Streit um Opferzahlen der Vertriebenenverbände

16.11.2006
Der Historiker und Mitarbeiter am Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung, Ingo Haar, hält die Opferzahlen der Vertriebenenverbände für deutlich überhöht. Die verwendete Zahl von zwei Millionen toten Vertriebenen stamme aus den 50er Jahren und sei historisch völlig veraltet, sagte Haar im Deutschlandradio Kultur.
Ihm sei unklar, wie man daraus heutzutage noch politisches Kapital schlagen könne, betonte Haar: "Diese Zahlen sind falsch, und wer diese Zahlen außenpolitisch verwendet, der versucht, in Polen Affekte zu erzeugen, um sich selbstgerecht in Szene zu setzen." Die Zahl von zwei Millionen basiere auf Studien aus den 50er Jahren, erläuterte Haar. Damals habe die Bundesregierung aus politischen Gründen Studien in Auftrag gegeben, bei denen Maximalzahlen an Vertriebenen und toten Vertriebenen herauskommen sollten. Diese Zahlen seien später wieder revidiert worden, sagte er.

Mittlerweile habe man einen neuen Forschungsstand erreicht, der nicht genügend in die Berechnungen der Vertriebenverbände einbezogen worden sei, kritisierte Haar. In neueren Studien würden 400.000 Opfer von Vertreibungen für die Gebiete jenseits der Oder-Neiße-Linie und 100.000 sudetendeutsche Opfer genannt. Die deutsch-tschechische Historikerkommission gehe seit Ende der 80er Jahre sogar nur von 15.000 bis 16.000 sudetendeutschen Toten aus. Diese Kommission habe schon damals darum gebeten, die alten Zahlen aus den 50er Jahren in der politischen Debatte nicht mehr zu verwenden.

Erika Steinbach, die Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen, verteidigte ebenfalls im Deutschlandradio Kultur die Höhe der Vertriebenenzahlen: "Die Zahlen, die wir benutzen, sind die offiziellen Zahlen der Bundesrepublik Deutschland, die sehr sorgfältig durchgerechnet sind", sagte sie. Nach ihrer Auffassung seien die Berechnungen sogar noch zu niedrig.

Das Gespräch mit Ingo Haar können Sie für begrenzte Zeit in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören.