Streit um menschgemachtes Vogelgrippe-Supervirus

Alexander Kekulé im Gespräch mit Britta Bürger |
Niederländische Forscher haben im Tierversuch ein ansteckendes, tödliches Vogelgrippevirus hergestellt. Der Virologe Alexander Kekulé ist erschrocken darüber, wie einfach das Experiment funktionierte.
Britta Bürger: In einem Hochsicherheitslabor der Rotterdamer Erasmus-Universität wird ein extrem gefährlicher Erreger unter Verschluss gehalten. Der Virenforscher Ron Fouchier hat mit seinem Team ein Vogelgrippevirus vom Typ H5N1 so verändert, dass es sieben von zehn infizierten Versuchstieren getötet hat. Das mutierte Virus konnte sich im Versuch wie ein Schnupfen über die Luft verbreiten, ist also hochgradig ansteckend. Über seine Versuche hat der Forscher bereits auf einer öffentlichen Konferenz gesprochen, nur publizieren darf er den Bericht bislang nicht. Anscheinend fürchtet man, dass die Ergebnisse zur Herstellung von Biowaffen missbraucht werden könnten. Stoff für ein Gespräch mit dem Virologen Alexander Kekulé. Er ist Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Schönen guten Morgen, Herr Kekulé!

Alexander Kekulé: Guten Morgen, Frau Bürger!

Bürger: Was wollten die niederländischen Forscher denn mit ihrem Experiment überhaupt genau herausfinden?

Kekulé: Ja, wir haben in der Virologie ein großes Fragezeichen seit vielen Jahren: Es gibt von bestimmten Viren, zum Beispiel diesen Grippeviren, gibt es Typen, die sind sehr gefährlich für den Menschen. Und es gibt andere, die sehen ganz ähnlich aus, sind aber fast ungefährlich. Wir hatten ja das Problem bei der Schweinegrippe, da wusste man vorher nicht, wie gefährlich sie wird, alle haben gewarnt, alle haben Angst gehabt, es wurden Impfstoffe entwickelt und hinterher war es doch ein relativ harmloses Virus, was da kam. Wir können das vorher nicht unterscheiden anhand der Struktur des Virus, ob es gefährlich ist oder nicht. Und die wollten genau das rausfinden, was macht einen Virus wirklich gefährlich, und haben hier das Vogelgrippevirus, was eigentlich Menschen nicht infiziert, aber ein sehr gefährliches Virus ist, so verändert, dass es ganz leicht von Versuchstier zu Versuchstier überspringen kann, also sozusagen ein Killervirus absichtlich gebastelt.

Bürger: Das Experiment wurde an Frettchen durchgeführt. Kann man das auch auf den Menschen übertragen?

Kekulé: Das Prinzip kann man sehr wohl auf den Menschen übertragen. Für mich als Virologe ist das Erschreckendste an diesem Experiment eigentlich, wie einfach es funktioniert hat. Diese Übertragbarkeit von Tier zu Tier oder von Mensch zu Mensch, die verstehen wir inhaltlich nicht. Wir wissen nicht, warum das so ist. Und Fouchier und seine Leute dort in Rotterdam haben zuerst alle möglichen komplizierten genetischen Methoden versucht, um das Virus so zu verändern, dass es leichter überspringt. Das hat nicht funktioniert und dann haben sie es aufgegeben und was ganz Altmodisches gemacht, was man schon lange kennt, nämlich einfach das Virus immer wieder von Frettchen zu Frettchen – das sind ja so kleine nagetierähnliche Viecher – zu übertragen im Labor. Also einfach immer weiter zu übertragen und dadurch sozusagen eine biologische Optimierung zu machen, ohne dass man groß Gentechnik können muss. Und das könnte praktisch jeder machen, also, das ist ganz einfach. Da brauchen Sie nur einen Stall und müssen sich selber schützen und brauchen die Tiere und ein bisschen Geduld.

Bürger: Das macht die Sache natürlich äußerst gefährlich, denn sollten die Ergebnisse oder, wenn Sie sagen, es ist überhaupt so einfach, allein schon diese Beschreibungen in die falschen Hände geraten, dann könnten damit ja auch unter Umständen terroristische Anschläge verübt werden. Das amerikanische Gremium für Biosicherheit hat die Veröffentlichung der Ergebnisse im Fachmagazin "Science" erst mal blockiert. Ist das richtig oder wie transparent sollten solche Forschungen sein?

Kekulé: Also, zum einen, die Vermutung, dass so was in die falschen Hände oder missbraucht werden könnte, das ist auf jeden Fall richtig. Ich muss da sagen, ich habe vor zehn Jahren schon gesagt, dass das Influenzavirus der heißeste Kandidat für einen biologischen Anschlag ist, gerade weil es so leicht zu verändern ist. Die Frage ist nur, was soll man machen mit dieser Erkenntnis, dass das auch missbraucht werden könnte. Ich glaube, es hat keinen Sinn, die wissenschaftlichen Ergebnisse zu stoppen. Was dann passiert, ist, dass die Fachleute, die eigentlich ja Gutes wollen und die auch Staaten und Bürger schützen wollen, dass die dann nicht Bescheid wissen. Weil die sind angewiesen auf diese öffentlichen Publikationen. Aber die Bösen, wenn ich das mal so sagen darf, die finden immer Wege, auf dunklen Kanälen an die Rezepte ranzukommen. Auch Staaten, die ja möglicherweise hier helfen, es gibt ja doch immer wieder Staaten, die auch Terror unterstützen, die haben dann geheimdienstliche Möglichkeiten, an solches Material ranzukommen. Sodass man im Ergebnis in der Situation wäre, die Angreifer wissen Bescheid, die Verteidiger sind blind. Und das muss man auf jeden Fall vermeiden.

Bürger: Wie weit geht die Freiheit der Forschung? Sind Experimente auch dann noch sinnvoll, wenn die Ergebnisse von Terroristen missbraucht werden könnten? Darüber sprechen wir hier in Deutschlandradio Kultur mit dem Virologen Alexander Kekulé. Würden Sie tatsächlich sagen, Forscher sollten alles ausprobieren können, was technisch machbar ist?

Kekulé: Nein. Ich meine, es gibt ganz sicher Grenzen hier und ich meine vor allem, das Wichtigste ist, der Forscher darf so was nicht selber entscheiden. Hier hat eine sehr ehrgeizige Arbeitsgruppe Fouchier und Ab Osterhaus aus Rotterdam das gemacht in Holland parallel im Wettstreit mit einer Arbeitsgruppe zwischen Tokio und USA. Es gibt noch eine zweite Arbeitsgruppe, die ein ganz ähnliches Resultat hat ...

Bürger: ... ist dieses 'sehr ehrgeizig', was Sie gerade gesagt haben, kritisch gemeint oder bewundernd?

Kekulé: Ja, das ist in dem Fall beides. Es sind natürlich hervorragende Wissenschaftler, die haben sich hier nur auch durch den internationalen Konkurrenzdruck natürlich jetzt treiben lassen, dieses Experiment zu machen, weil man wusste, irgendjemand macht's, wir wollen die Ersten sein. Und es war klar, dass da natürlich Sicherheitsbedenken und ethische Bedenken bestehen. Und die haben dann einfach nach gewissenhafter Prüfung entschieden, wir machen das. Ich meine, so was dürfen Wissenschaftler nicht selber entscheiden, sondern da muss, bei solchen weitreichenden Experimenten muss es eine öffentliche Kontrolle geben, meines Erachtens sogar eine internationale Kontrolle ähnlich wie bei Atomwaffen, dass man hier den biologischen Bereich wirklich kontrolliert, dass nicht der Wissenschaftler das alleine entscheiden darf. Und ich glaube, dass manche meiner Kollegen ganz froh wären, wenn sie da eine Stelle hätten, die sie fragen dürfen.

Bürger: In Genf findet ja gerade die Überprüfungskonferenz der internationalen Biowaffen-Konvention statt. Dort wird man sich auch mit der sogenannten synthetischen Biologie befassen, also damit, wie sich Viren und Bakterien im Labor herstellen lassen. In welcher Weise könnte jetzt dort auf diesen Fall reagiert werden?

Kekulé: Also, diese Überprüfungskonferenz ist ja, fast schon hätte ich gesagt, ein Ritual, was es alle Jahre wieder gibt. Die reagiert letztlich nicht auf solche aktuellen Ereignisse. Ein solches Experiment ist längst antizipiert worden, also, da hat man schon gedacht, dass so was möglich ist. Das ist in der Diskussion eingeflossen und man diskutiert hier jetzt eigentlich mehr so Hightech-Methoden, die an der Forschungsspitze stehen. Und da geht es ja auch um Biowaffen. Wissen Sie, die Biowaffen-Konvention, wer die unterschreibt und einhält, das sind ja sowieso die Guten. Wir müssen ja wirklich an die denken, die überhaupt nicht registriert sind in der Konvention und die sie auch nicht unterschrieben oder ratifiziert haben, sondern die einfach machen, was sie wollen. Und hier ist es so, solche biologischen Kampfstoffe kann man eben in jedem winzigen kleinen Labor irgendwo in der Höhle im Hindukusch oder sonst wo herstellen. Das ist anders als bei Atomwaffen und sehr schwer kontrollierbar.

