Streit um heimischen Rohstoff

Kies wird knapp

29:52 Minuten
Blick auf den Kiestagebau Wörbzig mit Förderanlage
Kiestagebau Wörbzig: Etwa 2000 Gewinnungsstellen gibt es in Deutschland laut der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe. © Deutschlandradio / Marius Elfering
Von Marius Elfering · 08.12.2020
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Rund 155 Millionen Tonnen Kies werden im Jahr in Deutschland abgebaut – für Straßen, Brücken und Häuser. Und der Bedarf steigt. Doch viele Vorkommen sind überbaut, liegen unter Ackerflächen oder in Schutzgebieten. Der Widerstand gegen den Abbau wächst.
"Das ist jetzt hier ein schwimmender Eimerkettenbagger. Mit denen gewinnen wir in den meisten unserer Kieswerke. Voraussetzung ist, dass der Grundwasserstand so hoch ist, dass hier mal ein See entstehen wird, dass die also eine schwimmende Gewinnung durchführen können. Hier guckt der Kies etwa fünf Meter raus. Im Wasser haben wir in etwa nochmal die gleiche Höhe."
Thomas Jung zeigt auf den großen See, der vor ihm liegt. Ein Bagger, riesig und schwerfällig, liegt im Wasser, holt Eimer um Eimer Kies aus dem See heraus.
Jung ist Geschäftsführer der "Mitteldeutsche Baustoffe GmbH". Sein Unternehmen betreibt Kieswerke in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Heute ist er im Kiestagebau Wörbzig in Sachsen-Anhalt.
"In so einen Becher passen ungefähr 180 Liter. Da kommen wir auf Leistungen von 350 Tonnen die Stunde, die der jetzt hier Kies aus dem Kiessee holt."
Rund 155 Millionen Tonnen werden pro Jahr in Deutschland gefördert. Der Rohstoff ist begehrt, wird zum Bauen von Straßen, Brücken und Häusern gebraucht. In den allermeisten Fällen als ein Bestandteil von Beton. Der Baustoff besteht zu etwa 60 Prozent aus Kies.

Kriterien für guten Kies

Thomas Jung ist Bergmann. Seine Ausbildung hat er in der DDR gemacht. Sein Leben lang beschäftigte er sich mit dem Abbau von Rohstoffen. Erst mit Kalisalzen, später dann bot man ihm die Leitung eines Kieswerks an. Heute, als Geschäftsführer des Unternehmens, kümmert er sich auch um die Erschließung neuer Abbauflächen. Jung ist auf der Jagd nach gutem Kies. Entscheidend ist die Kornform - ein guter Kies ist möglichst rund.
"Ein Kriterium für einen guten Kies ist auch noch die Wasseraufnahme. Das hängt wieder damit zusammen: Sie machen ja aus Sand und Kies und Zement dann Beton. Saugt der Kies Wasser auf oder das Wasser, was ich zugebe für die Betonherstellung? Geht das alles die Verbindung mit dem Zement ein oder gibt der Kies irgendwann nochmal wieder Wasser ab? Gibt es also sogenannte Saugverhalten? Ein guter Kies hat ein schlechtes Saugverhalten."
Thomas Jung steht am Kiessee und schaut in die Kamera
Thomas Jung ist Geschäftsführer der "Mitteldeutsche Baustoffe GmbH". Sein Unternehmen betreibt Kieswerke in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.© Deutschlandradio / Marius Elfering
Zwischen 2 und 63 Millimeter darf der Kies groß sein. Alles darunter gilt als Sand. Alles darüber als Steine. Bevor der Abbau in einem neuen Werk beginnen kann, muss zunächst die Erde, die über dem Rohstoff liegt, abgetragen werden. Hiernach gibt es zwei Möglichkeiten der Gewinnung: Die Trockengewinnung und die Nassgewinnung. Bei der Trockengewinnung bauen die Unternehmen den Rohstoff oberhalb der Grundwasserlinie ab. Bei der Nassgewinnung füllt sich das Abbaugebiet mit Wasser, da der Kies unterhalb der Grundwasserlinie oder aus Flussläufen gewonnen wird.
Geologisch gesehen ist Deutschland reich an Kies. Nicht nur in Mitteldeutschland gibt es große Vorkommen, auch in Bayern und entlang des Rheins. Kies ist der wichtigste heimische Baurohstoff. Etwa 2000 Gewinnungsstellen gibt es in Deutschland laut der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe.
Doch der Platz, an dem Kies abgebaut werden kann, wird knapper. Der Hauptgrund ist die Konkurrenzsituation um Flächen. Allein in Baden-Württemberg sind 70 Prozent der potenziellen Gewinnungsstellen anderweitig verplant, bebaut oder liegen in Naturschutzgebieten. In anderen Teilen Deutschlands ist die Situation ähnlich. Die landwirtschaftliche Nutzung ist ein weiterer Konkurrent um die Flächen.

