweilen gar nicht mehr wahrnehmen, dass es sich dabei auch um rassistisches Wissen handelt. Und dass dieses Wissen natürlich auch in die Strukturen unserer Gesellschaft und auch in die Institutionen diffundiert ist."

In einer Studie für das Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung hat Tina Nobis die Strukturen im deutschen Fußball untersucht. Einige Ergebnisse: Rund 96 Prozent der Führungskräfte, zum Beispiel Trainer, Manager und Scouts, sind weiß. Auf dem Spielfeld sind schwarze Profis im Sturm und auf Außenbahnen überproportional häufig vertreten, also auf Positionen, die mit Körperlichkeit und Schnelligkeit verbunden werden. Seltener sind schwarze Spieler auf Positionen vertreten, die mit zentraler Führung oder Spielaufbau assoziiert werden.
"Wir argumentieren, dass hierbei rassistische Zuschreibungen offensichtlich eine Rolle spielen", erklärt Nobis, "dass rassistische Stereotype, die wir im Kopf haben, offensichtlich mit darüber entscheiden, wer am Ende auf welcher Position spielt, wer womöglich auch für welche Position verpflichtet wird, und wer womöglich auch schon im Nachwuchsleistungssport für bestimmte Positionen ausgebildet wird."
Trainer Rudi Gutendorf im Kreis seiner Spieler vom mauritischen "FC Sunrise". Aufnahme vom Mai 1993.
Die Trainer sind auch heute noch meistens weiß, so wie Rudi Gutendorf. Hier im Kreis seiner Spieler vom mauritischen "FC Sunrise" – im Mai 1993.© picture-alliance / dpa / Persch

Darstellung als tierähnliche Kämpfertypen

Am Beispiel von England werden die Folgen des Kolonialismus noch deutlicher: 33 Prozent der Spieler in der Premier League sind schwarz. In den Trainerteams dagegen sind nur knapp vier Prozent schwarz, in den Führungsgremien der Klubs sind es weniger als zwei.
In Afrika hingegen, so der Eindruck, waren und sind viele Nationalteams von europäischen Trainern und Beratern abhängig. Einer, der in vielen Ländern unterwegs war, war der Deutsche Rudi Gutendorf. Deutlich wurden neokoloniale Denkmuster auch vor und während der WM 2010 in Südafrika, der ersten auf dem afrikanischen Kontinent.
Die Werbeindustrie wollte mit der WM afrikanische Märkte erschließen. Ein deutscher Sportartikelhersteller ließ in einem animierten Spot den kamerunischen Spieler Samuel Eto'o gegen einen Löwen kämpfen. Ein Beispiel von vielen für die Darstellung schwarzer Athleten als tierähnliche Kämpfertypen. Unter den Erfindern solcher Kampagnen sind nur selten People of Color. Das gilt auch für den Sportjournalismus in Deutschland, sagt der freie Autor Philipp Awounou:
"Ich war in fast allen Stadien der 1. und 2. Bundesliga mittlerweile, und ich kann sagen, dass ich in 95 Prozent aller Fälle der einzige Mensch im Presseraum bin, der nicht weiß ist. Wir haben da eine sehr stark homogene weiß-männlich dominierte Gruppe im Sportjournalismus, mehr noch als in anderen journalistischen Genres."

In UK und den USA etablieren sich neue Bündnisse

In jüngerer Vergangenheit sind Sportnetzwerke, die die Sichtbarkeit nicht-weißer Menschen stärken wollen. In Großbritannien etwa diskutieren Spieler, Journalisten und Trainer in der "Football Black List". In den USA wächst das Bündnis "Black Players for Change". Doch in der polarisierten Gesellschaft schlagen rechte Stimmen zurück. "Shut up and dribble", sagte die Fox-News-Moderatorin Laura Ingraham über den politisch engagierten Basketballer LeBron James. Dazu der Reporter Philipp Awounou:
"Sie hat ihm ganz klar die Kompetenz abgesprochen, außerhalb vom Spielfeld irgendeine Relevanz zu haben für die Gesellschaft. Ein Jahr später supportet der weiße Quarterback Drew Brees öffentlich Donald Trump, was für viel Wirbel gesorgt hat. Und dieselbe Moderatorin sagt: 'He is allowed to have an opinion', er darf seine Meinung äußern."