Bürger: In Deutschland haben wir zum Vergleich seit 1990 das Gentechnikgesetz, an dessen Erarbeitung haben Sie damals auch als junger Assistent mitgewirkt. Hier sollte ja auch verhindert werden, dass mit gentechnisch veränderten Organismen ein Missbrauch geschieht. Hat dieses Gesetz denn den erwünschten Effekt erzielt?

Kekulé: Das Gesetz hat auf jeden Fall den Effekt erzielt. Man hat ja damals sehr große Angst gehabt vor solchen gentechnisch veränderten Erregern. Man wusste gar nicht, was da auf einen zukommt. Die Wissenschaftler haben sich auch selber danach gesehnt, eine klare Regelung zu haben. Dann gab es die Regelung, die sehr streng am Anfang war in Deutschland, und man hat gemerkt, huch, da passiert ja gar nichts, es ist ja alles ungefährlich. Meistens sind die Organismen, die man verändert hat, so kaputt dadurch, dass sie überhaupt nicht mehr gefährlich sind. Deshalb ist bei uns in Deutschland so ein bisschen die Gegenrichtung jetzt ausgeschlagen, die Behörden sind sehr, sehr lax geworden bei der Aufsicht. Die sagen, im Zweifelsfall ist es so, dass wir sowieso nichts Gefährlicheres herstellen können, als es die Natur hervorgebracht hat. Und dadurch wird das Gentechnikgesetz sehr locker eigentlich ausgelegt im Moment. Ich glaube, solche Experimente wie dieses aktuelle, was dort in Holland gemacht wurde, zeigen uns, dass man versehentlich auch mit ganz einfachen Handgriffen ein Virus gefährlicher machen kann, als es vorher in der Natur war. Und das ist natürlich auch ein Aufruf an die Behörden, die das Gentechnikgesetz auszulegen haben, dass man hier schon sehr, sehr genau hinschauen muss, was die einzelnen Forscher so vorhaben und sich genehmigen lassen.

Bürger: Und was ist das konkret jetzt für eine Regulierung, die Sie sich in solchen Fällen vorstellen?

Kekulé: Also, ich meine, in Deutschland haben wir das Gesetz. Wir müssen es nur besser auslegen. Wir haben in Deutschland das Problem, dass die Behörde – das ist die Gewerbeaufsicht, die hier zuständig ist – meistens den Antragstellern völlig unterlegen ist. Also, ein Max-Planck-Wissenschaftler oder ein Wissenschaftler in einer großen Forschungsfirma, die sind einfach Experten. Und die Leute von der Gewerbeaufsicht, die müssen ja von irgendeiner Eckkneipe über die Müllabfuhr bis zur Gentechnik alles kontrollieren, die kennen sich da häufig nicht so gut aus. Da brauchen wir meines Erachtens ein besseres Know-how bei den Leuten, die die Bedingungen dann überprüfen. Das Gesetz selber ist völlig in Ordnung. Und international, habe ich schon vor längerer Zeit mal gefordert, brauchen wir eine Agentur ähnlich wie die Internationale Atomaufsichtsbehörde in Wien, die sich speziell um biologische Gefahren kümmert, weil die heutzutage tatsächlich viel leichter zugänglich sind und natürlich ein mindestens so großes Gefährdungspotenzial für die Bevölkerung haben wie die Atomwaffen.

Bürger: Und warum gibt es so was bislang noch nicht?

Kekulé: Wissen Sie, dass die IAEO, die Atombehörde damals entstanden ist, das war politisch ein Glücksfall, ein Sonderfall. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich ausnahmsweise die Vereinten Nationen, die Staatengemeinschaft zusammengerissen, damals auch sehr stark unter der Ägide der USA, dass man gesagt hat, wir wollen das jetzt haben und wir machen das jetzt. So ein einmaliges historisches Ereignis, wo die Zeit und die Interessen einfach so konvergieren, das gibt es nicht wieder. Man könnte auch heute übrigens die IAEO auf keinen Fall wieder gründen, das wäre politisch völlig undenkbar, dass heute da alle unterschreiben. Und es ist genau so undenkbar, dass man eine ähnliche Einrichtung für den biologischen Bereich bekommt. Da gibt es viele, viele Staaten, auch große, die sich nicht reinreden lassen wollen, allen voran die USA, die machen schon lange Forschung, die offiziell Bioabwehrforschung ist, aber von ihrem Gefährdungspotenzial her natürlich auch für Angriffe missbraucht werden könnte.

Bürger: Der Virologe Alexander Kekulé, ich danke Ihnen sehr fürs Gespräch, Herr Kekulé!

Kekulé: Sehr gerne!

Bürger: Tschüss!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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