Streit um jüdische Identität

"Ausgesprochen unappetitliches Medienecho"

10:37 Minuten
Ein Mann mit mittelbraunem Bart und grauer Mütze, grauem Sakko, grauem Pullunder und hellblauem Hemd spricht in ein Mikrofon.
Die Debatte um die Definition von Judentum, die sich am Beispiel von Max Czollek entwickelte, hat sich in die nichtjüdische Öffentlichkeit ausgedehnt. © imago / gezett
Hanno Loewy im Gespräch mit Britta Bürger · 14.09.2021
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Die Frage, wer sich als Jude bezeichnen darf, beschäftigt seit dem öffentlichen Streit von Max Czollek und Maxim Biller nicht nur die jüdischen Gemeinden. Medienwissenschaftler Hanno Loewy sieht dabei eine Cancel Culture von rechts Raum gewinnen.
Mit einem Tweet im Juli fing alles an:

Der Publizist Max Czollek machte so öffentlich, dass der Schriftsteller Maxim Biller, ihn nicht als Juden anerkenne und beklagte damit "innerjüdische Diskriminierung".
In seiner Kolumne im Wochenmagazin "Die Zeit" bestätigte Biller dies und schrieb, er hätte Czollek auch gesagt, dass er Leute wie ihn, die zurzeit "als Faschings- und Meinungsjuden den linken Deutschen nach dem Mund redeten, kaum noch aushalte."
Mittlerweile hat sich aus dem Zwist eine aufgeregte Debatte in den Feuilletons und auf Social Media entwickelt. Dabei gerät durcheinander, ob Czollek aufgrund seiner Selbstdefinition als Jude angegriffen wird oder weil er Meinungen vertritt, die nicht allen gefallen.
Jüdischem Religionsrecht nach ist man nur Jude, wenn die eigene Mutter Jüdin ist. Das bestätigt so auch der Zentralrat der Juden in Deutschland. Czollek hat "nur" einen jüdischen Großvater.
Doch ist das pure Beharren auf Religionsrecht heutzutage noch angebracht und geht es in der Diskussion auch um etwas anderes?

Eine Welt gemischter Identitäten

Die Debatte verberge, worum es eigentlich gehe, sagt der Leiter des Jüdischen Museums Hohenems, Hanno Loewy. "Diese Wut der Angriffe auf Max Czollek ist nur darüber erklärbar, dass er offenkundig mit seinen Positionen aneckt und Leute provoziert und das ist etwas, dass man eigentlich aushalten muss."
Gerade in innerjüdischen Diskussionen spreche man sich dann immer wieder das Recht ab, als Jude reden zu dürfen, sagt Loewy. Man lebe nun mal aber in einer Welt der gemischten Identitäten.
"Es gibt viele Menschen, die nicht in einer klassischen, halachischen Familie aufgewachsen sind, für die aber jüdische Erfahrung zentral dafür geworden ist, welche Position in der Welt man selber sieht."
In einem offenen Brief haben Journalisten, Wissenschaftler und Kulturschaffende Czollek in Schutz genommen und auch auf die Schadenfreude konservativer Medien an einem innerjüdischen Konflikt hingewiesen.

Delegitimierung der Gegenposition als Ziel

Das Echo in den konservativen Medien in der Auseinandersetzung findet Loewy "ausgesprochen unappetitlich" und sieht darin eine neue Form der Cancel Culture von rechts.
"Es geht in dieser Auseinandersetzung immer darum, die Position des anderen grundsätzlich zu delegitimieren. Die Antisemitismusvorwürfe, mit denen man in den letzten Jahren wild um sich schießt, dienen nicht einem analytischen Erkenntnisgewinn, sondern damit, irgendjemand aus dem öffentlichen Diskurs auszuschließen."
Umgekehrt dienten Rassismusvorwürfe und Boykottaufrufe ebenfalls dazu, die Gegenposition zu delegitimieren. Die Angriffe auf Czollek seien "im Wesentlichen ein Versuch, jemanden öffentlich als Lügner, als jemanden, dem man nicht trauen darf, zu brandmarken. Das ist eine Untergriffigkeit, die neu ist, das ist eine infame Form von öffentlichem Kaltstellen."

"Interessante Menschen haben gemischte Identitäten"

Loewy beklagt, dass die Kategorie Identität heutzutage so eine starke Rolle spiele.
"Es geht immer darum, wer eine reine, klare Identität hat. Interessante Menschen haben gemischte Identitäten und interessante Menschen sind eher zwischen den Lagern zu finden als da, wo ethnische Homogenität gepredigt wird."
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