Streit um Digitalpakt

"Bildung war für die Länder immer das Sparschwein"

Schüler arbeiten in einem Klassenraum einer Grundschule an Computern.
"Wir haben zu wenige Lehrer, die Schulen sind häufig in einem sehr maroden Zustand", sagt der Politikwissenschaftler Wolfgang Renzsch. © dpa / Friso Gentsch
Wolfgang Renzsch in Dieter Kassel · 05.12.2018
Kratzt der Digitalpakt an der Bildungshoheit der Länder, gar dem Föderalismus-Prinzip insgesamt? Politologe Wolfgang Renzsch glaubt das nicht. Schon vorher habe der Bund in Bildungsfragen mitgemischt, wenn die Länder ihre Aufgaben vernachlässigten.
Dieter Kassel: Eigentlich soll es schon im kommenden Monat, im Januar, losgehen, im Rahmen des Digitalpakts sollen dann nach und nach insgesamt rund fünf Milliarden Euro vom Bund an die Länder fließen, um diese bei der Digitalisierung der Schulen zu unterstützen. Nur ist dazu, zumindest aus Sicht der Bundesregierung, eine Grundgesetzänderung notwendig. Der Bundestag hat ihr schon zugestimmt, auch mit den Stimmen der Grünen und der FDP, aber dass auch der Bundesrat zustimmt, der das ja tun muss, das ist eher unwahrscheinlich. Heute diskutiert der Ausschuss für Kulturfragen des Bundesrats über dieses Thema, gleichzeitig gibt es in Berlin auch ein Treffen der Ministerpräsidenten, da wird sicherlich auch darüber geredet. Und dann tun wir das jetzt auch, wir reden mit Wolfgang Renzsch, er ist Politikwissenschaftler, emeritierter Professor an der Universität Magdeburg und sein Spezialgebiet sind und waren Bundesstaat und Föderalismus. Schönen guten Morgen, Professor Renzsch!
Wolfgang Renzsch: Ja, einen wunderschönen guten Morgen!
Kassel: Aus Sicht von Schülern, Eltern und Lehrern sieht es natürlich einfach so aus, als wollten die Bundesländer auf fünf Milliarden Euro verzichten, nur damit die jeweiligen Kultusministerien nicht ihre Macht verlieren. Haben Sie dafür Verständnis?
Renzsch: Na ja, ganz so ist es ja nicht. Natürlich möchten die Länder die fünf Milliarden Euro haben, aber das Problem besteht für die Länder darin – man muss dazu sagen, es gibt ja eine Gruppe der Länder –, für die besteht das Problem darin, dass der Bund mit der Übertragung des Geldes auch mitbestimmen möchte, was passieren soll in den Schulen. Der Bund möchte mitreden. Für eine andere Gruppe der Länder hat die jüngste Änderung, die letzte Änderung von der letzten Woche, dass der Haushaltsausschuss in das Gesetz reinschreiben möchte, dass die Länder mindestens 50 Prozent beisteuern müssen, dass der Bund die Hälfte trägt und die Länder die Hälfte tragen, hat dazu geführt, dass insbesondere die finanzschwachen Länder sagen, das ist zu viel, das können wir uns gar nicht leisten. So gesehen muss man unterscheiden, es gibt zwei Gruppen von Ländern. Die einen schauen mehr darauf, dass der Bund mitreden möchte, und die anderen sagen, der Bund zahlt zu wenig.

