Streit um Privatstraßen in Berlin

Ärger über Willkür vieler Eigentümer

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Ein Schild markiert einen Privatweg, der zum Grundstueck und zum Wohnhaus eines Anliegers führt im Bezirk Steglitz-Zehlendorf.
Straße in privaten Händen: Wer hier Zutritt erhält, entscheiden die Eigentümer. © dpa/ Wolfram Steinberg
Von Daniela Siebert · 08.06.2020
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Private Straßen werden plötzlich umbenannt oder nachts nicht mehr beleuchtet. Fernsehteams dürfen dort nur unter Auflagen drehen. Die Berliner SPD möchte Privatstraßen daher verbieten, die CDU lehnt das ab und spricht von "Enteignung".
Der Potsdamer Platz, mitten in Berlin. Hier treffe ich Christian Walther, Fernsehjournalist und Vorsitzender des hiesigen Journalistenverbandes. Ohne Corona würden jetzt Hunderte Touristen aus aller Welt um uns herum wuseln - ohne zu ahnen, dass sie dauernd Privatstraßen betreten. Etwa den Marlene-Dietrich-Platz. Oder die Brüder-Grimm-Gasse. Oder die Ludwig-Beck-Straße. Und und und.
Auch Reporter Christian Walther erlebte hier zum ersten Mal, dass sich Pressefreiheit und Eigentumsrechte nicht immer gut vertragen:
"Wir standen gegenüber vom Musical Theater, also am sogenannten Marlene Dietrich Platz, haben das Kamerateam aufgebaut, und plötzlich kommt die Security und fragt: 'Haben Sie eine Drehgenehmigung?' Und ich sage: 'Drehgenehmigung? Das ist doch hier öffentliches Straßenland!' Und der sagt: 'Nee, das ist kein öffentliches Straßenland, das ist eine Privatstraße'."

Konflikt mit Presse- und Versammlungsfreiheit

Es liegt wohl nicht zuletzt an dieser schlechten Erfahrung, dass Berlin jetzt über Privatstraßen diskutiert. Denn Walther recherchierte damals zusammen mit der Journalistengewerkschaft weitere Fälle und Hintergründe solcher Behinderungen. Das gipfelte 2018 in einer Pressemitteilung, in der Privatstraßen als Risiko für die Presse- und Versammlungsfreiheit kritisiert werden. Ein Faktor dabei: Von Fernsehteams würden immer wieder Motivverträge verlangt, wenn sie an bestimmten Orten drehen wollen, so Walther:
"Ja, das ist ein Vertrag über die Ansichten, die Bilder, die man da machen kann. Wo kommen wir denn da hin, wenn die sagen: 'Nur die schönen Seiten wollen wir sehen, leer stehende Läden passen uns zurzeit nicht so ins Konzept'. Könnte ja sein."
Auch vor der Mercedes-Arena auf dem privaten Mercedes-Platz könnten die Eigentümer Journalisten und Demonstranten das Leben schwer machen, moniert Walther. Dabei sei gerade auch dieser Platz wegen politischer Veranstaltungen in der Arena für Versammlungen und Berichterstattung wichtig. Walthers Fazit: Es dürfe keine Situation geben, in der die Privateigentümer über die Berichterstattung entscheiden. Hier sei die Politik gefragt.

Post bleibt aus, denn plötzlich heißt die Straße anders

Kuriose Erfahrungen mit Privatstraßenbesitzern mussten auch andere Berliner schon machen. Etwa in Kladow. Dort wurde aus einem Teil des Kladower Damms plötzlich die "Parkviertelallee". Nur dass viele Anwohner davon gar nichts wussten. "Wir haben wochenlang keine Post bekommen", klagte etwa eine Geschäftsfrau aus der Straße. Andere Nachbarn erfuhren von der Umbenennung erst durch Rückläufe von Postsendungen. Möglich war diese böse Überraschung, weil private Straßeneigentümer eine Umbenennung einfach nur beim Grünflächenamt anzeigen müssen.
Ortswechsel, Berlin-Spandau. Seit 15 Jahren wohnt Franz Schmidt-Lammert mit seiner Frau im Bödikersteig. "Uns war überhaupt nicht bewusst, dass hier eine Privatstraße ist", erzählt der Mittsiebziger. Das Kopfsteinpflaster auf dem Gehweg vor seinem Wohnhaus ist sehr klein und sehr alt. Genauso auf der schmalen Einbahnstraße daneben. Der Bordstein ist ungleichmäßig, ebenso die Fahrbahn. Bei Regen gebe es hier tiefe Pfützen, klagt der Anwohner.