Widerstand gegen Industrie ist massiv gewachsen

Unzählige Anträge hat Thomas Jung in den vergangenen Jahren in seinem Büro gelesen, mit Politikern, Naturschützern und Bürgern telefoniert. Er merkt: Der Widerstand gegen seine Industrie ist massiv gewachsen.
"Geändert hat sich, dass ein wesentlich höheres Mitspracherecht der Bevölkerung besteht und dass auf jede Einwendung eingegangen wird. Also wenn Herr Müller was dazu sagt, dann wird in der Genehmigung auch was dazu gesagt, was Herr Müller wollte. Und wenn Frau Meier eine Anmerkung hatte, wird auch auf diese Anmerkung schriftlich eingegangen. Und das sind wirklich 300-Seiten-Wälzer und immer wieder letztendlich sehr ähnliche Aussagen. Also wir haben zunehmend ein Problem damit, dass viele sagen: Ja, ich sehe es ja noch ein, dass wir Sand und Kies brauchen, aber bitte nicht vor meiner Haustür."
Blick auf den See am Kiestagebau Wörbzig
Tagebau Wörbzig: Kies ist der wichtigste heimische Baurohstoff.© Deutschlandradio / Marius Elfering
Auch während des Gesprächs bekommt er einen Anruf. Wieder verzögert sich ein Verfahren. Naturschützer haben Bedenken angemeldet. Wie in anderen Teilen Deutschlands auch, wurde in der Region in den vergangenen Jahrzehnten nicht nur Kies abgebaut. Auch der Braunkohletagebau fraß viele Flächen. Für Jung macht das die Sache nicht einfacher.
"Das ist ein Konflikt, den können Sie auch schwer lösen. Der besteht einfach. Und wenn Sie dann den Leuten sagen: Ja, aber ihr kriegt ja einen schönen Kiessee. Dann sagen die: Na guck mal da drüben, da ist der Braunkohletagebau Zwenkau. Der ist riesig. Wir brauchen hier kein Gewässer mehr. Also wir haben schlechte Argumente hier in dieser Region. Aber wir brauchen den Sand und Kies hier. Also wir haben jetzt schon eine Unterversorgung im Raum Halle/Leipzig. Wir fahren jetzt schon Material von angrenzenden Regionen ran und was ja unter Klimaaspekten auch nicht gerade vorteilhaft ist."

