Streit um Amazon

Herstellerinteressen zu wenig berücksichtigt

Harald Wüsthof im Gespräch mit Hanns Ostermann · 21.12.2013
Viele Hersteller wünschen sich gegenüber Amazon mehr Freiheiten - doch bei den Regeln für den Online-Handel würden die Interessen der Verbraucher stärker gewichtet als die der Hersteller, sagt Harald Wüsthof, geschäftsführender Gesellschafter des Dreizackwerkes in Solingen.
Hanns Ostermann: Heute werden sie vorläufig enden, die Streiks und Proteste beim weltgrößten Versandhändler Amazon. Aber es wird weitergehen, das hat die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi bereits angekündigt. Ihr geht es um höhere Löhne und tarifliche Regelungen, wie sie im Einzel- und Versandhandel üblich sind. Der Konzern wiederum nimmt die Logistikbranche zum Maßstab. Dort werden niedrigere Löhne gezahlt. Über die Erfahrungen der Mitarbeiter von Amazon und auch die Sicht der Kunden haben wir in den vergangenen Wochen schon viel gehört. Wie aber geht es den Herstellern von Markenartikeln, die ihre Produkte über Amazon vertreiben? Darüber spreche ich jetzt mit Harald Wüsthof. Ihn darf man als, sagen wir, Herrn der Messer bezeichnen; er ist geschäftsführender Gesellschafter des Dreizackwerkes in Solingen. Guten Morgen, Herr Wüsthof!
Harald Wüsthof: Guten Morgen, Herr Ostermann!
Ostermann: Lassen Sie uns Ihre Geschichte von Beginn an erzählen. Warum sind Sie mit Amazon zunächst ins Geschäft gekommen? Was machte damals den Reiz aus?
Wüsthof: Am Anfang, das ist jetzt auch schon fast zehn Jahre her, war Amazon einfach ein Kunde wie jeder andere, und die haben natürlich sehr, sehr früh dieses neue Geschäftsfeld des Internethandels belegt, und von daher wollten wir auch von möglichst früh an mit diesem Vertriebsweg vertraut machen und auch den entsprechend besetzen.
Ostermann: Und Sie haben die Chance genutzt, und das Geschäft lief anfangs auch erfolgreich?
Wüsthof: Ja. Sowohl in Deutschland mit Amazon.de als auch in den USA dann mit Amazon.com.
Ostermann: Sie sahen zu einem bestimmten Zeitpunkt aber Ihre Produkte verramscht. Waren es Dumping-Preise, zu denen Sie Ihre Messer verkaufen mussten, oder was war es?
Wüsthof: Nein, das war eher aus der Sicht von Amazon.com, also in den USA, dass die ohne große Rücksprache mit uns von heute auf morgen die qualitativ gleichwertigen Produkte einfach erheblich günstiger auf ihrer Website angeboten haben als der Fachhändler, mit dem wir über Jahrzehnte mühsam die Marke überhaupt erst aufgebaut haben.
Ostermann: Aber Sie haben die verabredete Marge auf Ihre Messer weiterhin bekommen?
Wüsthof: Wir ja. Wir ja – das ging also schon aus der Schatulle von Amazon.com raus.
Ostermann: Aber Sie haben dann irgendwann die Reißleine gezogen und sind in die Konzernzentrale in die USA geflogen. Worum ging es damals in diesen Gesprächen?
Wüsthof: Das war eine ganz merkwürdige Situation. Da kam man sich natürlich als Solinger Messerhersteller ein bisschen vor wie David gegen Goliath bei dieser Reise.
Ostermann: Sie hätten ja ein Messer mitnehmen können!
Wüsthof: Das ist heutzutage, auch seit dem 11. September, ein bisschen schwierig. Aber grundsätzlich bin ich mit dem Geschäftsführer unserer Tochtergesellschaft in den USA dort hingereist. Und dass wir denen also versucht haben, klarzumachen, dass dasselbe Produkt auch unabhängig vom Vertriebsweg, ob das jetzt durch Internet oder durch Fachhandel vertrieben wird, auch den gleichen Preis haben sollte.
Ostermann: Hat man Sie verstanden?
