Streit um Snowden

"Keine besonders kluge Aktion"

03.05.2014
Der Sozialwissenschaftler Michael Werz, Senior Fellow am Center for American Progress in Washington, geht davon aus, dass eine Befragung von Edward Snowden durch den NSA-Untersuchungsausschuss das Verhältnis zu Washington stark belasten würde.
Jörg Degenhardt: Beziehungspflege ist angesagt, Angela Merkel zu Gast in Washington. Vier Stunden hatte sich Präsident Obama für die erste Gesprächsrunde Zeit genommen, eine nette Geste nach der deutschen Verstimmung wegen der NSA-Abhöraffäre. Aber Gesten allein dürften nicht reichen, um alles wieder so werden zu lassen, wie es einmal war in den deutsch-amerikanischen Beziehungen vor einem Edward Snowden. Und es gibt ja auch noch weitere Baustellen im transatlantischen Verhältnis, das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA, die Ukraine-Krise und die Russland-Sanktionen. Michael Werz ist mein Gesprächspartner, Sozialwissenschaftler vom Center for American Progress in Washington. Ich grüße Sie!
Michael Werz: Hallo!
Degenhardt: Bleiben wir gleich bei den letzten Punkten! Was sich da in der Ukraine und mit Moskau abspielt, könnte dieser Konflikt und – mehr noch – seine Lösung Washington und Berlin wieder enger zusammenbringen? So hatte man zumindest gestern nach der Pressekonferenz den Eindruck, da sprach der Präsident ja gar von der Freundin Merkel!
Michael Werz: Na klar, Angela Merkel ist die wichtigste Bezugsperson in den europäischen Kontexten für die Vereinigten Staaten, sie ist die einflussreichste Politikerin und auch eine Person, der Barack Obama seit vielen Jahren sein Vertrauen schenkt. Deutschland ist ein wichtiger Partner. Und so unangenehm es auch sein mag für die Leute in der Ukraine, die Krise hat die USA und Europa wieder näher zusammengeführt. Allerdings sollte man sich auch keine Illusionen darüber machen, dass das natürlich kurzzeitige Diskussionen sind. Man kann ja schlecht auf die nächste Krise hoffen, um dann wieder enger zu kooperieren zwischen Europa und den Vereinigten Staaten.
Degenhardt: Haben denn die USA und Deutschland ähnliche Interessen in der Region?
Michael Werz: Das ist nur bedingt der Fall. Es gibt natürlich übergreifende Interessen, die die regionale Stabilität betreffen, aber auch die Tatsache, dass ein deutliches Signal gesandt wird an Russland und auch etwaige andere Zuschauer, die noch am Seitenrand sitzen, dass Gebietsnahmen auf diese Art und Weise einfach unverzeihlich, illegitim sind und Konsequenzen haben. Aber man muss natürlich auch sehen, dass es für uns hier in Washington einfacher ist, über scharfe Sanktionen zu sprechen. Denn wenn es wirklich zu Energieengpässen kommt, regionaler Instabilität oder gar Flüchtlingsbewegungen, sind die USA natürlich sehr viel weitergehender isoliert von den unmittelbaren Problemen, als das für Deutschland oder die Europäer der Fall ist.
Degenhardt: Sie sprachen von scharfen Sanktionen. Man wolle die Russen dafür zahlen lassen, was sie in der Ukraine getan haben, so sprach der amerikanische Präsident, und er meinte damit die russischen Milizen. Aus der Ferne betrachtet, hier aus Berlin, wirkt die Politik Obamas gegenüber Moskau jedenfalls den Worten nach deutlich harscher als das, was an Tönen aus Berlin und Brüssel kommt. Würden Sie das als klug und als Zeichen von Stärke bezeichnen, oder signalisiert das doch eher Hilflosigkeit im Weißen Haus?
Michael Werz: Man darf nicht unterschätzen, dass der Präsident hier auch innenpolitisch unter Druck steht. Die Ukraine-Krise ist ja nicht nur in Deutschland oder in Polen ein Thema, das auch unter innenpolitischen Gesichtspunkten interpretiert und diskutiert wird, das ist hier in Washington nicht anders. Es gibt einige Konservative, die sehr viel stärker auch zu militärischen Drohszenarien neigen, der Präsident hat ganz deutlich zu erkennen gegeben, dass das für ihn keine Option ist. Aber da die Debatte entsprechend aufgeheizt ist, muss er sich natürlich auch als jemand darstellen, der hart gegen Putin vorgeht, darum diese Sanktionsrhetorik, die sehr viel schärfer ist als in Europa. Ich denke, wenn man das Kleingedruckte liest, werden dann die Positionen letztlich doch näher beieinander sein, als man das in den öffentlichen Diskussionen im Moment vermutet.
Degenhardt: Und Sie sagen, die Debatte sei aufgeheizt, die öffentliche. Nimmt man das denn überhaupt in der amerikanischen Öffentlichkeit wahr, was sich da in der Ukraine abspielt? Böse Zungen behaupten, viele Amerikaner wüssten gar nicht, wo die Ukraine liegt!