Genehmigung für Baufeld dauert 10 bis 12 Jahre

Für die Genehmigung eines neuen Baufeldes rechnet Jung heute im Schnitt etwa 10 bis 12 Jahre. Hat er Erfolg, dann bleibt das neue Kieswerk in der Regel etwa 20 bis 30 Jahre in Betrieb. Doch es gibt Situationen, in denen eine Einigung nicht möglich ist. Die Folge sind dann lange Gerichtsverfahren. Manchmal enden sie mit der Enteignung des Besitzers.
"Das liegt jetzt nicht zwingend am Preis, sondern dass eben gesagt wird: Ich verkaufe euch das nicht. Ich will nicht, dass Ihr die Flächen kriegt. Dass man das dann höchstrichterlich einklagen kann. Das dauert. Wir hoffen immer, dass es dann vorher doch eine gütliche Einigung gibt. Aber es ist nichts, was Spaß macht."
Knapp 70 Kilometer südlich vom Kieswerk Wörbzig entfernt, läuft Peter Feine durch seine Wohnsiedlung. Feine folgt einem schmalen Weg zwischen einigen Büschen hindurch. Dann sieht man ihn: Den Kiestagebau Rehbach. Auch betrieben von der Mitteldeutschen Bau GmbH. Peter Feine ist einer der Gegner des Kiesabbaus. Seit 20 Jahren wird der Rohstoff vor seiner Haustür gefördert. Schon damals gab es in der Bevölkerung Widerstand gegen die Erschließung.
"Ich weiß jetzt nicht mehr genau, ob das jeden Monat oder alle zwei Monate war, aber wir hatten jedenfalls etliche Termine. Das ist wie, ja Baustellenbegehung gewesen. Die fanden, ja zum Teil auch vor Ort statt. Und dort wurden eben viele Sachen festgelegt und damals, nach einigen Reibereien hier und da auch eingehalten."
Peter Feine steht vor einer Wiese und schaut freundlich in die Kamera
Peter Feine ist einer der Gegner des Kiesabbaus. Seit 20 Jahren wird der Rohstoff vor seiner Haustür gefördert. © Deutschlandradio / Marius Elfering
Für eine Abbauzeit von 20 Jahren bekam das Unternehmen von Thomas Jung die Genehmigung. In diesem Jahr endet sie. Eigentlich sollten die Maschinen schon weg sein. Doch noch immer ist der Bagger neben anderen Maschinen aufgebaut. Feine ärgert das.
"Es gibt einen Rahmenbetriebsplan. Und der beinhaltete neben diesen anfänglichen Abstandsbedingungen und welche Felder nicht ausgekiest werden und so weiter, beinhaltete der eben auch: Im März 2020 ist Schluss. Und nicht nur Schluss, dann ist auch alles zurückgebaut und die Rekultivierung ist abgeschlossen. Das ist der Plan."
Peter Feine will nur noch, dass der Tagebau verschwindet. Dass dies bisher nicht der Fall ist, ist für ihn auch ein Beispiel dafür, wie die kiesabbauenden Unternehmen ihre Grenzen immer wieder austesten würden.
"Vielleicht kann man das irgendwie mit einem Fußball vergleichen, wenn irgendwo ein Freistoß ausgeführt wird und die gegnerische Mannschaft geht immer drei Schritte vor. Und wenn der Schiedsrichter seine berühmte Linie gezogen hat, dann gehen die nochmal einen Schritt drüber, um am Ende dann doch ein Stückchen weiter vorne zu stehen als sie eigentlich durften. Aber das ist kein Fußballspiel hier. Jemand verdient Geld damit. Jemand verdient Geld damit die Erde aufzureißen, irgendjemanden mit irgendwas zu belasten."

Bürger protestieren gegen Zerschneidung der Landschaft

Peter Feine gibt zu, dass er damals, als sie gegen den Abbau protestierten mit mehr Belastungen gerechnet hätten. Mit mehr Schmutz, mehr Lärm.
Diese Sorgen, so sagt er, sind so nicht eingetreten. Was der Tagebau aber hinterlässt, ist die Zerschneidung der Landschaft. So sieht er das. Und daran will sich Peter Feine bis heute nicht gewöhnen.
Der Konflikt um den Kiestagebau in Rehbach, der bald, wenn die Maschinen abgebaut sind, ein Ende finden wird, ist währenddessen an anderen Orten in ganz Deutschland voll im Gange. Bürger protestieren gegen die Zerschneidung der Landschaft, fürchten den Verlust ihrer Häuser und Äcker. Machen sich Sorgen um Trinkwasserqualität, um sinkende Grundwasserspiegel, den natürlich gewachsenen Boden und die Tierwelt.
Dafür, dass die Bagger gar nicht erst die Landschaft antasten, kämpft beispielsweise eine Gruppe von Bürgerinitiativen in Westdeutschland erbittert.
Simone Spiegels steht in ihrem Wohnzimmer und schaut in die Kamera
Simone Spiegels ist die Vorstandsvorsitzende des Aktionsbündnisses "Niederrheinappell", einem Zusammenschluss unterschiedlicher Bürgerinitiativen.© Deutschlandradio / Marius Elfering
Kamp-Lintfort, in Nordrhein-Westfalen: Simone Spiegels, eine Frau mit einem wachen Blick und fester Stimme, sitzt an einem Tisch, darauf eine orangefarbene Tischdecke. Vor ihr: Eine Platte mit Bienenstich und Kaffee, den ihr Vater Theo Rams hingestellt hat.
Simone Spiegels ist die Vorstandsvorsitzende des Aktionsbündnisses "Niederrheinappell", ein Zusammenschluss unterschiedlicher Bürgerinitiativen, die gegen den Kiesabbau in der Region kämpfen.
"Ja, wir sitzen hier in meinem Elternhaus. Das ist ein kleines Paradies. Ich glaube viele können sich das gar nicht vorstellen. Ich bin hier groß geworden vor allem draußen. Das Haus ist inmitten dieses Gebietes, das jetzt in der Planung enthalten ist und abgebaut werden soll. Wenn Sie einen Zirkel ziehen, dann sitzen wir hier im Zirkelpunkt. Um uns herum sind Felder, ganz viele Büsche, alte Gehöfte, nur umgeben von sehr kleinen Wirtschaftsstraßen. Hier ziehen ständig Fahrradfahrer vorbei, Reiter kommen vorbei. Leute gehen mit ihrem Hund spazieren. Also ist quasi das Naherholungsgebiet, nicht nur von Kamp-Lintfort, sondern auch für das Ruhrgebiet."
Eigentlich ist Deutschland ein kiesreiches Land. Doch die Vorkommen sind ganz unterschiedlich verteilt. Der Niederrhein gehört zu den größten Lagerstätten Europas. Gletscher aus Skandinavien, die sich in der letzten Eiszeit in Deutschland ausbreiteten, transportieren große Mengen an Geröll. Als sie schmolzen, lagerten sich Gestein, Kies und Sand am Niederrhein ab. Das macht ihn attraktiv für die Wirtschaft.
"Man muss sich das so vorstellen: Wir sprechen hier über ein Gebiet, das liegt wie ein T, das beginnt im Prinzip, wenn man in Düsseldorf den Rhein entlang hoch bis zur holländischen Grenze und dann oben den Arm von dem T, links an der holländischen Grenze entlang runter bis Schwalmtal und rechts in Richtung Borken, was schon im Münsterland liegt. Genau innerhalb von diesem T sind die Bereiche, wo sehr viele Flächen betroffen sind und wo auch unsere Bürger, die beim Niederrheinappell mitmachen, herkommen."

