Streit um den "Kinopfennig"

Bernd Neumann im Gespräch mit Ulrike Timm · 14.08.2009
Kulturstaatsminister Bernd Neumann sieht die gesamte Filmförderanstalt in Gefahr, sollten sich die Kinos nicht an der Filmförderung beteiligen. Im Gegenzug für eine Beteiligung an der Förderung habe er den Kinos Unterstützung bei der technischen Aufrüstung für die Digitalisierung angeboten, sagte Neumann.
Ulrike Timm: Mit Kultur ist jede Menge Staat zu machen. Das weiß Kulturstaatsminister Bernd Neumann ganz genau. Und wenn er vor den Bundestagswahlen jetzt nicht noch blitzschnell zurücktritt, dann ist er der erste Kulturstaatsminister, der in seinem Amt eine komplette Legislaturperiode geschafft hat. Sein Verdienst: Er hat der Kultur immer wieder Geld beschafft, und so hat Bernd Neumann bei manchen schon den Spitznamen weg: Bernd, das Brot. Über sein größtes politisches Baby, die Filmförderung, über seine persönliche Bilanz seines Amtes wollen wir jetzt sprechen. Schönen guten Tag, Herr Neumann!

Bernd Neumann: Hallo, guten Tag!

Timm: Herr Neumann, der Geldtopf der Filmförderung bekam gerade wieder Zufluss, nach den öffentlich-rechtlichen zahlten auch die privaten Fernsehsender ihren Obolus in den Topf. Bloß um den sogenannten Kinopfennig gibt es nach wie vor Streit. Die großen Ketten wollen ihren Beitrag nicht zahlen. Ist ja eigentlich seltsam – gerade die Kinowirtschaft mauert, wenn es um Filmförderungsgelder geht. Sägen die Kinos da den Ast, auf dem sie sitzen?

Neumann: Die Gefahr besteht. Sie müssen ja sehen, wenn wir über Filmförderung reden, reden wir ausschließlich darum, den Kinofilm zu fördern, und ohne das Kino brauchen wir keine Filmförderung. Das heißt, alles ist angelegt darauf, den Kinos zu helfen, die Kinos in ihrer kulturellen Bedeutung auch als Kommunikationsort insbesondere in der Fläche zu unterstützen.

Timm: Und zugleich wünschen sich die Kinos ja jetzt aparterweise Geld aus dem Fördertopf, um die nötige technische Aufrüstung im digitalen Zeitalter zu stemmen. Sie haben da eine Anschubfinanzierung von 40 Millionen Euro angekündigt – erwarten Sie dafür von den Kinos Ruhe an der Klagefront, denn schlimmstenfalls könnte das ja vors Verfassungsgericht gehen, die Sache mit dem Kinopfennig?

Neumann: Wir haben ja gerade Ende des letzten Jahres ein neues Filmfördergesetz für die Filmförderanstalt verabschiedet. Darin wird festgelegt, welche Beiträge von den jeweiligen Nutzern des Filmes – also Kinos, Fernsehen, Verleiher, Video – zu leisten sind. Parallel lief dann schon eine Klage. Diese Klage bezog sich darauf, dass im alten wie auch im neuen Filmfördergesetz die Beiträge für zwei Gruppen – dazu gehören auch die Kinos – gesetzlich fixiert sind, und für die dritte Gruppe, für das Fernsehen, jeweils privat ausgehandelt werden müssen. Und das sei ungerecht. Man hat dann ein Verwaltungsgerichtsurteil herbeigeführt mit dem Inhalt: Im Prinzip ist das alles in Ordnung, auch die Abgaben, aber auch für die Fernsehanstalten müsse die Abgabe gesetzlich geregelt werden. Und bei dieser Diskussion stellt sich heraus, dass die Kinos sagen, ja, also, da sind wir eigentlich nicht zufrieden, das war der Vorwand, wir wollten eigentlich darüber reden, ob wir nicht unsere Abgaben reduzieren. Und insofern müssen wir miteinander drüber reden, wer dann in Zukunft wie viel leisten will. Und ich habe, um den Kinos das zu erleichtern, vorgeschlagen, wir wollen euch helfen. Und die größte Herausforderung ist die Digitalisierung. Und hier biete ich euch einen Pakt an, an dem sich der Bund, das Land, die Filmförderungsanstalt beteiligen, mit dem Ziel, innerhalb von fünf Jahren nicht nur die Kinos in den Zentren, also die Cinemaxx und andere digitalisiert zu haben, sondern eben auch das Kino auf der Fläche.

