"Stronger still" am Gorki-Theater

Zwischen Kunst und Aktionismus

05:55 Minuten
Installation einer transparenten, freistehenden, leeren Zelle auf dem Gelände des Maxim Gorki Theaters.
Im Hof des Maxim-Gorki-Theaters hat der Kurator, der Journalist Can Dündar, eine Standardzelle der türkischen Gefängnisse nachgebaut. © © Lutz Knospe
Von Thomas Franke · 23.02.2021
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In "Stronger still" des Berliner Maxim-Gorki-Theaters geht es um die Unterdrückung von Künstlern und Journalisten in der Türkei. Kuratiert wurde das Projekt von dem im Exil lebenden Journalisten Can Dündar, der selbst drei Monate in Haft saß.
"Der Kerker macht taub. Man muss sich immer wieder die Ohren zuhalten, um zwischen den unaufhörlich hallenden Mauern nicht den Gehörsinn zu verlieren." In zwölf kurzen Videos erzählen die Schauspielerin Sesede Terziyan und ein Kollege von den "Kleinen Dingen", die in Haft so wichtig sind:
"Ich finde das gerade in der heutigen Zeit so wichtig, wo so viel Meinungsmacherei und aufgebauschte Emotionalität vorherrscht, die auch so ansteckend ist, sich den Raum der Stille zu nehmen, um selbst zu überprüfen und nachzudenken."
Das Projekt "Stronger still" am Maxim-Gorki-Theater zeigt, auch unter noch so widrigen Umständen arbeiten Künstler weiter. Selbst in Gefängniszellen.
"Grup Yorum ist die bekannteste Protestmusikband der Türkei. 1989, während Grup Yorum im Studio an ihrem neuen Album arbeiteten, wurde die gesamte Gruppe festgesetzt. Sie entschieden, die Arbeiten im Gefängnis fortzusetzen. Aber wie? Instrumente sind nicht erlaubt. Aus einem Kunststoffschlauch am Wasserhahn schnitzten sie eine Flöte. Die Röntgenaufnahmen, die bewiesen, dass Polizeiprügel ihre Knochen gebrochen hatten, zogen sie auf eine Zarge und hatten so eine Trommel. Aus den Stielen von Einmalrasierern bastelten sie eine Panflöte. Dazu schnitten sie einen Teil ab, stopften die Stiele unterschiedlich mit Papier und klebten diese mit Tesafilm aneinander."

Emotionale Texte

"Diese Texte berühren mich emotional sehr. Aber Distanz ist nötig, um nicht in eine ungewollte Betroffenheit zu kommen und den Geschichten die Anmut zu geben, die sie in sich tragen. Auch den Zuhörern und den Zuschauern den Raum zu lassen, selbst von sich heraus eine sensitive Berührung entstehen lassen zu können", sagt Terziyan.
In den zwölf Videos werden die kleinen Dinge zur großen Erzählung über die Kreativität von Menschen in Gefängnissen.
"Da sind Biografien mit dabei, die eigentlich gar nichts mit Kunst zu tun hatten und während ihrer Inhaftierung den Weg zur Kunst gefunden haben oder die Kunst den Weg zu ihnen durch die Ritzen der Wände gefunden hat, die Kraft der Kreativität, die Kraft des Geistes, die uns ausmacht als Mensch und wie wir die Not und Isolation Menschen in ihre spielerische Urkraft zurückbringen."
Installation einer freistehenden, transparenten Zelle, mit leeren Betten und grellen Neunleuchten.
In einer Zelle dieser Art saßen und sitzen neben prominenten Gefangenen wie Ahman Altan, Osman Kavala, Peter Steudtner oder Deniz Yücel auch zahllose andere Intellektuelle.© © Lutz Knospe
Auch die Kreativität der kurdischen Künstlerin Zehra Dogan hat den Weg in die Videoinstallation gefunden: "Das Gefängnis ist eine leere Leinwand."
Zehra Dogan wurde verhaftet, nachdem sie Kämpfe des türkischen Militärs in Kurdistan gemalt hatte. Der Straßenkünstler Banksy hat ihre Inhaftierung mit einem wandfüllenden Werk in New York angeprangert.
"Sie hatte keine Farben, keine Pinsel und keine Leinwand. Malen war sowieso verboten. Also fing sie an, ihre Farben selbst herzustellen. Aus zerstampftem Rucola gewann sie grün, Hagebutten zerkochte sie zu Magenta. Die Pinsel stellte sie aus Taubenfedern her, die auf den Hof gefallen waren. Oder sie benutzte ihr eigenes Haar. Und die Leinwand? Und die Leinwand? Ihre Mutter brachte ihr jede Woche am Besuchstag weiße Bekleidung mit, die sie bemalen konnte. Anschließend schmuggelte sie die Bilder mit der dreckigen Wäsche wieder hinaus."

"Man muss etwas machen"

Im Hof des Maxim-Gorki-Theaters hat der Kurator dieser Aktion, der Journalist Can Dündar, eine Standardzelle der türkischen Gefängnisse nachgebaut. Dündar öffnet die Tür zu einem einseitig verspiegelten Kubus im Garten. Der Raum ist klein. Ein Bett, Waschkonsole, Stehklo, ein Stuhl.
"Das ist genau der Standard für Journalisten", erklärt Dündar. Er hat selbst drei Monate in so einem Raum verbracht:
"Für Journalisten ist die Türkei eines der größten Gefängnisse der Welt. Wir wetteifern heutzutage mit China. In der Türkei haben wir aktuell mehr als 70 Kollegen im Gefängnis. Es ist unser Land und es brennt. Da kann man nicht einfach Bilder machen und darüber berichten. Man muss etwas machen."

Die eigenen Bücher in der Gefängnisbibliothek

Kunst oder Aktionismus - das ist ein schmaler Grat. Am Gorki-Theater beherrschen sie es recht gut, beides zu verbinden. Aber für Dündar ist es in dieser Situation sowieso nicht möglich, eine klare Grenze zu ziehen. Dann erzählt er von der Gefängnisbibliothek:
"Wir hatten einen Fernseher mit vielen regierungsfreundlichen Kanälen; das ist gut für die Gehirnwäsche. Wir bekamen Zeitungen und es gab eine Bibliothek. An meinem ersten Tag fragte ich nach der Liste der Bücher und sah sechs meiner Bücher auf der Liste. Stellen Sie sich vor, Sie sind in der Zelle, wegen ihrer Schriften und die Gefängnisbibliothek empfiehlt genau die zu lesen."
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