Vater und Tochter kämpfen Seite an Seite

Theo Rams, ein älterer Herr sitzt neben seiner Tochter Simone Spiegels und nickt zustimmend, wenn sie von den Bemühungen gegen den Kiesabbau am Niederrhein erzählt. Vater und Tochter kämpfen Seite an Seite. Nur dass sein Kampf schon wesentlich länger dauert. Seit 1998, als der erste Antrag gestellt wurde, der – wie auch der zweite – von der Landesregierung Düsseldorf abgelehnt wurde.
"Und damals hatten wir schon gedacht: Jetzt ist es vorbei, okay, wir haben es geschafft. Und wir sind also wirklich vom Glauben abgefallen, als am 21. Februar 2018 in der Zeitung dieser Bericht stand, dass wiederum das Wickrather Feld im Fokus der Kiesindustrie steht."
Dieses Mal geht es nicht um 50 Hektar Fläche, sondern um 92. Wieder einmal muss Theo Rams darum kämpfen, dass das Wickrather Feld nicht zum Kiestagebau wird. Gemeinsam mit anderen Aktivisten sammelte er mehr als 12.000 Unterschriften für den Erhalt des Gebiets. Rams will nicht aufgeben, auf ein eventuelles Angebot der Kiesindustrie nicht eingehen, wie schon vor über 20 Jahren nicht.
"Ne, habe ich gesagt, das machen wir nicht. Wäre natürlich viel einfacher gewesen, aber ne, wollen wir nicht. Wir wollen auch hier nicht weg."
Theo Rams sitzt am Tisch und schaut in die Kamera
Theo Rams kämpft nicht zum ersten Mal darum, dass das Wickrather Feld nicht zum Kiestagebau wird. © Deutschlandradio / Marius Elfering
Ein Argument der Abbaubefürworter ist der immer weiter ansteigende Bedarf an Kies. Das Gegenargument der Kritiker lautet: Mehr Flächen werden nicht unbedingt gebraucht, weil in Deutschland mehr gebaut wird, sondern weil der Kies auch ins europäische Ausland verkauft wird. Kies vom Niederrhein wird beispielsweise in die Niederlande exportiert. Doch was ist die Lösung? Kiesabbau in der Region nur für die Region?
"Wenn das Thema trivial wäre, dann wäre das schon gelöst. Man kann ja nicht einfach die Exporte ausschließen. Wir leben hier in einem EU-Wirtschaftsraum und da muss man schon sich anschauen, wie man das letztendlich regelt und ich meine: Das ist genau die Aufgabenstellung auch einer Landes- und Bundesregierung, Planungsvorgaben für die Planungsämter zu schaffen, die einfach dann auch das Ziel nicht verfehlen. Denn es geht darum, dass die Ressource Sand und Kies für Bauvorhaben letztendlich in NRW, in Deutschland zur Verfügung stehen und dass man einfach genau eruiert: Ja, wie ist eigentlich genau der Bedarf hierzulande?"
Die Rahmenbedingungen für den Kiesabbau setzen in Deutschland die einzelnen Bundesländer fest. Sie regeln auch, unter welchen Bedingungen neue Gebiete erschlossen werden können. Die Kommunen müssen sich diesen Planungsverfahren weitestgehend fügen. Spiegels und ihre Mitstreiter fühlen sich oft nicht gehört.
Im Niederrheinappell wollen sie ihre Energie bündeln, um eine lautere Stimme gegen den Kiesabbau in der Region zu haben. Als bloße Verhinderer wollen sie aber nicht gelten.
"Manche sagen: Ihr seid ja die Kiesgegner. Natürlich brauchen wir zum Bauen Sand und Kies. Ja, natürlich. Uns ist auch klar, dass wir nicht auf Zero kommen, aber es geht um einen vernünftigen Umgang mit der Ressource."

