Streit um das Potsdamer Glockenspiel

Ein Konflikt zwischen Ost und West

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An der Stelle der ehemaligen von der DDR Regierung gesprengte Garnisonskirche steht das weltberühmte Glockenspiel in Potsdam, Brandenburg.
Stein des Anstoßes: Das Glockenspiel in Potsdam. © imago / Petra Nowack
Ursula Weidenfeld im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 06.09.2019
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Das Glockenspiel in der Potsdamer Innenstadt, nahe der Baustelle für die neue Garnisonkirche, ist heftig umstritten. Denn die Inschriften weisen in die NS-Zeit. Doch der Konflikt liegt tiefer: Es geht offenbar um die Ost-West-Deutungshoheit über die Stadt.
Diese Glocken polarisieren eine ganze Stadt: Das Glockenspiel in Potsdams Innenstadt, unweit von dem Platz gelegen, an dem die 1945 zerstörte Garnisonkirche neu aufgebaut werden soll, wurde Anfang der 1990er-Jahre durch eine Stiftung finanziert. Und abgesehen davon, dass auch der Wiederaufbau der Garnisonkirche höchst umstritten ist, sind es vor allem die Inschriften in den Glocken, die auf Ablehnung und Empörung stoßen.
Der lateinische Spruch suum cuique – Jedem das Seine – stand nämlich auch in großen Lettern über dem Tor des Konzentrationslagers Buchenwald. Ferner lobten die Inschriften verschiedene Wehrmachtsgarnisonen, die Kriegsverbrechen begangen haben, erläutert unser Studiogast, die Journalistin Ursula Weidenfeld. In einem offenen Brief forderten an 100 ansässige Künstler und Intellektuelle im August, das Glockenspiel auszuschalten. Dies hat der Potsdamer Bürgermeister nun veranlasst.

Jetzt wächst die neue Garnisonkirche - und damit der Konflikt

Warum gibt es diesen offenen, scharfen Protest erst jetzt? "Der Konflikt steht eigentlich für etwas viel Größeres – nämlich den Wiederaufbau der Garnisonkirche", sagt Weidenfeld, die selbst in Potsdam lebt. Dieser sei jetzt wieder stärker ins Bewusstsein der vor Ort ansässigen Künstler gerückt, die dort ihre Ateliers hätten. "Es geht letztlich darum: Wer setzt sich durch, wenn es um das Stadtbild der Stadt Potsdam geht – der Westen oder der Osten?"
Es gebe eine ganze Reihe von sichtbaren, symbolischen Bauten – etwa das Palais Barberini oder das Stadtschloss, die mit Mitteln des (West-)Unternehmers Hasso Plattner und mit Unterstützung des Quizmasters Günther Jauch restauriert beziehungsweise rekonstruiert wurden –, an denen sich in den letzten Jahren die Frage entzündet habe: "Wem gehört eigentlich diese Stadt? Wem gehört das Lebensgefühl in dieser Stadt? Und das hat eben sehr stark polarisiert." Hinzu komme: Die alte Garnisonkirche sei der Ort des "Tages von Potsdam" – der Ort des Handschlags zwischen Hitler und Hindenburg am 21. März 1933.

Engagierte Stiftung

Die Stiftung für den Wiederaufbau der Garnisonkirche habe in den zurückliegenden Jahren zwar viel Engagement bewiesen und viel Friedensarbeit geleistet, um sich aus dieser negativen Tradition zu lösen. Dabei sei jedoch die Frage vernachlässigt worden: "Wie stehen eigentlich die alten Bürger von Potsdam, also die ostdeutschen Potsdamer, zu diesem Projekt, das zwar im Wesentlichen auch unterstützt worden ist von Manfred Stolpe und Matthias Platzeck, aber im Wesentlichen natürlich finanziert wird vom Westen."

Ursula Weidenfeld ist Wirtschaftsjournalistin, Kolumnistin und Moderatorin in Berlin. Sie studierte Wirtschaftsgeschichte, Germanistik und Volkswirtschaft an den Universitäten Bonn und München und schrieb ihre Doktorarbeit über die Wirtschaftspolitik in der Ära Adenauer/Erhard.

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