Propagandatouren in den Kolonien

Stereotype wurden lange in Sportkommentaren oder Spielfilmen kultiviert, zum Beispiel in "White Men Can't Jump" von 1992. Inzwischen gibt es zwar Kampagnen gegen offenen Rassismus, aber weniger Projekte, die das Unterschwellige hinterfragen, den versteckten Rassismus. Dabei könnte auch die Fußballgeschichte bei der Auseinandersetzung helfen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten die Kolonialreiche Großbritannien und Frankreich ein Gebiet nach dem anderen aufgeben. Portugal konnte einige seiner Kolonien bis Mitte der 70er-Jahre halten. Diktator António de Oliveira Salazar nutzte für seine Propaganda auch den Fußball. Er schickte die erfolgreichen Vereine aus Lissabon zu "Pilgerreisen" in die portugiesischen Kolonien in Afrika, nach Angola, Guinea oder Mosambik, erzählt der portugiesische Historiker Marcos Cardão:
"In der Musik, im Fußball, in Schönheitswettbewerben: Das portugiesische Regime wollte sich von anderen Kolonialmächten abgrenzen. Es pflegte das Image einer freundlichen Nation ohne Rassismus. Ab den 60er-Jahren liefen portugiesische Fußballklubs in der 1. und 2. Liga mit vielen afrikanischen Spielern auf. Das sollte kulturelle Bindungen an die Kolonien verdeutlichen. Tatsächlich war es das Ausnutzen billiger Arbeitskräfte."

Eusébio als Posterboy des Militärs

Symbolfigur dieser Zeit war Eusébio, aufgewachsen in schwierigen Verhältnissen in Portugiesisch-Ostafrika, bekannt als Mosambik. Schon in seiner Jugend stritten sich die Lissaboner Klubs um seine Dienste. Portugiesische Medien bezeichneten den Stürmer als "Schwarzen Panther" oder "Schwarze Perle". Sie stellten ihn durchweg positiv dar, aber auch als naiv. Sie assoziierten mit ihm Merkmale wie Integrität, Bescheidenheit und eine "Einfachheit, die der Reichtum nicht verschmutzt".

Bei der WM 1966 in England war kein Team aus Afrika vertreten. Der gebürtige Afrikaner Eusébio schoss neun Tore und sicherte dem portugiesischen Team den dritten Platz. Eusébio erhielt Angebote aus großen europäischen Ligen, doch er musste bei Benfica Lissabon bleiben. Diktator Salazar bezeichnete ihn als "nationalen Schatz" – in einer Zeit, in der die Unabhängigkeitsbewegungen in den portugiesischen Kolonien stärker wurden. Die portugiesische Armee ging mit Waffengewalt dagegen vor, berichtet der Forscher Marcos Cardão:
"Das portugiesische Regime wollte das Militär 'afrikanisieren'. Viele Kämpfer wurden in Kolonien rekrutiert. Die Zeitungen druckten Fotos von schwarzen Männern in Uniform. Auch Eusébio musste dafür herhalten. Es gab Einsätze für eine Militärauswahl. Seine patriotischen Aufrufe wurden in Zeitungen und Filmen veröffentlicht. Eusébio galt als Symbol für die 'gemischtrassige' Verteidigung des portugiesischen Imperiums."
Benfica-Torjäger Eusébio auf dem Spielfeld mit Mailands Mittelfeldspieler Giovanni Trapattoni. Aufgenommen im Mai 1963.
Portugiesische Medien bezeichneten Eusébio als "Schwarzen Panther" oder "Schwarze Perle".© picture-alliance / dpa / Empics Guus de Jong

Europäische Klubs suchen Talente in Brasilien

Eusébio ist eines von vielen Beispielen für erzwungene Migration. Eine der Ursachen: der Kolonialismus. Das verdeutlichen seit Jahrzehnten die ethnisch-vielfältigen Nationalteams Frankreichs oder der Niederlande, sagt der Sozialwissenschaftler Gijs van Campenhout von der Erasmus-Universität Rotterdam:
"Die sogenannten Mutterländer betrachten ihre früheren Kolonien als einen erweiterten Talentpool. Viele Länder sind politisch, wirtschaftlich und kulturell noch immer verbunden. Nehmen wir Brasilien, eine frühere Kolonie von Portugal. Wegen der gemeinsamen Sprache ziehen etliche brasilianische Spieler nach Portugal. Sie hoffen dort auf ein Sprungbrett für ihre Karriere in Europa."

