Streit um Flüchtlinge

Unionsfraktionsvize mahnt zur Mäßigung im Ton

Beamte der Bundespolizei führen am 30.10.2015 an der deutsch-österreichischen Grenze nahe Wegscheid (Bayern) Flüchtlinge zu Bussen.
Beamte der Bundespolizei führen am 30.10.2015 an der deutsch-österreichischen Grenze nahe Wegscheid (Bayern) Flüchtlinge zu Bussen. © dpa / picture-alliance / Armin Weigel
Michael Kretschmer im Gespräch mit Ute Welty · 31.10.2015
Krach in der großen Koalition: CSU-Chef Seehofer setzt der Kanzlerin ein Ultimatum, SPD-Chef Gabriel sieht die Handlungsfähigkeit der Regierung gefährdet. Vor dem Koalitions-Krisentreffen plädiert Unionsfraktions-Vizechef Michael Kretschmer für die Begrenzung des Flüchtlingszustroms.
Vor dem Koalitionstreffen zur Flüchtlingspolitik hat der stellvertretende Unions-Fraktionschef Michael Kretschmer für Maßnahmen zur deutlichen Reduzierung des Flüchtlingszustroms, aber auch für gelingende Integration plädiert.
"Der Zustrom muss jetzt eingedämmt werden", sagte Kretschmer im Deutschlandradio Kultur vor dem Treffen der Parteispitzen von CDU, CSU und SPD an diesem Wochenende, bei dem über das weitere Vorgehen in der Flüchtlingspolitik beraten wird.
Mahnung zur Mäßigung der Tonlage
Vor dem Hintergrund des sich deutlich verschärfenden Tons zwischen CSU und CDU mahnte er zur Mäßigung, damit die bereits polarisierte Gesellschaft "nicht weiter aufgeputscht wird." Die Mehrheit in der Unionsfraktion fordere aber eine klare Begrenzung des Zustroms. Als wichtigste Maßnahmen zur Bewältigung der Flüchtlingskrise nannte Kretschmer die Bekämpfung von Fluchtursachen, die Sicherung der EU-Außengrenzen sowie eine verstärkte Abschiebung und die Begrenzung des Familiennachzugs. Am neuen verschärften Asylgesetz bemängelte er noch zu viele "Umgehungstatbestände". Dadurch könne dieses aufgeweicht werden, kritisierte der sächsische CDU-Generalsekretär und stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag.
Integration "durchsetzen'
In der Debatte darüber, wie Deutschland mit der großen Zahl an Flüchtlingen umgehen soll, die zu uns kommen, plädierte Kretschmer für bessere Maßnahmen, um Integration durchzusetzen. Zu "standardisierten Verfahren, dass Integration wirklich gelingt," zählen für ihn verbindliche Sprachkurse, Maßnahmen zur Berufsorientierung und überbetriebliche Ausbildung. Kretschmer plädierte für ein Integrationsgesetz, in dem ein verbindlicher Rahmen festgelegt wird: "Was erwarten wir, was sind auch unsere kulturellen Werte (...) und auf der anderen Seite, diejenigen, die zu uns kommen, auch ganz klar wissen, das sind die Regeln, das kann man erwarten, das sind die Leistungen, aber dafür muss man auch etwas zurückgeben."
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Das vollständige Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Koalitionskrise, Ultimatum, Klage in Karlsruhe – vor dem Treffen der Parteivorsitzenden ist die Stimmung in der Regierung denkbar schlecht. Morgen Vormittag wollen sich Angela Merkel, Horst Seehofer und Sigmar Gabriel zusammensetzen, um zu besprechen, wie man die vielen Flüchtlinge versorgen und integrieren kann. Entsprechende Vorbereitungsgespräche laufen bereits heute, wie auch die Konfliktlinien verlaufen, nämlich zwischen Union und SPD, zwischen Bund und Ländern und natürlich zwischen CDU und CSU. Gestritten wird über neue und alte Maßnahmen, und wie so oft ist es auch hier der Ton, der die Musik macht, und er ist zum Teil sehr drastisch. Einer, der versucht zu vermitteln, das ist Michael Kretschmer, Generalsekretär der sächsischen CDU und stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag. Guten Morgen, Herr Kretschmer!
Michael Kretschmer: Guten Morgen!
