Streit um Böller aus Polen

Von Katrin Lechler · 19.12.2012
Sie heißen Totenkopf, Schock oder finale Schlacht - Silvester-Böller, die man auf polnischen Grenzmärkten kaufen kann. In Polen sind sie zugelassen, in Deutschland verboten - seit Jahren sind die Böller ein Streitthema, denn viele Deutsche versorgen sich hinter der Grenze mit solchen Feuerwerkskörpern.
Der Geruch von Schaschlik-Spießen zieht von dem offenen Grill in die engen Gänge mit Verkaufsständen. Dahinter erhebt sich ein langgezogenes Backsteingebäude, das mit seinen hohlen Fenstern wie eine Investitionsruine wirkt - wenn da nicht die Aufschrift "Oder Center Berlin" über dem Dach leuchten würde.

Am rechten und linken Ende des Gebäudes bilden zwei Tankstellen eine Klammer um das Gewirr von Passagen, Gängen und Fahrwegen. Besuchergruppen aus Deutschland schlendern dicht an dicht über den Grenzmarkt von Osinow Dolny und halten Ausschau nach Schnäppchen:

Kundin: "Ich suche Kräuterkäse mit Paprika und ne Zwiebel druff."

Verkäuferin: "Habe ich nicht, meine Süße. Ich habe andere Käse, aber was du suchst, habe ich nicht."

Gefragt sind aber nicht nur Käse, Räucherfisch und polnische Würste, sondern auch Silvesterböller. Knaller, Raketen und Bodenfeuerwerk türmen sich auf den Verkaufsständen - alles gibt es hier in Größe XXL: eine acht Meter lange Knallkette made in China, Knaller im Hunderterpack und Raketen mit faustgroßen Köpfen.

In Deutschland dürfen solche Böller nicht verkauft werden, hinter der Grenze in Polen schon. Die Besucher beugen sich interessiert über das Angebot, zwei Männer nähern sich einem Feuerwerksstand, aus dem schon von weitem Popmusik schallt.

Der Ältere greift ins das Regal und betrachtet den knallbunten Karton:

"Ick will mal gucken nach so Kleinigkeiten - Stroboskop-Effekte ... Bei mir muss es ein bisschen bunt sein, also Licht, darum geht es. Große Böller habe ick nicht, will ich nicht. Da würde ich dann wahrscheinlich auch Bedenken haben."

Beratung gibt es hier nicht, der Verkäufer telefoniert auf seinem Handy.

Nach wenigen Minuten haben sich die beiden Männer entschieden und drücken dem Verkäufer 25 Euro in die Hand:

"Bienen, ein paar Böller, die nicht ganz so laut sind, vielleicht wie Super B, D in Deutschland."

Das sind Knallkörper auf einer Skala von A bis F - Fachtermini, für die die Frauen, die gerade am Stand vorbeilaufen, keinen Sinn haben.

Erste Passantin: "Ist ja schon, wenn man reinkommt, jeder zweete Stand ist mit Feuerwerkskörpern ... Wir geben lieber 'ne Mark mehr aus und kaufen das bei uns."
Zweite Passantin: "Ne danke, wir hängen am Leben. Also erst mal sind wir nicht die Feuerwerksfreaks und in Polen? Niemals! Weil hier stehen ja ganzjährig die Raketen und die Leute rauchen. Wir kommen hier schon ein paar Jahre hierher und haben immer gedacht, irgendwann möchten wir nicht dabei sein, wenn es passiert."

Es ist schon passiert: Vor sechs Wochen hat ein Feuer auf dem Markt das Hab und Gut vieler Händler verschlungen. Die Ware an den Ständen sorgte für ein minutenlanges, gewaltiges Feuerwerk in der sonst menschenleeren Gegend. Radek Kaminski, der als Manager auf dem Grenzmarkt arbeitet, kann sich noch gut an diese Novembernacht erinnern:

"Ich werfe vom Auto aus immer einen letzten Blick auf den Markt, bevor ich nach Hause fahre. Da habe ich helles Licht gesehen. Als ich umgekehrt bin, hatte der starke Wind schon das Feuer über den ganzen Markt gedrückt."