Michael Werz: Na ja, das ist ein bisschen larmoyant, natürlich gibt es immer wieder geografische Herausforderungen, das ist ja in Europa nicht anders, dass man nicht genau weiß, wo sich der eine oder andere Konfliktherd befindet. Aber es gibt doch eine breite Diskussion, weil man darauf gehofft hatte, dass sich doch nach dem Versuch Hillary Clintons noch, als sie Außenministerin war, die Beziehungen zu den Russen neu zu gestalten, eine stabilere und auch freundschaftlichere Phase entwickeln würde. Das hat sich natürlich nicht bewahrheitet. Von daher steht das Außenministerium der Vereinigten Staaten auch ein wenig vor den Trümmern der eigenen Versuche, mit Putin ins Geschäft zu kommen. Es ist aber auch ganz klar, dass die Perspektive der USA eine andere ist, jeder versteht hier, dass die Abhängigkeit der deutschen Manufakturbetriebe, der deutschen Industrie von den russischen Energielieferungen, auch die unmittelbare geografische Nähe zu Russland eine andere Ausgangsposition bilden. Insofern eine gemischte Gemengelage. Man darf nicht unterschätzen, dass hier auch andere große Themen, nämlich gerade die Frage, was passiert im Pazifik, was ist unser Verhältnis zu China ... Das heißt, die Ukraine und Russland ist nur eines von vielen Themen, was hier die außenpolitischen Diskussionen bewegt.
Degenhardt: Zweiter Schwerpunkt der gestrigen Gespräche: Wie sehr kann Frau Merkel in der NSA-Spähaffäre Forderungen an die Amerikaner stellen? Sie hat ja von tiefen Diskussionen gesprochen, die man miteinander führen wolle. Aber glauben Sie wirklich, dass die Amerikaner am Ende auch nur ein bisschen ändern an ihrer Spähpraxis?
Michael Werz: Ja, natürlich. Die Diskussion ist ja hier schon in vollem Gange, der Präsident hat Mitte Januar diesen Jahres eine Grundsatzrede gehalten, hat darauf hingewiesen, dass auch er es für problematisch hält, dass diese Unmengen von Daten gerade im Telefonbereich in den Händen der Regierung liegen. Wir scheinen auf einem guten Weg zu sein, dass sich das verändert, dass die Speicherzeiten verringert werden und auch die Telefongesellschaften die Hoheiten über diese Daten weiterhin behalten werden. Es hat einen Bericht gegeben einer unabhängigen Kommission der US-amerikanischen Regierung, die sich zu Bürgerrechten und Privatsphäre, mit dem Thema auseinandergesetzt hat, die ganz scharf und deutlich gesagt hat, dass das, was die NSA im In- und Ausland getan hat, illegal ist und US-amerikanische Gesetze verletzt. Und es gibt einen dritten internen Prüfungsbericht, der gerade gestern vorgelegt worden ist für die Grundlagen zum Schutz der Privatsphäre von Konsumenten. Das ist eine Diskussion, die im Moment hier noch läuft, es gibt widersprüchliche Gerichtsurteile, widersprüchliche rechtswissenschaftliche Einschätzungen, es wird noch ein wenig Zeit bedürfen, bis wir das hier auf der amerikanischen Seite aussortiert haben, und dann ist der Zeitpunkt gekommen, um über die internationalen Dimensionen und die internationalen Auswirkungen der hiesigen und auch der europäischen Diskussion zu sprechen. Es gibt ein weitgehendes Verständnis dafür, dass die Deutschen sauer sind, und dieser Ärger wird auch hier von vielen Amerikanerinnen und Amerikanern geteilt.
Degenhardt: Was meinen Sie, Herr Werz, würde eine Anhörung Snowdens in Berlin das deutsch-amerikanische Verhältnis weiter oder wieder belasten?
Michael Werz: Das würde es tun, weil Snowden US-amerikanische Gesetze gebrochen hat und von den hiesigen Behörden vorgeladen werden soll. Insofern wäre das mit Sicherheit keine besonders kluge Aktion. Man muss sich ja auch überlegen, ob es wirklich notwendig ist, dass Edward Snowden nach Berlin kommt oder ob das auch eine eher theatralische und symbolische Aktion wäre. Es wird durchaus verstanden, dass die Deutschen verärgert sind, aus gutem Grund; was weniger verstanden wird, ist der hohe moralische Rigorismus, mit dem die Diskussion zuweilen geführt wird, und die Tatsache, dass die Deutschen nur über die Spionage sprechen, aber nicht über die deutschen Interessen, die auch durch die US-amerikanischen nachrichtendienstlichen Ermittlungen mit abgedeckt werden. Und es wird eine interessante Dimension des Untersuchungsausschusses sein, der ja wahrscheinlich relativ wenige Papiere von der NSA zugestellt bekommen wird, wenn man sozusagen von den bisherigen Erfahrungen ausgehen darf, und wenn dann deutlicher wird, in welcher intensiven Art und Weise Dienste in Deutschland und in Europa mit den Amerikanern zusammenarbeiten, verändert sich die Diskussion und vielleicht versachlicht sie sich dann auch ein wenig.
Degenhardt: Über den Besuch von Angela Merkel in Washington, mein Gesprächspartner war Michael Werz, Sozialwissenschaftler vom Center for American Progress in Washington. Vielen Dank, Herr Werz, für das Gespräch!
Michael Werz: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.