Sorgen um Trinkwasserqualität

Sascha Merz läuft durch eine große Halle, rechts und links von ihm riesige Tanks. Vor einem bleibt der Prokurist beim Wasserverbund Niederrhein stehen, hinter ihm schließt Simone Spiegels auf. Sie haben sich für einen Fototermin verabredet. Gemeinsam lächeln sie in eine Kamera. "Finger weg von unserem Trinkwasser", steht da in weißen Buchstaben auf dunkelblauem Grund.
Der Wasserverbund Niederrhein versorgt Stadtwerke und Industrieunternehmen der Region mit Trinkwasser. Auch hier macht man sich Sorgen um die zukünftigen Auswirkungen des Kiesabbaus in der Region. Der Grund ist ein aktueller Gesetzesentwurf der Landesregierung Nordrhein-Westfalen. Bisher war nach dem Landeswassergesetz die Abgrabung von Kies in Wasserschutzgebieten verboten. Das soll sich ändern, das generelle Verbot aufgeweicht werden.
Deswegen haben Merz und seine Kollegen eine Untersuchung in Auftrag gegeben, die näher beleuchten soll, welche Folgen der Abbau von Kies in Wasserschutzgebieten haben könnte.
"Risiken sind zum Beispiel, dass sich die Temperatur des Grundwassers verändert. Dadurch, dass sich die Temperatur verändert, fließt das Wasser schneller durch die Bodenpassage, was dann wieder Auswirkungen hätte, auf die Ausweisungen der Schutzzonen. Heißt, dass manchmal auch wenn man in einem bestehenden Wasserschutzgebiet auskiesen würde, und diese Veränderung kommt, dass dann die Schutzfunktion bis zum Brunnen gar nicht mehr gegeben ist. Das heißt mit anderen Worten, dass zum Beispiel das Trinkwasser, das dort gefördert wird, nicht mehr der Trinkwasserverordnung entspricht. Und wenn es nicht mehr der Trinkwasserverordnung entspricht, dann kann es krank machen."
Auch hier ist es wieder ein Kampf um die Flächen. Merz möchte, dass die Schutzzonen nicht angetastet werden. Die Kiesindustrie kämpft für diese Möglichkeit. Doch während die Mitglieder des Niederrheinappells jeden Dialog mit der Kiesindustrie ablehnen, steht Sascha Merz im Austausch mit den Unternehmen.
"Ja, wir sprechen mit der Kiesindustrie. Es ist jetzt nicht so, dass wir mit Kanonen aufeinander schießen. Wir versuchen wirklich auch Verständnis für die andere Seite auch aufzubringen. Bei der Kiesindustrie ist es aus unserer Sicht leider nur immer das Problem, dass es eine einmalige Gewinnsituation ist für wenige, anstatt Trinkwasser für viele gewonnen wird, was halt eben ein Vorteil für viele ist."