Timm: Es ist schon ein Deal. Könnte der klappen?

Neumann: Ein Deal – es ist ein gutes Angebot. So, wenn der nicht klappt, dann hat das sicherlich Auswirkungen für die Kinos selbst. Und jetzt komme ich zu Ihrem Zitat. Wenn selbst dieses Angebot der Hilfe nicht angenommen würde, dann kann’s tatsächlich passieren, was Sie sagen, dass die Kinos damit die Existenz der Filmförderanstalt sozusagen nicht nur beeinträchtigen, sondern in hohem Maße gefährden und dann dabei sind, den Ast, auf dem sie sitzen, abzusägen, denn es geht ja um sie, es geht um Kinoförderung und um nichts anderes.

Timm: Herr Neumann, keiner der großen Publikumsfilme der letzten Zeit kam ohne Filmfördergeld aus. "John Rabe" nenne ich mal stellvertretend, viele edle kleine Filme wie zum Beispiel "Jerichow" von Christian Petzold würde es überhaupt nicht geben ohne dieses Geld. Jetzt heißt es ganz aktuell vonseiten der AG Kino: Na ja, zwei Drittel der öffentlich geförderten Filme erreichen ja nicht mal 10.000 Zuschauer. Was sagen Sie dazu?

Neumann: Also es käme kein Theaterstück normalerweise ohne öffentliche Förderung überhaupt auf die Bühne. Wir müssen hier mal das auch miteinander vergleichen. Also über die hohe Subvention des Theaters wird in diesem Zusammenhang nicht geredet. Gott sei Dank gibt es sie. Und Kultur kostet Geld, und wir müssen investieren, Kultur bringt aber auch Geld. Und jetzt will ich Ihnen mal sagen, ich hab ja so ein Sonderprogramm aufgelegt, seit 2007, den Deutschen Filmförderfonds, wo jeder, der einen Film in Deutschland produziert, klein oder groß, Dokumentarfilm, Spielfilm, Kinderfilm, 16 bis 20 Prozent cash zusätzlich bekommt, um seine Wettbewerbsposition international zu verbessern. Das hat dazu geführt, dass wir einen Boom haben der Produktionen von Kinofilmen, dass unsere Studios ausgelastet sind. Und wir haben ausgerechnet, dass das, was wir investieren – wir haben bisher etwa 130 Millionen sagen wir mal ausgegeben aus diesem Topf –, die sechsfache Summe an Investitionen, an Ausgaben ist ausgelöst worden. Das heißt, es hat sich rentiert, es hat sich für den Staat rentiert. Und es hat sich für die Filmschaffenden ausgezahlt, denn mit diesen Produktionen werden Arbeitsplätze gesichert. Das Studio in Babelsberg steht nicht mehr in der Gefahr des Konkurses. Schauspieler, junge Schauspieler, junge Regisseure können sich erproben. Das heißt, die Filmförderung hat auch wirtschaftliche positive Aspekte, sie schafft für die Breite, auch gerade die Jüngeren, die Möglichkeit, sich zu erproben. Und natürlich gibt’s viele sogenannte Flops, aber die gibt’s in Amerika genauso im gleichen Umfang.

Timm: Und die Filmförderung ist Ihr politisches größtes Baby und ihr Lieblingskind …

Neumann: Na ja, Lieblingskind, die ist ja jetzt, wenn Sie jetzt mal reinsehen in die Branche, abgesehen mal von diesem konkreten aktuellen Problem mit den Kinos, wir haben eine tolle Stimmung. Die deutschen Filme sind erfolgreich. Wir hatten noch nie so einen hohen Teil deutscher Filme in den Kinos, wir sind international erfolgreich, deutsche Stars spielen in internationalen Produktionen, alles dadurch ausgelöst. Insofern ist das schon erfolgreich gewesen. Darüber freue ich mich und ich habe mich auch dafür eingesetzt.

Timm: Die schönste Förderung, die nützt ja nichts, wenn man sich den Film anschließend für nichts als Raubkopie beschaffen kann oder aus dem Internet ziehen. Ja, bei der Musik geht das sowieso, bei Büchern fängt es an, so zu sein. Heißt die größte Baustelle derzeit nicht Urheberrecht, Leistungsschutzrechte?

Neumann: Wenn Sie das so meinen, hätten Sie mich gefragt nach der größten Herausforderung für die Zukunft, ist das Urheberrecht, ist völlig richtig. Dieses Urheberrecht ist zwar federführend zugeordnet der Justizministerin, aber wie Sie vielleicht wissen, mische ich da massiv mit. Hier sind auch schon Verbesserungen erreicht worden, aber wir sind noch nicht in einem Zustand, der geistiges Eigentum voll schützt.