Im Projekt "Sport and Nation" blicken Gijs van Campenhout und seine Kollegen auch auf Lateinamerika. Über Jahrhunderte kamen aus Brasilien, Kolumbien oder Peru Eisen, Zucker, Fleisch oder Kaffee. Die Rohstoffe wurden in europäischen Fabriken verarbeitet und an europäische Kunden verkauft. Im Fußball setzt sich der Kolonialismus nun fort, sagt der brasilianische Sportsoziologe Carlos Henrique Ribeiro. Top-Clubs aus England und Spanien gehen mit Werbekampagnen auf brasilianische Jugendliche zu. Und bei Partnervereinen sichern sie sich Vorkaufsrechte:
"Wir müssen immer noch viele Rohstoffe exportieren, um eine stabile Wirtschaft zu haben. An diesem Grundgedanken hat sich nichts geändert. Wir Brasilianer akzeptieren auch, dass unsere besten Fußballer nach Europa oder nach China gehen. Die allermeisten spielen dort in unteren Ligen für 1000 oder 2000 Dollar im Monat. Von diesem Geld schicken sie einen Teil an ihre Familien in den Favelas. Das ist Neokolonialismus."
Eusébio wird von Fans nach einem Sieg getragen.
Eusébio war das größte Sportleridol Portugals.© picture alliance / ANP / epa / anp B2800

Symbole gegen die Selbstachtung

"Wir" und die "Anderen" – Abgrenzung, Überlegenheitsdenken, die Verharmlosung historischer Gewaltverbrechen. Diese Phänomene gibt es in vielen Ländern auf allen Kontinenten, aber sie äußern sich unterschiedlich, wie ein Blick in die USA zeigt: Der "Tomahawk Chop": Ein Stadionritual mit Tradition, in Florida, Atlanta oder Kansas City. Fans singen und bewegen ihren Unterarm mit geöffneter Handfläche vor und zurück. Sie simulieren eine Streitaxt, wollen kampfbereit wirken.
Auf diesem Bild aus dem Jahr 2016 feuern Fans der Atlanta Braves ihre Spieler mit einem sogenannten Tomahawk Chop aus Schaumstoff an.
2016: Fans der Atlanta Braves feuern ihre Spieler noch mit einem sogenannten Tomahawk Chop aus Schaumstoff an.© picture alliance/AP Photo / John Amis
Rebecca Nagle, Aktivistin der indigenen Cherokee, klärt seit Jahren darüber auf:
"Es geht um das Skalpieren. Viele Siedler aus Europa haben Ureinwohner ermordet, mit ihrer Kopfhaut als Trophäe. Für viele US-Amerikaner sind indigene Menschen noch immer ein Relikt, eine primitive, einheitliche Gruppe. Die Namen und Maskottchen vieler Sportvereine bestärken diese rassistischen Stereotype. Das American-Football-Team aus Washington war das öffentlichste Beispiel."
Die "Washington 'Redskins'", "Rothäute" – so hieß über Jahrzehnte einer der bekanntesten Traditionsvereine des US-Sports. Gegründet 1932, in einer Zeit, in der Behörden Ureinwohner noch in Reservaten festhielten, ihren Besitz beschlagnahmten und ihre Zeremonien verboten. Indigene Menschen lebten bald mehrheitlich in Städten, gut integriert. Dennoch weisen Symbole des Sports eher in die Vergangenheit. Ob in Profiligen, Universitäten, Schulen: Hunderte Teams nannten sich lange "Indianer", "Krieger" oder "Rote Männer".
"Der aktuelle Alltag indigener Menschen wird selten in den Medien dargestellt", erklärt Rebecca Nagle. "Das hat negative Folgen, vor allem für die Selbstachtung vieler junger Menschen. Sie fühlen sich stigmatisiert und entmenschlicht."

Eine Karikatur als Vereinslogo

Seit der Bürgerrechtsbewegung in den 1960er-Jahren formierten sich Proteste dagegen. Von den rund 2000 rassistischen Sportsymbolen wurden mit der Zeit zwei Drittel abgelegt. Die Universität von Miami machte aus den "Rothäuten" die "Roten Falken", die Universität von North Dakota aus den "Kämpfenden Sioux" die "Kämpfenden Falken".
Auch die Washington "Redskins" haben 2020 ihren umstrittenen Namen abgelegt. Die Kritik war zu groß geworden. Aber, das zeigen frühere Beispiele anderer Klubs: Die Änderung von Symbolen führt nicht automatisch zu weniger Vorurteilen über indigene Menschen. Sie kann sogar zu Frust und Trotzreaktionen führen – und zwar gegen Indigene.
Zu spüren bekam das Douglas Cardinal, ein Architekt indigener Herkunft aus dem kanadischen Ottawa. 2016, vor dem Baseballspiel der Cleveland "Indians" in Toronto, beantragte Cardinal eine Einstweilige Verfügung. Er wollte nicht, dass in Kanada das Logo der "Indians" zu sehen ist, eine Karikatur eines Anführers mit roter Haut.
Der kanadische Architekt und Algonquin-Älteste Douglas Cardinal bei einer Pressekonferenz im Jahr 2017.
Der kanadische Architekt und Algonquin-Älteste Douglas Cardinal bei einer Pressekonferenz im Jahr 2017.© picture alliance / empics / Fred Chartrand
Cardinals Antrag wurde abgelehnt, doch vielleicht trug er dazu bei, dass der Verein seit 2019 auf das Logo verzichtet. Cardinal sagt:
"Die Gesetze machen uns zu Bürgern zweiter Klasse – seit Jahrhunderten. Zu unserer Geschichte gehören Genozid und Landraub. Mir selbst hat man in den 50er-Jahren in Kanada die Ausbildung verweigert, also bin ich nach Texas gezogen. Und heute? Noch immer liegt die Mordrate an indigenen Frauen weit über dem Durchschnitt. Leider halten viele Leute dem gesellschaftlichen Druck nicht stand, die Suizidrate unter Indigenen ist hoch. Wir müssen Gesetze ändern, dass so etwas nicht mehr passiert. Die Sportsymbole sind eine weitere Tür, die uns ins Gesicht schlägt."

