Streitschrift für eine Reform der Kirche

Vorgestellt von Jochen R. Klicker · 11.05.2005
Kritik an der Kirche hat es gegeben, solange es Kirche gibt. Kritik an der Kirche war und ist die unerlässliche Voraussetzung für den Prozess ihrer ständig notwendigen Wandlung. Unlängst erschien mit Klaus-Peter Jörns Buch "Notwendige Abschiede" eine über 400-seitige Streitschrift zur Reform von Kirche und Christenheit. Eine der zentralen Forderungen: Abschied zu nehmen von der Vorstellung, von Gott erwählt zu sein.
Klaus-Peter Jörns: "Wir sitzen - also wir, die Erwählten, Christen, Juden – wir sitzen bei dem lieben Gott auf dem Schoß und die anderen irgendwo auf dem Hocker. Genau das ist das Bild, aus dem zwar man Trost ziehen kann. Aber dieser Trost ist selber schon wieder ein Produkt der Über- und Unterordnung. ... Wo erwählt wird, wird auf der anderen Seite verworfen."

Und genau solche Gewissheit, vom einzigen und lebendigen Gott erwählt zu sein, gehört zu den insgesamt acht Vorstellungen, von denen es gilt, schleunigst Abschied zu nehmen, sofern Christen und ihre Kirchen dabei bleiben wollen, wenn jetzt mehr und mehr "Religion zurückkehrt in unseren kulturellen Alltag und zur Sache der Bürgerinnen und Bürger wird", wie es bei Klaus-Peter Jörns heißt.

Und durchaus besorgt vermerkt der Religionswissenschaftler, dass der religionsmündige Citoyen heute von den Kirchen kaum noch glaubwürdige Lehren oder gar eine umfassende religiöse Kompetenz erwartet.

Klaus-Peter Jörns: "Und das hängt nach meiner Meinung vor allen Dingen damit zusammen, dass die Verwicklung der Religionen in die Kriegsgeschichte, also ... in das Kapitel Gewalt nicht aufgearbeitet worden ist; und die Friedensverantwortung der Kirchen nicht erkannt und wirklich wahrgenommen worden ist"."

Jörns begrüßt, dass der religionsmündige Mensch in seinem christlichen Selbstverständnis nicht mehr auf jenes gewalttätige "Gott mit uns" programmiert ist, das lange auf dem Koppelschloss des deutschen Landsers stand. Er ermutigt dazu, das Christentum endlich im Rahmen einer universalen Wahrnehmungsgeschichte des einen Gottes neu verstehen zu lernen, zu der alle Religionen gehören. Und die in jedem Menschen ihren je ganz eigenen Ausdruck findet.

Solche Überzeugung hat dann ihre Konsequenzen in einer "schonungslosen Selbstkritik", die der Theologe nachdrücklich einfordert und in 20 knappen "Kriterien eines glaubwürdigen Christentums" auch sogleich beginnt. Da müssen manche grundlegende Bindungen für immer gelöst werden.

Die "Selbstmitteilung Gottes" sei nicht an eine angebliche Offenbarung gebunden, die sich exklusiv in der Bibel dokumentiert, ist da zu lesen. Von daher sei auch ein Selbstverständnis von Juden und Christen obsolet geworden, die sich von Gott ganz besonders geliebt und darum auch für alle Zeit erlöst dünken. Die universale und ökumenische Wahrnehmungsgeschichte des Einen Gottes umfasse alle Religionen. Keine von ihnen, auch nicht das Christentum, habe "Vorrechte vor anderen" – schon gar nicht in Sachen dogmatischer Wahrheiten.

Klaus-Peter Jörns: " "Die Wahrheit per Geburt – das ist so ein Thema, von dem wir uns unbedingt verabschieden müssen. Dass da, wo wir sind, der richtige Glaube ist. Und wir es darüber versäumen, ... uns da einzuordnen, wo wir hingehören. Nämlich als eine Religion unter anderen."

Die jedoch alle zusammen Verantwortung tragen dafür, dass "das System von Gewalt und Gegengewalt, in dem sich menschliches Machtstreben äußert" nicht mehr länger religiös bedient wird:

"Gott paktiert nicht mit tödlicher Gewalt!", so Jörns.

Ein anregendes, ein bewegendes, ein überfälliges Buch; gelegentlich sogar eine schmerzliche Streitschrift, eine zornige Klage von großer prophetischer Trauer: Notwendige Abschiede, die "Gottes Liebe zu uns erst möglich" machen.

Klaus-Peter Jörns: Notwendige Abschiede. Auf dem Weg zu einem glaubwürdigen Christentum
Gütersloher Verlagshaus GmbH.
416 Seiten, € 24,95.