Welty: Wie erleben Sie die Stimmung in der Fraktion derzeit, wenn man sich die Anwürfe aus Bayern vor Augen und vor allem vor Ohren führt, dann könnte man ja zu dem Schluss kommen, dass CDU- und CSU-Abgeordnete gar nicht mehr miteinander reden, auch wenn man zusammen in einer Fraktion sitzt.
"Streiten, aber in einer vernünftigen Tonlage"
Kretschmer: Nein, ganz so ist es nicht. Es ist, wie in der deutschen Bevölkerung auch, ein ganz unterschiedliches Meinungsbild bei der Frage, wie gehen wir mit den Flüchtlingen um und was sind die richtigen Antworten. Ich meine, dass die Mehrheit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sowie die in der deutschen Bevölkerung ganz klar sagt, wir brauchen eine deutliche Reduzierung des Zustroms und wir müssen uns ernsthaft Gedanken machen, wie wir Integration durchsetzen. Das sind die wesentlichen Themen. Aber Sie haben recht, es gibt eine Polarisierung in der Gesellschaft, und das merkt man auch an den Wortmeldungen, und da ist es, glaube ich, gerade richtig, dass Politiker, Journalisten und andere Vorbilder einen Ton anschlagen, der nicht weiter das Ganze verschärft, dass die Gesellschaft noch mehr aufgeputscht wird, sondern dass wir über Lösungen reden, auch im Diskurs, meinetwegen auch streiten, aber in einer vernünftigen Tonlage.
Welty: Aber ist die Milch nicht schon verschüttet, ist nicht schon so viel Porzellan zerschlagen worden in den vergangenen Wochen eben aufgrund dieser sprachlichen Eskalation einfach auch?
Kretschmer: Hinter uns liegt ein Sommer, der völlig emotional und auch ideologisch überhöht war. Boris Palmer, der grüne Oberbürgermeister, hat ja vor wenigen Tagen von einem Diskursverbot gesprochen bei gewissen Themen. Da ist so, das hat auch viele Menschen erst recht aufgeregt, die sich Sorgen machen, und deswegen müssen wir jetzt aus dieser Phase heraustreten. Ich glaube in der Tat, die Mehrheit der Deutschen wünscht sich eine Veränderung. Wir arbeiten ja auch daran, man sieht es in der Bundesregierung – intensive Gespräche mit der Türkei, in der Europäischen Union, mit Syrien. Es ist nicht einfach, das muss man auch vermitteln. Wer diese Situation lösen will, braucht ein ganzes Maßnahmenpaket, braucht andere Freunde, die mithelfen, die Europäische Union in diesem Fall, aber wir arbeiten daran, und es wird sich an diesem Zustand etwas ändern und es muss sich auch etwas ändern, das geht so nicht weiter.
Welty: Welche Maßnahme aus einem wie auch immer gearteten Maßnahmenpaket halten Sie denn für die dringlichste?
Kretschmer: Ich würde zuerst sagen, der Zustrom muss jetzt eingedämmt werden, das ist das Erste und das ist auch das Schwierigste, und dann ...
Welty: Wie wollen Sie das denn machen?
"Es braucht ein Maßnahmenpaket"
Kretschmer: Ich hab ja gesagt, es braucht ein Maßnahmenpaket. Wir müssen die Fluchtursachen in den Regionen ändern. Wenn tatsächlich es so ist, dass das Welternährungsprogramm die Finanzierung, die Versorgung für die Menschen dort drastisch reduzieren musste, dann ist das nicht in Ordnung, dann muss das geändert werden. Auch da hat Deutschland schon gehandelt. Wir müssen mit der Türkei reden, die EU-Außengrenzen müssen so sicher sein, wie sie nach den Schengenverträgen sein müssen, und es ist nicht in Ordnung, dass man sich daran nicht hält. Aber das ist das eine. Die große Aufgabe, die vor uns liegt, selbst wenn wir Abschiebungen und auch eine bessere Auswahl derjenigen, die nach Deutschland kommen, gewährleisten, wenn wir den Familiennachzug einschränken, was aus meiner Sicht auch notwendig ist und was sicherlich eine sehr unangenehme Diskussion werden wird, dann bleibt: Es werden viele hunderttausend Menschen in Deutschland bleiben, und es geht jetzt darum, die Weichen so zu stellen, dass sie tatsächlich integriert werden können. Da hat Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten nicht immer geglänzt. Und jetzt geht es aber wirklich darum, bei einer so großen Zahl von neuen Migranten ein standardisiertes Verfahren, Verbindlichkeit zu erzeugen, dass Integration wirklich gelingen kann und dass wir nicht das erleben wie bei den Gastarbeitern, dass wir nach Jahrzehnten zurückschauen und sagen, hier ist vieles schiefgegangen, das hat politische Kosten, finanzielle Kosten, das darf nicht passieren.