Radek Kaminski arbeitet als einer der wenigen in einem Büro und nicht im Freien. Der Manager will seinen richtigen Namen nicht sagen. Er ist wütend auf den deutschen Marktbesitzer, der zulässt, dass die gefährlichen Feuerwerkskörper verkauft werden:

"Zum Beispiel direkt an der Tankstelle. Ich denke, dass das für alle eine Gefahr ist. Abends ist hier nur ein einziger Angestellter einer Sicherheitsfirma, der den ganzen Markt bewachen soll. Das ist meiner Meinung nach lächerlich."

Damit sollen Personalkosten gespart werden, glaubt Radek, schließlich gab es vor einigen Jahren noch mehrere Sicherheitskräfte auf dem Markt.

Dass beim dem großen Brand niemand verletzt oder getötet wurde, ist für Radek reiner Zufall.

"Aber keiner hat den Willen, etwas zu ändern. Die Händler haben Angst um ihren Arbeitsplatz, keiner will sich öffentlich äußern, weil das damit enden kann, dass man seinen Marktstand verliert. Auch ich riskiere ziemlich viel, indem ich mich hier äußere."

Radek Kaminski hat eine Familie und wenig Chancen auf eine neue Beschäftigung, wenn er seine jetzige Arbeit verliert: In der Umgebung von Osinow Dolny gibt es keinen Ort, der ähnlich vielen Menschen Lohn und Brot gibt. Gleich nach dem Brand haben die Händler renoviert. Ausfälle kann sich hier keiner erlauben, schon gar nicht in der Vorweihnachtszeit.

Radek Kaminski ist stolz auf das beherzte Zupacken aller, aber resigniert wegen der mangelnden finanziellen Unterstützung des deutschen Marktbesitzers:

"Hier war der Teil, der ganz schwarz vom Feuer war. Sehen Sie, die Trennwände der Stände stehen schon. Die Leute legen selbst die Kacheln. Da hilft ihnen keiner."

An der Tankstelle stehen die Autos mit deutschem Kennzeichen dicht an dicht. Benzin- und Abgasgeruch liegt in der Luft. Benzin ist hier billig, genauso wie die Raketen und Knallerpackungen, die sich auf dem Stand einer jungen Frau türmen. Sie arbeitet seit 15 Jahren auf dem Markt und fühlt sich mit ihren Böllern direkt neben der Tankstelle sicher:

"Wir haben hier einen Feuerlöscher, wir absolvieren Kurse zur Sicherheit am Arbeitsplatz und lernen, wie man mit solchen Situationen umgeht. Jeder weiß, was er tun muss: Nicht rauchen und den Kunden verbieten, sich mit Zigaretten dem Stand zu nähern."

Nur einige Schritte weiter, vorbei an den Toiletten und einem Blumenstand, hat Marktbesitzer Heinz Müller - ein hagerer Mann um die 50 - sein Büro in einem grauen Flachbau. Er zweifelt trotz der Brände nicht an der Sicherheit auf dem Markt.

"Die dürfen ja nur eine begrenzte Menge an Feuerwerkskörpern lagern und die Abstände müssen irgendwie eingehalten werden."

Viele deutsche Kunden kommen extra wegen der Feuerwerkskörper, die nur in Polen verkauft werden dürfen. Für den Marktbesitzer und die Händler ein gutes Geschäft.

"Wir haben ja Silvester vor der Tür, die Leute wollen ja knallen. Das ist Bestandteil des Marktes und die Kunden lieben das ja auch. Wir haben ja hier andere Feuerwerkskörper als in Deutschland, die auch zugelassen sind in Polen. Es gibt ja viele Leute, die das mögen. Für manche ist es eine Leidenschaft. Die warten das ganze Jahr darauf."

Der Brand im November hat die Händler zwar geschockt. Aber die Nachfrage aus Deutschland ist deshalb noch lange nicht zurückgegangen.