Keine Laternen an der Privatstraße

Das ist aber gar nicht seine Hauptsorge. Die betrifft drei Straßenlaternen, welche hier vor zwei Jahren ersatzlos abmontiert wurden. Erst dadurch merkte Schmidt-Lammert, dass er in einer Privatstraße wohnt:
"Ja, als es dann Herbst wurde, dann war es hier zappenduster. Konnte man nix mehr sehen. Und es ist wirklich für Leute unseres Alters unangenehm, hier bei Dunkelheit lang zu laufen. Man sollte also, wenn es dunkel ist, diese Straße möglichst meiden, sowohl als Autofahrer als auch als Fußgänger. Es kann gefährlich werden. Es wird im Winter ja auch nicht geräumt."
Er habe die Hausverwaltung beauftragt, sich bei den Straßeneigentümern für neue Laternen einzusetzen. Passiert sei bislang nichts, so Schmidt-Lammert. Eigentümer seien die verschiedenen Hausbesitzer entlang der kurzen Wohnstraße aus vier- bis fünfstöckigen Gebäuden.

SPD will keine privaten Straßen mehr zulassen

Gleich um die Ecke hat der SPD-Politiker Daniel Buchholz sein Wahlkreisbüro. Er hat sich das Thema Privatstraßen zum Anliegen gemacht und im Berliner Abgeordnetenhaus einen Antrag eingebracht, der darauf abzielt in Berlin künftig keine neuen Privatstraßen mehr zu erlauben:
"Wir erleben, dass die Straßen dunkel bleiben, dass die Unterhaltung nicht klar geregelt ist, wir merken auch, dass die Ämter vor Ort nicht so richtig wissen, wer ist eigentlich wofür zuständig. Und dieses ganze Wirrwarr können wir natürlich am besten entwirren, indem wir sagen: Es gibt grundsätzlich keine Privatstraßen mehr. Damit ist immer klar: Die öffentliche Hand hat die Verantwortung."
Nach Buchholz' Beobachtung nimmt die Zahl der Privatstraßen in Berlin zu. Da es aber keine genauen Daten dazu gebe, fordert der SPD-Antrag den Senat auf, eine Übersicht über sämtliche bestehenden Privatstraßen in Berlin zu erstellen. Und außerdem offenzulegen, welche Anforderungen deren Eigentümer erfüllen müssen. Bislang könne man sich da nämlich nicht mal auf die Einhaltung der Verkehrssicherungspflicht verlassen, so Daniel Buchholz:
"Dazu gibt es unterschiedliche Auskünfte von unterschiedlichen Berliner Berirksämtern. Und das ist ein Teil des Problems."
Dieses Kuddelmuddel, wie er es nennt, soll aufhören. Bei Bedarf auch durch Gesetzesänderung. Unterstützt wird sein Antrag auch von den Koalitionspartnern Die Linke und Bündnis90/Die Grünen.

CDU warnt vor Folgekosten für die Stadt

Die Opposition hält von dem Antrag wenig. Christian Gräff von der CDU argumentierte im Plenum des Abgeordnetenhauses:
"Also ehrlich gesagt, die Überschrift dieses Antrags hätte ja sein müssen ‚Privatstraßen enteignen‘. Sie wollen, dass es zukünftig keine Privatstraßen mehr gibt, und Sie wollen die, die da sind, im Kern enteignen. Aber warum wir das oft gemacht haben - die Berliner Bezirke - ist in der Tat deswegen: Weil die öffentliche Hand dafür kein Geld hatte - oder besser gesagt: kein Geld ausgeben wollte."
Zwar müsse man eine Regelung für die Presseeinschränkungen finden, so Gräff, aber grundsätzlich gelte die Vertragstreue auch für städtebauliche Verträge, über die die Privatstraßen vereinbart werden. Außerdem müssten die Folgekosten bedacht werden, wenn man da was ändere.
Aber, wie dem auch sei: Bislang ist der Privatstraßen-Streit kaum mehr als ein Sturm im Wasserglas. Der Antrag wurde erst einmal an die Ausschüsse des Abgeordnetenhauses überwiesen.
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