Länder kommen ihren Aufgaben nicht nach

Kassel: Aber wenn wir mal bei denen bleiben – wie Nordrhein-Westfalen, wie Bayern, Sachsen, einige andere –, die sagen, der Bund möchte zu viel mitreden. Juristisch darf er das ja eigentlich nicht, deshalb diese Gesetzesänderung, Bildungsföderalismus, aber ein normaler Mensch sagt natürlich, wenn da fünf Milliarden Euro verteilt werden, dann hat der Bund doch zumindest das Recht, darauf zu achten, dass die wirklich für die Digitalisierung ausgegeben werden und nicht irgendwie für einen neuen Bodenbelag in der Turnhalle.
Renzsch: Na ja, das Ganze ist natürlich nicht von der Hand zu weisen. Ich meine, grundsätzlich hat Laschet natürlich erst mal recht, wenn er sagt, es ist eine Landesaufgabe, die die Länder machen müssen, und da haben die Länder das Recht, zu bestimmen. Und wenn sich die Aufgaben zwischen Bund und Ländern verschieben, muss auch die Finanzverteilung über die Umsatzsteuer verändert werden. Das kann man in der Tat mit einem einfachen Gesetz machen, das ist relativ schnell. Insofern hat Laschet erst mal Recht.
Auf der anderen Seite müssen Sie den Bund sehen. Der Bund hat die Erfahrung gemacht, dass die Länder ihren Aufgaben nicht wirklich nachkommen, zuletzt hat ja der Bund den Landesanteil beim BAföG übernommen, mit der Maßgabe, dass er gesagt hat, liebe Länder, ich entlaste euch, aber bitte verwendet das Geld für Hochschulausgaben, was ihr jetzt spart. Die Länder haben sich nicht daran gehalten, die Länder haben Haushaltslöcher damit gestopft. Und jetzt ist der Bund in der Situation, dass er sagt 'Ich möchte bitte, dass die Digitalisierung als gesamtstaatliche Aufgabe vorangetrieben wird, dass es in den Schulen Thema wird, aber, liebe Länder, wenn ich euch das Geld einfach nur gebe, bin ich ja längst nicht sicher, dass ihr wirklich das Geld in die Bildung steckt', zumal die Performance der Länder in der Bildungspolitik in den letzten Jahren ja alles andere als überzeugend war. Denken Sie mal, die Lehrerbildung ist abgebaut und heute haben wir zu wenig Lehrer, die Schulen sind häufig in einem sehr maroden Zustand. Das heißt, die Länder haben in den letzten Jahren diese Aufgabe systematisch vernachlässigt. Sie können sagen, die Bildung war für die Länder immer das Sparschwein.

Die schwarze Null als Priorität

Kassel: Aber würden Sie denn dann so weit gehen zu sagen, Föderalismus in der Bildungspolitik funktioniert in Deutschland nicht?
Renzsch: Ich würde mal sagen, in den letzten Jahren hatten andere Dinge Priorität, insbesondere die schwarze Null.
Kassel: Aber wäre denn nicht eine Grundgesetzänderung, mal ganz unabhängig von den Details, aber alleine schon dieser Begriff, Grundgesetzänderung, ich meine, an die Verfassung geht man ja nicht einfach so mal ran. Wäre nicht eine Grundgesetzänderung dann möglicherweise tatsächlich ein Dammbruch, also dass es mit dem Digitalpakt anfängt und dann irgendwann doch die Bildungshoheit der Länder schwer kippelt?
Renzsch: Es ist schon eine problematische Sache, aber wir haben seit 1969 eine Mitwirkung des Bundes in der gesamten Hochschulpolitik, Hochschulbildung, Forschung und so weiter. So gesehen, kennen wir das schon. Wenn jetzt der Bund in einem bestimmten Bereich mitspielt und sagt 'Bitteschön, für den einen Punkt übernehme ich eine gewisse Verantwortung, weil das auch eine überregionale Aufgabe ist', dann ist das noch kein grundlegender Dammbruch. Dann würde ich auch nicht so weit gehen wie Herr Laschet und sagen, dass damit der Föderalismus aus den Angeln gehoben wird. Ich meine, das ist ja dasselbe im Bereich des Gute-Kita-Gesetzes, dass der Bund, auch weil die Länder das nicht selbst gemacht haben, im Bereich der frühkindlichen Erziehung mitwirkt. Die Frage ist immer, wo ist ein Dammbruch? Das ist natürlich eine Veränderung, das ist richtig, aber ob es ein Dammbruch ist, also ganz so weit würde ich nicht gehen.
Kassel: Der Politikwissenschaftler Wolfgang Renzsch über den Streit um fünf Milliarden Euro, also über den Streit um das Geld, das innerhalb des Digitalpakts Bildung ausgeschüttet werden soll, Digitalpakt Schule, und die Hintergründe dazu. Herr Renzsch, vielen Dank für das Gespräch!
Renzsch: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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