Kollektive Verantwortung

Nach öffentlichem Druck haben auch die Cleveland "Indians" 2020 ihren Namen abgelegt. Dieser Druck kam vor allem von den Ureinwohnern selbst, von Museen, Bündnissen, Hochschulen. Ein Beispiel lieferte eine Sonderausstellung des "National Museum of the American Indian" aus dem vergangenen Jahr. Darin wurde nachgezeichnet, wie Jahrtausende alte Traditionen der Ureinwohner für eine "amerikanische" Identität umgedeutet wurden, für Filme, Werbeanzeigen, Profisport – zum Beispiel für die Washington "Redskins". Der Kurator Paul Chaat Smith von den indigenen Comanche hat an der Ausstellung mitgewirkt.
"Wenn Football-Fans aus Washington in unsere Ausstellung kamen, dann waren sie für uns nicht pauschal Feinde. Solche Vorurteile würden eine Diskussion unmöglich machen. Es geht uns um Hintergründe, nicht um eine kollektive Schuld, sondern um eine kollektive Verantwortung."
Paul Smith hat Bekannte mit Sympathien für Donald Trump, die sich nicht stören an Vereinsnamen wie "Redskins". Umso wichtiger sei Kommunikation – auch im Sport. Im Bundesstaat Michigan lädt das Infozentrum der indigenen Chippewa regelmäßig auch College-Athleten ein.

Das Recht auf Repräsentation

Eine Besonderheit bietet in Kansas die Haskell Indian Nations Universität, eine der wenigen Hochschulen ausschließlich für Studierende indigener Herkunft. Ihre Sportler bezeichnen sich als "Kämpfende Indianer", ihr Logo zeigt einen Häuptling mit Federschmuck.

Die Sprachwissenschaftlerin Lisa King von der Universität von Tennessee erforscht Ausdrucksformen wie diese:
"Oft wird mit dem Finger darauf gezeigt: Wenn sich indigene Sportler in Reservaten als Krieger bezeichnen, sind sie dann nicht rassistisch zu sich selbst? Nein, das ist etwas anderes. Damit gestalten und kontrollieren sie ihr eigenes Bild, verknüpft mit eigenen Werten. Sie haben das Recht, sich selbst zu repräsentieren."
Das Recht, sich selbst zu repräsentieren. Das Recht auf Widerspruch und Protest. Immer mehr Sportler machen davon Gebrauch. Denn viel zu lange haben sie den direkten und unterschwelligen Rassismus schweigend über sich ergehen lassen.
Die Football-Mannschaft der Haskell Indian Nations Universität, aufgenommen im Jahr 1914.
Haskells Football-Mannschaft, hier 1914, galt von Anfang des 20. Jahrhunderts bis in die 30er-Jahre als eine der besten College-Mannschaften der USA. © picture alliance / akg-images

Beginn einer Debatte

Viele Gesellschaften, durchleben einen politischen Rechtsruck. Rassistische Klischees zeigen sich im Sport wie unter einem Brennglas. Immer mehr Klubs und Verbände gehen das Thema offensiv an, sagt die Sportsoziologin Tina Nobis. Aber:

"Ein ganz wichtiges Element, was ich darin sehe, ist eben, Rassismus nicht ausschließlich als einen Vorfall zu verstehen, der dann mit einer Entschuldigung, einer Entlassung oder einer Positionierung gegen Rassismus gewissermaßen als geklärt gilt, sondern wirklich zu verstehen, wie tief verwurzelt Rassismus auch in Sportinstitutionen ist, und sich dem zu stellen, und auch nicht so eine Angst davor zu haben, sich dem zu stellen."
Die Debatte über den offenen Rassismus im Sport läuft seit Langem. Die Debatte über die Strukturen dahinter hat gerade erst richtig begonnen.
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