Streit um die Beutekunst

Von Barbara Lehmann · 27.10.2008
Vor 50 Jahren gab die Sowjetunion 1,5 Millionen Kunstwerke an die DDR zurück. Vor zehn Jahren verpflichteten sich 44 Staaten und 13 NGOs in den Washingtoner Prinzipien, konfiszierte Nazi-Kunst zurückzugeben. Nur Russland hält sich bislang nicht an diese Prinzipien und weigert sich, die in westdeutschen Museen konfiszierten Kunstwerke zurückzugeben. Jetzt hat die Brandenburgische Akademie der Wissenschaften dieses hochemotionale Thema mit Fachleuten diskutiert.
In Deutschland wird die Rückgabe der sogenannten "Raubkunst", also der von den Nazis unrechtmäßig erworbenen Kunst, wenig behandelt. Der Blick richtet sich vor allem auf die "Beutekunst". Denn noch immer lagern in Russland circa 200.000 Kunstwerke und zwei Millionen Bücher, die die Rotarmisten Ende des Krieges aus Depots und Museen in die Sowjetunion mitnahmen. Deutschland fordert die unbeschränkte Rückgabe.

Dabei wird oft übersehen, dass diese "Beutekunstwerke" oftmals jüdische Besetzer hatten, die ältere Ansprüche auf Rückforderung haben. Die Rechtsanwältin Claudia von Selle befasst sich seit zehn Jahren mit dem Problem von Raub- und Beutekunst und den unterschiedlichen Rechtsauffassungen der verschiedenen Lager:

"Der Konflikt liegt zunächst einmal, wenn wir die deutsch-russische Seite nehmen, in völlig unterschiedlichen Rechtsauffassungen. Dann natürlich auch darin, dass die russische Seite die Frage der Entschädigung für die eigenen Verluste hoch ansiedelt und die deutsche Seite das aus rechtlichen Gründen zurückweist. Die Fragen, was die Verluste jüdischer Familien anbelangt, liegen vor allem in der genauen Provinienzrecherche, also der Klärung der Herkunft der Bilder. Was darauf hinausläuft, was sind faire und gerechte Lösungen einer Rückgabe."

Claudia von Selle berät seit zehn Jahren eine Kommission, die sich mit den Entschädigungen der jüdischen Opfer des Vichy-Regimes beschäftigt. 120 Verfahren hat es inzwischen gegeben. Die Erfolgsquote ist bescheiden. Gerade mal in drei Fällen wurden geraubte Kunstwerke an ihre einstigen jüdischen Besitzer zurückgegeben. 80 Mal wurden Entschädigungen bezahlt.

Vor zwei Jahren hat die junge Anwältin zusammen mit der Redaktion der Zeitschrift Osteuropa einen kenntnisreichen Materialband "Kunst im Konflikt" herausgegeben. Nun hat sie eine Veranstaltung mitorganisiert, die von der Hebräischen Universität Jerusalem und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften initiiert wurde. Zu der hochkarätig besetzten Diskussion waren unter anderem ein israelischer Historiker, ein englischer Museumskurator, Journalisten und der stellvertretende Direktor des russischen Militärchivs gekommen.

Kontrovers, lebhaft und ohne Scheuklappen wurde über Raub- und Beutekunst diskutiert. Die übliche deutsch-deutsche Nabelschau hatte keine Chance. Auf diese Weise wurde auch der hierzulande auf die Rückgabe der russischen Beutekunst fixierte Blick geweitet:

"Wir wollen das, was passiert ist während des Zweiten Weltkrieges, in das Gesamtkonzept von Kunstraub stellen. Kunstraub hat nicht erst damals begonnen. Wir wollen schauen, wie in den zurückliegenden Kunstraubaktionen Rückgaben erfolgten: Was waren die Bedingungen, unter denen das stattfand, um davon ausgehend Lösungen zu finden für die Fragen, die heute noch offen sind. Das ist das Ziel. Wir wollen nicht nur einem Fachpublikum, sondern einem breiten Publikum, das an den Fragen interessiert ist, die Komplexität der ganzen Frage darstellen und Verständnis schaffen für die gegensätzlichen Positionen."

In einem waren sich die Teilnehmer einig: Die Rückgabe von mehr als 1,5 Millionen Kunstwerke aus den sowjetischen Beutekunstbeständen 1958 an die DDR - darunter auch den Pergamon-Altar - wird bis auf weiteres einmalig bleiben. Kein aus einem westdeutschen Museum entwendetes Kunstwerk ist aus dem heutigen Russland je in die Bundesrepublik zurückgewandert. Die Politik hat versagt. Diplomatische Fehler wurden von beiden Seiten begangen.

"Man hat von deutscher Seite sicher eine zu formale, völkerrechtliche Position eingenommen und zu wenig Verständnis aufgebracht für die Begründung, die die russische Seite anführte: dass nämlich diese Kunstwerke, die heute noch in Russland sind, als Entschädigung für eigene Verluste angesehen werden sollten - und dies vielleicht tatsächlich ein Grund ist, den man ernst nehmen muss. Und der vielleicht auch legitim ist.

Und von russischer Seite ist wiederum der Fehler begangen worden, dass man die Rückgaben mit innerpolitischen Diskussionen verbunden hat, sodass sie wiederum Geiseln von etwas Sachfremden wurden. Man hat diesen historischen Moment verpasst, wo die russische Seite auf die Deutschen zugegangen ist Anfang der 90er Jahre."

Die Berliner Diskussion - die bereits einen Vorläufer im Mai in Jerusalem hatte - wird fortgesetzt. Jenseits der Politik wollen Historiker und Juristen neue Wege beschreiten und den Austausch zwischen den Fachrichtungen und Museen verstärken. Die Bestände der Museen werden international überprüft. Dabei bedeutet die Restitution, also die Rückgabe des geraubten und erbeuteten Kunstgutes, nicht automatisch eine faire und gerechte Lösung. Dies jedenfalls betonte der Historiker Richard Cohen von der mitveranstaltenden Hebräischen Universität Jerusalem immer wieder:

"Wir sollten nicht beginnen, die Vergangenheit neu zu bewerten. Und wir sollten nicht die Kunst zurückschicken, die sich die Franzosen, Engländer oder Deutschen angeeignet haben und in ihre Länder gebracht haben. Sondern die Kunst sollte dort als ein Teil der kulturellen Zivilisation verbleiben. Und ich bin sicher, dass viele Museen in der Welt diese Position teilen.

Man kann nicht die ganze Museumstradition neu schreiben und umkrempeln. Im Gegenzug könnte man sagen: Wenn es allerdings um Individuen geht, deren Kunstwerke von Regierungen, Institutionen oder einem Regime gestohlen wurden, dann hat man auch das klare Recht, die zurück zu bekommen.

Es ist kein Frage von Schwarz und Weiß, sondern es gibt viele graue Bereiche. Und gerade in dieser Grauzone kommt es darauf an, dass man eine humane und gerechte Art und Weise findet, mit diesem Problem umzugehen."