Welty: Was verstehen Sie genau unter einem verbindlichen Ablauf für Bildung und Qualifikation, welche Stationen müssen da von wem angeboten werden und wer soll es am Ende bezahlen?
"Da hat Julia Klöckner recht mit einem Integrationsgesetz"
Kretschmer: Das Erste ist die Sprache. Da zeigt diese Vereinbarung, diese gemeinsame Führung von Bundesagentur für Arbeit und Bundesamt für Migration und Flüchtlinge durch Herrn Weise, glaube ich, schon erste Früchte. Es gibt jetzt die Zusage für Sprachkurse, jeder wird sie erhalten, der nach Deutschland kommt. Und danach muss sich anschließen eine Berufsorientierung, das kann die BA auch wunderbar vermitteln, da gibt es große Kompetenzen. Und dann müssen diejenigen, die für eine Berufsausbildung geeignet sind – die Berufsausbildung, auch da hat Deutschland viele Erfahrungen, was die assistierte Ausbildung angeht, was überbetriebliche Ausbildung angeht ... Diejenigen, die zum Studium gehen, sind unser leichtestes Problem, da bewegen sich die Universitäten auch und machen ihre Türen auf. Aber wichtig ist ja, dass das auch verbindlich ist, und deswegen glaube ich, hat Julia Klöckner recht mit einem Integrationsgesetz, wo wir aufschreiben als Selbstvergewisserung für die Deutschen, was erwarten wir, was sind unsere auch kulturellen Werte, was ist das, was wir von einem Migranten erwarten, der zu uns kommt, und auf der anderen Seite diejenigen, die zu uns kommen, auch ganz klar wissen, das sind die Regeln, das kann man erwarten, das kriegt man auch als Leistung, aber dafür muss man auch etwas zurückgeben.
Welty: Ein Integrationsgesetz, das wäre Aufgabe des Bundes – machen die Länder sich da einen schlanken Fuß?
Kretschmer: Wir haben einen Zustand auch heute noch, dass SPD und Grüne es sich sehr leicht machen, die CDU nimmt dieses Thema und alle Probleme und allen Ärger, die daraus entstehen, auf ihre breiten Schultern. Auch das sorgt für durchaus Frust ...
Welty: Fragen Sie mal SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft aus Nordrhein-Westfalen, die wird das anders sehen.
Asylverschärfungsgesetz bietet noch zu viele "Umgehungstatbestände"
Kretschmer: Ja, aber das ist ja genau der Punkt. Ich meine, wir haben jetzt ein Asylverschärfungsgesetz beschlossen, aber die SPD und auch die Grünen haben überall schon die Umgehungstatbestände hineinverhandelt. Bei den Sachleistungen steht geschrieben, wenn es von dem Verwaltungsaufwand her geht, bei dem Winterabschiebestopp ist dann eine maximale Zahl an Wochen vorgegeben, wo man die Flüchtlinge nicht zurückschicken kann, und das zeigt, dass der Schuss oder die Dramatik, die in dieser Situation steckt, noch nicht gehört worden ist. Wir brauchen hier noch weitere Veränderungen, und das gilt allerdings auch für das Integrationsgesetz. Das ist ein Konsens, ein gesellschaftlicher Konsens, den wir in so ein Gesetz schreiben, der von allen getragen werden muss, aber in Anbetracht der Situation, dass es hier um viele hunderttausend Menschen geht auf einmal – so was hat die Bundesrepublik noch nicht erlebt –, dann müssen wir das leisten.
Welty: Vor dem Spitzentreffen der großen Koalition zur Flüchtlingsfrage eine Bestandsaufnahme mit Michael Kretschmer, seines Zeichens stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion. Danke dafür!
Kretschmer: Herzlichen Dank, tschüss!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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