Wüsthof: Ich glaube, dass der eine oder andere Mitarbeiter bei Amazon uns von der Logik her verstanden hat, aber dass einfach die Direktive des Konzern innerhalb des Konzern eine andere war, nämlich dass man grundsätzlich den bestmöglichen Preis anbietet, und selbst, wenn es auf Kosten der eigenen Marge geht.
Ostermann: Welche Konsequenzen haben Sie gezogen?
Wüsthof: Wir sind dann konsequenterweise als Lieferant von Amazon.com in den USA zurückgetreten und haben die dann einige Jahre nicht beliefert. Drei, vier Jahre später kam ein neuer Einkäufer, der wiederum unsere Argumentation nachvollziehen konnte. Daraufhin hatten wir dann einen zweiten Anlauf genommen und wiederum für drei, vier Jahre Amazon.com beliefert. Und als der wiederum ausschied, sind wir dann im November 2011 nochmals nach Seattle gereist, hatten die gleiche Diskussion mit seinem Nachfolger, und dann aber jetzt wirklich mit der endgültigen Konsequenz, weil wir mussten da einfach für unsere Marke eine Entscheidung treffen, und von daher beliefern wir Amazon.com nicht mehr.
Ostermann: Sie liefern aber weiter Messer in die USA, sehe ich das richtig? Welche Wege haben Sie dann gewählt?
Wüsthof: Wir bieten jetzt unsere Produkte über diese sogenannte Plattform Marketplace bei Amazon an. Das heißt, das sind also Fachhandelspartner von uns, die Amazon lediglich als Vertriebsplattform nutzen, aber wir haben von daher das Kunden-Lieferanten-Verhältnis mit unseren Fachhandelspartnern und nicht mit Amazon, und von daher auch gewährleistet, dass wir die entsprechenden Preise, die dann letztendlich auch zum Wohle des Fachhandels sind, weil die leben ja nicht von einer Prozent-, sondern letzten Endes auch von einer Dollar-Marge, so dass wir da auch gleiche Spielregeln für alle haben.
Ostermann: Herr Wüsthof, Sie beliefern in Deutschland den Onlineriesen nach wie vor. Konsequenter wäre es doch gewesen, den Kontakt ganz abzubrechen. Oder wäre das das Aus Ihres Unternehmens?
Wüsthof: Das, definitiv, wäre es nicht. Allerdings, in den USA obliegt es einfach einem Lieferanten, einem Hersteller, ob er mit jemandem eine Geschäftsbeziehung haben möchte oder nicht. In Europa sieht das ganz anders aus. Wenn wir einmal eine etablierte Geschäftsbeziehung mit Amazon haben, müssen wir die auch weiterhin aufrechterhalten. Und wir dürfen eben nicht aufgrund von Preisstellungen ein Lieferantenverhältnis beenden.
Ostermann: Jeder Hersteller wird sich ja früher oder später mit der Frage beschäftigen müssen, wie halte ich es mit diesem Marktführer. Welche Forderung hätten Sie an die Politik, oder ist die bei einem solchen Global Player generell überfordert?
Wüsthof: Meiner Ansicht nach ist sie da definitiv nicht überfordert. Sie wäre vielmehr überfordert, wenn da eben keine rechtlichen Schranken, wie ich es persönlich sehe, aufgebaut werden. Momentan ist es zu sehr aus der Verbrauchersicht. Es würde konsequenterweise im schlimmsten Fall dazu führen, dass Amazon der einzige Anbieter in Deutschland für viele Produkte ist und dass dadurch der Fachhandel komplett vom Markt verschwinden würde. Und das kann definitiv nicht im Interesse der Verbraucher, aber auch nicht im Interesse der Politik sein.
Ostermann: Was wünschten Sie sich also?
Wüsthof: Von daher wünschte ich mir, dass man als Hersteller respektive als Markenhersteller etwas freiere Entscheidungsfreiheit hat, mit wem man ein Kunden-Lieferanten-Verhältnis eingeht und mit wem auch nicht. Und dass man vor allen Dingen, wenn sich die Rahmenbedingungen ändern, man auch aktuelle und zukunftsgerichtete Entscheidungen treffen kann.
Ostermann: Harald Wüsthof war das, geschäftsführender Gesellschafter des Dreizack-Werkes in Solingen. Herr Wüsthof, danke Ihnen für das Gespräch und einen schönen vierten Advent!
Wüsthof: Ich danke Ihnen!
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