Kommunalpolitiker klagen gegen wachsenden Kiesabbau

Am Niederrhein hat sich eine breite Front gegen den Kiesabbau formiert. Nicht nur die Bürgerinitiativen oder die Wasserversorger protestieren. Auch in der Politik gibt es laute Stimmen.
Im vierten Stock des Rathauses in Kamp-Lintfort, einem in die Jahre gekommenen Klotz mit orangenen Rollladen, sitzt Christoph Landscheidt an einem langgezogenen Besprechungstisch. Seit über 20 Jahren ist er Bürgermeister der Stadt. Der Kiesabbau auf seinem Stadtgebiet war für ihn immer ein wichtiges Thema.
"Wenn man sich alleine mal die Zahl vor Augen führt, dass wir fast 500 Hektar in der Stadt, das heißt also Flächen, die schon ausgekiest werden, die in Planung sind, die Suchflächen sind, haben, das sind fast 7,5 Prozent unseres gesamten Stadtgebietes. Insofern: Daran kann man schon ermessen, wie betroffen wir sind."
Landscheidt ist kein Mann, der im Streit mit den Kiesunternehmen auf Diplomatie setzt. Das Thema versetzt ihn in den Angriffsmodus. Gemeinsam mit anderen Kommunen hat seine Stadt eine Klage gegen die Änderung des sogenannten "Landesentwicklungsplanes" des Landes NRW eingereicht. Der Plan sieht unter anderem vor, dass die Versorgungs- und Reservezeiträume für die Rohstoffsicherung verlängert werden. Von 20 auf 25 Jahre. Die Folge: Es müssten deutlich mehr Flächen für den Kiesabbau vorgehalten werden. Flächen wie das Wickrather Feld.
"Das heißt noch mehr Planungsspielräume für die Kiesindustrie. Und das hat uns veranlasst, das rechtlich zu überprüfen, weil wie gesagt: Politischer Widerstand hat in den letzten Jahren nicht viel gebracht. Wir haben ein Rechtsgutachten dazu eingeholt, das sehr eindeutig formuliert hat, dass diese Vorgaben nicht rechtmäßig sind. Und das haben wir als Grundlage genommen, wir heißt der Kreis Wesel und noch vier andere beteiligte Städte, gegen den Landesentwicklungsplan zu klagen."

Beide Seiten stehen sich unversöhnlich gegenüber

Noch gibt es keine gerichtliche Entscheidung zu dem Streit. In der Region spricht man von der "Kies-Klage". Und tatsächlich scheint es keinen anderen Weg als den vor die Gerichte zu geben. Beide Seiten stehen sich unversöhnlich gegenüber, scheinen sich nichts mehr zu sagen zu haben.
"Es sei denn, das habe ich auch immer so formuliert, man macht uns Angebote auf Flächen zu verzichten und wir auch Vorschläge machen, auf welche man am ehesten verzichten kann."
Dass der Kiesabbau, so wie der Kohleabbau, irgendwann beendet wird, daran glaubt Landscheidt fest. Auch wenn dieser Gedanke in der Gesellschaft noch nicht angekommen ist. Am Niederrhein denkt man schon darüber nach, wie sich der Abbau langfristig entwickeln soll. Im Fokus steht dabei vor allem das Ziel, die Kiesunternehmen stärker in die Pflicht zu nehmen.
"Dann wird man über andere, hoffentlich dann über andere Alternativen nachdenken und die auch ausreichend erforscht haben und die auch nutzen können. Kies wird man sicherlich, ob es jetzt 20 Jahre sind oder 30 Jahre sind, dann nicht mehr als den Hauptrohstoff nutzen können."
Ein Rohbau bei Bonn. Wilfried Kessel steht unter einem gelben Kran, der gerade einige Gitter hinaufzieht und über das oberste Stockwerk des Hauses schwenkt. Kessel ist Bauunternehmer in der Stadt und damit natürlich auch einer der Abnehmer von Kies.
"Wir haben ein Objekt mit fünf Reihenhäusern hier, in Bonn Auerberg. Wir sind kurz vor der Fertigstellung. Die Gebäude sind am Block miteinander verbunden und ohne Keller gebaut."

