Stressfaktor Smalltalk

Warum gerade jetzt ehrliche Konversation besser ist

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Freunde sitzen für ein Picknick im Kreis in einem Park.
Die ersten Picknicks und Grillfeste im Freundeskreis stellen uns vor eine neue Herausforderung: Haben wir während der Pandemie den Smalltalk verlernt? © AFP / Justin Tallis
Gedanken von Anne Backhaus · 13.07.2021
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Wenn der Zwang zum zwanglosen Partygespräch ein Stressfaktor wird: Nach der Isolation durch den Lockdown tun sich viele mit Smalltalk schwer. Die Journalistin Anne Backhaus rät: Pfeift auf die Regeln und redet ehrlich darüber, wie es euch geht.
Die erste Geburtstagsfeier seit einer Ewigkeit. Im Park, mit Abstand, die wenigen Gäste getestet. Die Sonne scheint. Es gibt eine Flasche Sekt. Anstoßen, lachen. Endlich.
Kurz darauf schiebt sich jedoch Unbehagen über das Gesicht einer Freundin. Was ist los? Sie flüstert: "Ich kann das gerade nicht, so Smalltalk. Was soll ich denn erzählen? Ich habe nichts erlebt, wohne einfach nur wieder bei meinen Eltern."
Die Pandemie hat sie wie viele andere auch sprachlos zurückgelassen. Natürlich gibt es eigentlich viel zu erzählen. Davon, was uns noch immer Sorgen bereitet zum Beispiel, dem Freund, der Corona hatte, oder der Schwierigkeit, einen neuen Job zu finden. Das sind aber alles Themen, denen es offensichtlich an Leichtigkeit fehlt. Themen, die nach den Regeln nicht smalltalk-tauglich sind.

Schweigen macht nervös

Es gibt Smalltalk-Fachbücher, unzählige Tipps im Internet und Seminare, die fit für diese Unterhaltungsform machen sollen. Warum? Der grundlegende Gedanke ist simpel: Schweigen zwischen zwei oder mehreren Menschen wird in vielen Kulturen als unangenehm empfunden. Zu viel Privates, Belastendes, Schweres ebenfalls.
Bei Deutschen löst das lockere Plaudern jedoch auch ohne Pandemie oft Unbehagen aus. Manch einer wird bereits durch den Besuch in einem amerikanischen Supermarkt verstört. "Wie geht es dir heute, Darling?", fragt da vielleicht der Kassierer. Aber Achtung: Er will ganz sicher nicht wissen, ob man Bauchschmerzen hat oder die Oma im Krankenhaus ist. Auch auf freundliche Fragen in Großbritannien sollte nicht unbedingt eine ehrliche Antwort folgen.
Die Legende besagt, dass dort der Politiker Philip Dormer Stanhope den Smalltalk erfunden hat. Er gab im Jahr 1751 seinem Sohn in Briefen Unterhaltungstipps, um das gesellschaftliche Parkett zu meistern.

Beim Smalltalk stellen sich Deutsche oft ungeschickt an

Für Smalltalk, also die kleine Unterhaltung, gibt es bis heute kein deutsches Wort. Meist wird sie als "oberflächliche Konversation" übersetzt. Das sagt wohl mehr darüber aus, wie unnötig sie hierzulande empfunden wird, als über ihre eigentliche Bedeutung: die soziale Bindung zwischen Menschen zu stärken. Es geht darum, sich anzunähern und einen guten Eindruck zu hinterlassen.
Menschen aus anderen Kulturkreisen belustigt daher häufig die deutsche Aufrichtigkeit im Smalltalk und auch unsere Liebe zu Daten, Zahlen und Fakten. Die Pandemie war, was das betrifft, eigentlich ideal für uns. Wir konnten mit unseren Nachbarn an der Supermarktkasse kurz und freundlich über Fallzahlen und Inzidenzwerte, Impf-Priorisierung oder Lockdown-Strategien sprechen. Eventuell den Kopf schütteln, dann noch schnell den Joghurt verstauen – und ab nach Hause.

Ehrlichkeit tut gut und schafft soziale Nähe

Nun, da wir uns wieder auf die ersten Grillfeste wagen, gehen diese Gesprächserfolge verloren. "Ich fand es total schön, merkte aber, dass ich etwas aus der Übung bin, Konversation zu machen", schrieb eine Freundin entschuldigend nach einer Feier in ihrem Garten. Sie hatte die Regeln missachtet und erzählt, wie sehr ihr die Pandemie noch nachhängt. Außer ihr fand das allerdings keiner der Gäste schlimm. Alle hatten etwas beizutragen – und trotzdem einen schönen Abend.
Smalltalk, so heißt es immer wieder, schafft eine emotionale Nähe, die inhaltlich schwere Konversationen nicht herstellen können. Vielleicht sollten wir uns aber fragen: Ist das noch zeitgemäß? Oder hat der Smalltalk zumindest kurzfristig ausgedient? Nach vielen Monaten der sozialen Distanz sehnen wir uns zwar nach Leichtigkeit, aber ebenso nach Menschen, die zugeben, dass für sie auch nicht alles leicht war.
Wie noch nie zuvor sind es vielleicht gerade die schweren Themen, die uns verbinden und echte Nähe schaffen. Warum sollten wir das kleinreden? Es könnte sich lohnen, auf die Vor-Corona-Regeln der Kommunikation zu pfeifen.

Anne Backhaus, Jahrgang 1982, hat Französische Literaturwissenschaft, Gender Studies und Psychologie studiert. Seit 2013 reist sie als freie Autorin für Reportagen, Filme und Interviews um die ganze Welt. Sie lebt in Hamburg, wo sie unter anderem auch als Dozentin für Interview und (multimediales) Storytelling an der Akademie für Publizistik arbeitet.

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