Timm: Man kann das Raubrittertum im Internet, sei es bei Filmen, bei Musik, bei Büchern, kann man das überhaupt juristisch befehden, denn das Netz ist doch sowieso immer einen Schritt voraus?

Neumann: Das ist ja gerade das Problem, dass das so einfach nicht ist. Nun kann es nicht so sein, dass überall in der Welt Regelungen getroffen werden – und man sagt ja, in Deutschland geht es nicht. Hier gibt es mehrere Möglichkeiten. Zum einen die Möglichkeit, dass man Vergehen ahndet, und das geht so, dass man sich zusammensetzt, dass man über freiwillige Vereinbarungen mit den Providern – ähnlich wie das in anderen Ländern schon angedacht und teilweise praktiziert ist – kommt. Darüber hinaus muss man alles unterstützen, was neue Verwertungsmodelle ausmacht. Wissen Sie, es ist immer so gewesen mit neuen Technologien. Als der Computer eingeführt wurde, Sie erinnern das vielleicht, wurde von den Gewerkschaften gesagt, alle Arbeitsplätze gehen verloren. Nein, wir müssen uns umstellen, wir haben keine Alternative, wir wollen und können mit den neuen Techniken klarkommen. Aber wenn das dann eine Baustelle ist, würde ich sagen, das ist im Augenblick und in der Zukunft eine der großen Baustellen.

Timm: Einen Lösungsvorschlag für das Raubrittertum im Internet, den haben Sie interessanterweise nicht genannt, das wäre die Flatrate. Funktioniert ähnlich wie eine Straßenmaut: Wer zahlt, darf an die Sachen ran. Sie sind skeptisch, dass solch eine Flatrate eine Lösung wäre. Warum?

Neumann: Also ich bin dafür, dass alle neuen Vorschläge geprüft werden. Aber Flatrate würde bedeuten, dass jeder ja dasselbe zahlt. Das heißt, es würde im Grunde eine Gleichmacherei erfolgen, dass grundsätzlich dann von Summen geredet wird, von fünf Euro, in dieser Größenordnung, und da sagen alle Fachleute, insbesondere die Sachverständigen, auf die muss ich mich ja verlassen, in der Musikindustrie, das sei völlig abwegig. Man würde den differenzierten Qualitäten auch von geistigem Eigentum nicht gerecht und in dieser Größenordnung könne man das nicht machen.

Timm: Entschuldigung, wenn ich unterbreche, aber man hätte eine realistische Möglichkeit, die vielleicht realistischer ist als freiwillige Vereinbarungen, wo das Internet dann sowieso immer voraus ist.

Neumann: Nee, woher wissen Sie das? Die freiwilligen Vereinbarungen, die es gibt, Geschäftsmodelle sind teilweise schon erfolgreich. Ich will das denen ja auch gar nicht vorschreiben, nur damit Sie’s wissen, das betrifft die Wirtschaft selbst. Aber wenn mir die Wirtschaft selbst sagt, das sei kein optimales Modell, kann ich nicht sagen, ich übernehme dann das trotzdem. Ich möchte das tun als Politiker, was der Wirtschaft hilft, und da will ich gar nicht klüger sein, aber wenn mir von den Sachverständigen bisher gesagt wird, das sei nicht der richtige Weg, kann ich nicht einfach sagen, das führen wir ein. Also wir müssen da in der Diskussion bleiben. Ich verschließ mich auch nicht der Diskussion über die Flatrate, nur aus heutiger Sicht ist sie noch nicht die Lösung des Problems.

Timm: Wollen Sie das alles noch lösen in einer zweiten Amtszeit?

Neumann: Wissen Sie, Sie merken ja, irgendwie bin ich doch noch ganz engagiert und mir macht das Spaß, genauso wie anderen Kollegen ihr Amt Spaß macht, und jetzt ist erst mal so, jetzt müssen die Leute wählen, und dann gibt es ein Ergebnis. Und so wie das auch üblich ist, zerlegt man das Fell des Bären nicht, bevor der überhaupt erlegt ist. Schaun wir mal!

Timm: Falls es zum Fell des Bären kommt, dann haben Sie viel zu tun, und egal, wie’s ausgeht, wir werden das mit wachen Ohren begleiten.

Neumann: Da freue ich mich drauf.

Timm: Kulturstaatsminister, Herr Neumann, ich danke Ihnen fürs Gespräch!

Neumann: Tschüss.