Streit um Konzert in Tel Aviv

Radiohead spielt trotz Boykottaufruf

Radiohead-Frontmann Thom Yorke während eines Konzerts in Mexiko City im Oktober 2016.
Radiohead-Frontmann Thom Yorke verteidigt seine Entscheidung, in Israel aufzutreten. © dpa / EFE / OCESA
Professor Carlo Strenger im Gespräch mit Nicole Dittmer und Julius Stucke · 19.07.2017
Trotz aller Kritik gibt die britische Alternative-Rockband Radiohead in Tel Aviv ein Konzert. "In einem Land aufzutreten heißt nicht, dass man die Regierung unterstützt", konterte Radiohead-Frontmann Thom Yorke auf Twitter die Vorwürfe und Boykottaufrufe zahlreicher Künstler.
In einem offenen Brief haben Musiker wie Roger Waters von Pink Floyd, Thurston Moore von Sonic Youth oder Nick Seymour von Crowded House die Musiker von Radiohead aufgefordert, ihren politischen Positionen treu zu bleiben und sich wegen der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern ihrem Boykott anzuschließen.
Immerhin, so die Unterzeichner, hätten Radiohead ja auch bereits Konzerte für die Freiheit der Tibeter oder für Amnesty International gegeben. Eine Absage des Konzerts in Tel Aviv "wäre ein kleiner Schritt, um dabei zu helfen, Druck auf Israel auszuüben, seine Verletzungen der Menschenrechte und des Völkerrechts zu beenden".
Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu hat den Boykottaufruf ebenfalls unterzeichnet. Auch Künstler anderer Sparten meldeten sich zu Wort - wie der britische Regie-Altmeister Ken Loach. Er forderte Radiohead auf sich zu entscheiden, ob die Band auf der "Seite der Unterdrückten oder der Unterdrücker" stehen wollen.
Radiohead-Frontmann Thom Yorke äußerte sich zu alldem schließlich in einem Tweet: "In einem Land aufzutreten heißt nicht, dass man die Regierung unterstützt. In den letzten 20 Jahren haben wir in Israel unter verschiedenen Regierungen gespielt, manche waren liberaler als andere. Genau wie in Amerika. Wir unterstützen Netanyahu nicht mehr als Trump, trotzdem treten wir immer noch in Amerika auf. Bei Musik (…) geht es darum, Grenzen zu überwinden, (…) unvoreingenommen zu sein. Es geht um Menschlichkeit, Dialog und freie Meinungsäußerung."
Radiohead stehen damit nicht allein. Die Rolling Stones, Paul McCartney, Elton John oder Bon Jovi haben in Israel Konzerte gegeben. Andere wie Stevie Wonder, Carlos Santana oder Lauryn Hill weigern sich.

Was kann oder soll so ein Boykott bewirken?

Carlo Strenger, Professor für Psychologie und Philosophie an der Universität Tel Aviv, bezeichnet sich selbst als "ausgesprochenen Kritiker der israelischen Siedlungspolitik". Für den Boykottaufruf hat er trotzdem wenig Verständnis: "Was mich immer wieder zutiefst empört: Israel begeht sicherlich Menschenrechtsverletzungen in den palästinensischen Gebieten", sagt er im Interview. Verglichen mit den Menschenrechtsverletzungen Chinas, Russlands, des Iran und vieler anderer Staaten seien diese Menschrechtsverletzungen jedoch "noch weit innerhalb eines Rahmens einer akzeptablen Zivilisation". Bezüglich der anderen Länder gäbe es jedoch keine Boykottaufrufe.
"Und da sollte sich doch jeder mal mit seinem eigenen Gewissen auseinandersetzen - und sich die Frage stellen, warum Israel ja - und die anderen nicht."

Reaktionen aus Israel

Dass Radiohead den Appellen der Boykottbefürworter nicht gefolgt ist und am 19.7. in Tel Aviv auftritt, hat auch in Israel zu kontroversen Diskussionen geführt, die unsere Korrespondentin Eva Lell zusammenfasst:
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