Beton wird gebraucht für neue Häuser

Der Unternehmer blickt auf die Häuser vor ihm, bald werden hier Familien einziehen. Wie viel Kies dann hier verbaut wurde, wird ihnen vermutlich nicht klar sein.
"Kies wird überwiegend, erst mal, wenn man unter der Bodenplatte anfängt, da wird eine kapillarbrechende Schicht eingebaut. Da wird dann ein Rollkies verwendet, der als kapillarbrechende Schicht eingebaut wird. Dann bei den Fundamenten geht es weiter, die sind aus Beton, die Bodenplatte ist aus Beton. Für Beton muss halt Kies verwendet werden als Zuschlagstoff. Dann in den Decken, Fensterstürzen und so weiter. In einem Haus, ohne Keller, haben wir hier ungefähr 60 Kubikmeter Beton, was ungefähr 100 Tonnen Kies bedeutet."
Die Preise für Kies sind in den vergangenen Jahren in Deutschland jährlich um etwa fünf bis zehn Prozent gestiegen. Dabei gibt es je nach Region deutliche Unterschiede. Während der Preis für Betonkies in norddeutschen Bundesländern eher hoch ist, da es hier weniger Vorkommen gibt und die Transportkosten entsprechend steigen, liegen sie in anderen Regionen deutlich darunter. So kostete eine Tonne Betonkies in Hamburg 2020 etwa 18 bis 20 Euro. Während der Preis in Thüringen bei etwa 6 Euro lag.
Neben Bauunternehmer Kessel steht an diesem Morgen Raimo Benger. Er ist Hauptgeschäftsführer vom Verband der Bau- und Rohstoffindustrie. Den massiven Protest gegen den Kiesabbau am Niederrhein kontert er mit dem Bedarf und den steigenden Preisen.
"Wenn das so weitergeht und wenn es keine Möglichkeiten für uns geben wird, dort Genehmigungen zu bekommen, dann werden nach Erhebung der Unternehmen, werden bis zum Jahr 2023 ein Drittel der Vorkommen auslaufen dort. Das bei einer erhöhten Nachfrage im Straßen- und Brückenbau. Und da ist das Wohnungsbauprogramm der Bundesregierung, was noch gar nicht richtig gestartet hat, noch gar nicht eingespeist."

"Kiesgroschen" als mögliche Lösung

Seit Jahren wird von Gegnern des Kiesabbaus immer wieder der sogenannte "Kiesgroschen" als eine mögliche Lösung ins Spiel gebracht.
Die Idee: Durch eine Rohstoffabgabe der kiesabbauenden Unternehmen könnte unter anderem neue Forschung nach Alternativen vorangetrieben werden, Recycling und andere Baustoffe könnten so irgendwann zu einem Ende des Kiesabbaus, zumindest aber zu einem starken Rückgang führen. In Schweden gibt es solch eine Kiessteuer bereits seit 1996. Raimo Benger ist dagegen. Seine Argumente: Jedes Bundesland gestaltet die eigenen gesetzlichen Vorgaben und selbst eine bundeseinheitliche Abgabe würde den inländischen Kies nur verteuern und Importe nach sich ziehen.
"Das heißt: Das hat überhaupt gar keine Lenkungswirkung, ist sogar ökologisch nachteilig, weil es dazu führt, dass ich längere Transportwege bekomme und ich nicht mehr ortsnah bzw. regionennah gewinne."
Volker Thome steht auf dem Gelände des Tagebaus
Volker Thome forscht seit Jahren am Stoff Kies und an Recyclingmethoden.© Deutschlandradio / Marius Elfering
Am Fraunhofer Institut für Bauphysik in Valley, in der Nähe von München, läuft Volker Thome über einen Hinterhof des Instituts. Unter seinen Füßen knirscht der Kies. Es ist der Stoff, an dem Thome seit Jahren forscht. Er steuert auf eine Art Garage zu, in der das Gerät steht, in das der Forscher seine Hoffnung setzt. Er nimmt sich ein Stück alten Beton, lässt es in ein mit Wasser gefülltes Eimerchen gleiten und öffnet die Tür der großen, stählernen Maschine:
"Also hier sehen Sie die Höllenmaschine. Das ist nun die Laboranlage einer elektrodynamischen Fragmentierung. In diesem Teil sind die Generatoren untergebracht. Das sind so genannten Marx-Generatoren, die eben eine hohe Spannung aufbauen können."
Thome und sein Team forschen an den Möglichkeiten, Beton, der schon einmal verbaut wurde, wieder in seine Einzelteile zu zerlegen. Also in Zement, Sand und eben Kies. Das Problem: Bei anderen Verfahren wird oft große mechanische Kraft auf den Beton ausgeübt, um ihn aufzutrennen. Hierdurch können kleine Risse entstehen, die den Kies brüchig machen können. Thome möchte das ändern. Das Verfahren der elektrodynamischen Fragmentierung wurde in den 1940er-Jahren von russischen Wissenschaftlern entwickelt. Jetzt möchte er es sich zu Nutze machen. Und demonstriert, wie es funktioniert.

Kies aus Altbeton recyceln

"Okay, wir legen jetzt mal diesen Altbeton rein. Sie sehen es ist kein Fake. Der wurde nicht vorbehandelt. Der kommt da rein. Jetzt schließen wir das Gerät. Das Gefäß wird jetzt hochgefahren, wie eine Art Hubvorrichtung. Und wir stellen jetzt die Parameter ein. Das sind jetzt Erfahrungswerte, die wir da einstellen."
Thome lässt gezielt Blitze in das Material einschlagen, welche sich den Weg des geringsten Widerstands suchen. In diesem Fall sind das die einzelnen Korngrenzen im Beton. Die einzelnen Bestandteile werden so, mit Hilfe großer Spannungen, auseinandergezogen. Das Resultat: Der Kies liegt wieder im Ursprungszustand vor, ganz ohne Mikrorisse oder andere Beschädigungen.
"Jetzt hören Sie gleich ein sehr metallisches Geräusch, das ist das Geräusch, wenn der Blitz auf der Gegenelektrode einschlägt, das hört sich ein bisschen an wie ein Hammer auf einem Amboss. Sie werden es gleich hören. Wir sind noch nicht fertig, jetzt kommt noch die Feinbehandlung. So jetzt schauen wir uns mal die Probe an. Sie werden gleich eine sehr trübe Brühe sehen, wo Sie zunächst erst einmal nichts erkennen. So, Sie sehen: Hier sehen Sie mal einen Teil des Kieses, den wir rausgeholt haben aus dem Beton. Und Sie sehen: Der ist nahezu frei von Zementstein."
Aus dem kleinen Eimer, den Thome mit Wasser ausgespült hat, greift er eine Hand voll nassen Kies.
"Und mit der Methode können Sie Beton im Prinzip zu 100 Prozent recyceln. Die Anlage muss natürlich kontinuierlich laufen, sonst macht das keinen Sinn. Hier sehen Sie noch ein Batchverfahren. Das heißt wir müssen die Probe ins Gefäß geben, Tür zu, behandeln, Tür auf, Probe wechseln, das ist sehr zeitintensiv, das muss natürlich in Zukunft automatisch ablaufen."
Blick in einen Raum mit einer Anlage zur elektrodynamischen Fragementierung
Die Laboranlage einer elektrodynamischen Fragmentierung zum Recycling von Altbeton.© Deutschlandradio / Marius Elfering
In Deutschland fallen pro Jahr etwa 54 Millionen Tonnen Bauschutt durch den Abriss von Gebäuden an. Schon jetzt werden etwa 90 Prozent des anfallenden Materials wiederverwendet. Meist im Straßenbau. Denn der mechanisch aufbereitete Altbeton ist kein vollwertiges Material. Der recycelte Beton kann bisher beim Hausbau nur innerhalb des Gebäudes eingesetzt werden, weil die Witterung den brüchigen Kies im Außenbereich angreifen könnte. Da bei Thomes Verfahren genau diese Brüchigkeit allerdings vermieden werden und der Kies einfach in seinen Ursprungszustand versetzt werden soll, arbeiten sie daran, nachzuweisen, dass ihr Verfahren auch für den Hochbau geeignet ist.
"Derzeit kann das Recycling noch nicht den Bedarf abdecken an primären Rohstoffen. Also mit den Zahlen, die ich vorliegen habe, sind es nur 12,6 Prozent, wo man primären Kies eben abdecken kann."
Doch selbst wenn sie die Hürde nehmen und ihr recycelter Kies für den Hochbau geeignet ist, kommt ein weiteres Problem auf die Forscher zu: Die Kosten. Bisher können die Forscher am Fraunhofer Institut Beton nur in kleinen Mengen recyceln.
In einem nächsten Schritt wollen sie den Durchsatz pro Stunde jedoch erhöhen, auf etwa drei Tonnen Beton pro Stunde. Für die Marktreife, meint Thome, braucht es mindestens 20 Tonnen pro Stunde. Erst dann sei man konkurrenzfähig.
Dass es seine Forschung braucht und Lösungen zur Wiederverwertung von Beton und damit auch Kies gefunden werden müssen, da ist er sich sicher.
"Jährlich fallen zwei Milliarden Tonnen Altbeton an, weltweit. Die Hälfte davon alleine in China. Und es ist natürlich absehbar: Man kann nicht unendlich weiter Kies verwenden, irgendwann ist da auch ein Ende in Sicht und deswegen macht eben das Recycling von Beton durchaus Sinn."

Sprecherin: Cornelia Schönwald
Regie: Clarisse Cossais
Technische Realisation: Christiane Neumann
Redaktion: Constanze Lehmann

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