Streit im Deutschen Architekturmuseum

Die Ohrfeige von Frankfurt

07:52 Minuten
Oper und Schauspiel in Frankfurt am Main, aufgenommen am 09.12.2013. Das sehr schlichte Gebäude hat eine Glasfassade.
Das Schauspielhaus Frankfurt hat Sanierungsbedarf. Wie man mit dem Nachkriegsbau umgehen soll, hat erst zu heftigen Debatten und nun auch zu einem handgreiflichen Streit geführt. © picture alliance / dpa | Daniel Reinhardt
Nikolaus Bernau im Gespräch mit Massimo Maio · 18.12.2020
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Eklat im Deutschen Architekturmuseum: Die scharfe Debatte über die Sanierung des Schauspielhauses in Frankfurt ist in einen handgreiflichen Streit gemündet. Der Architekturkritiker Nikolaus Bernau fühlt sich an AfD-Parteitage erinnert.
Restaurieren, Altes nach- oder Neues bauen? Über diese Frage tobt in der deutschen Architektur schon seit 30 Jahren eine heftige Debatte. Und bei einer Diskussion im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt am Main wurde daraus ein handgreiflicher Streit.
Was ist Anfang Dezember 2020 in Frankfurt geschehen? Architekturkritiker Nikolaus Bernau erklärt, es sei "ziemlich kompliziert": Matthias Müntze, "Immobilienmakler und ausgesprochen aktiv im ganzen Bereich Nachbau historischer Fassaden", außerdem ein "selbst ernannter Architekturkritiker und Journalist", habe sich als Journalist zu einer Diskussionsveranstaltung im Deutschen Architekturmuseum angemeldet. Die Debatte sollte coronagemäß ohne Live-Publikum stattfinden. Presse sollte aber Zutritt haben.
Im Museum sei Müntze aber von dessen Direktor Peter Cachola Schmal sozusagen "enttarnt" worden, berichtet Bernau. Mit Verweis auf das Hausrecht sei Müntze des Hauses verwiesen worden. Daraufhin habe dieser sich gewehrt. Laut Süddeutscher Zeitung sei Müntze nach eigenen Angaben vom Direktor des Hauses an den Haaren gerissen und zu Boden geworfen worden.
"Das Museum hingegen sagt, dass er sich so gewehrt habe, dass er eben still gestellt werden musste. Außerdem habe er den Hausmeister in die Hand gebissen, Herrn Schmal die Maske abgerissen und ihn angeblasen", sagt Bernau. Das sei unter den aktuellen Zuständen fast schon eine Körperverletzung.
"Und dann habe eben Herr Müntze außerdem noch Herrn Schmal geohrfeigt." Die Ohrfeige ist auch in einem kurzen Video zu sehen, welches das Deutsche Architekturmuseum auf Facebook geteilt hat.

Sanierungsbedarf beim Schauspielhaus

Der sachliche Anlass dieses eskalierten Streits sei die Zukunft des Frankfurter Schauspielhauses. "Das ist ein hoch bedeutender Bau der Nachkriegsmoderne. Superelegant. Eine unglaublich schöne Architektur." Diese sei allerdings ziemlich marode. Darüber seien sich alle einig. Aber nicht über die Frage, ob man den Nachkriegsbau restauriert, ob man ihn in modernen Formen neu fasst, oder ob man, wofür Herr Müntze sich offensichtlich engagiert, die Fassade des Schauspielhauses von 1902 rekonstruiert.
Es seien dazu schon "ganz scharfe Debatten" geführt worden, berichtet Bernau, die aber nun nicht mehr sachlich geführt würden. "Herrn Müntze ging es hier nicht mehr um Sachargumente, sonst hätte er nicht versucht, sich in die Debatte einzuschleichen." Es ginge hier unter anderem auch um "Marktbeherrschung".

Tradition der Beleidigungen

Zur Radikalität der Debatte sagt Bernau, dass Architekten sich rhetorisch noch nie etwas geschenkt hätten: Um 1900 seien diejenigen, die Ornamente an den Fassaden haben wollten, als "vollkommen unmoralische Perverslinge" beschimpft worden. Das Bauhaus sei als "kommunistisch" und als "Stätte des Gruppensexes" angegriffen worden, nach 1945 seien Satteldächer als "kryptofaschistisch" bezeichnet worden.
Sein Fazit zum Skandalstreit in Frankfurt: "Dass jemand unter Vortäuschung eines Journalistenstatus versucht, in eine öffentliche Institution reinzukommen, diese öffentliche Institution damit zu diskreditieren als einen Ort, an dem gar nicht offen debattiert werden kann, dann eine Prügelei entsteht, weil diese Institution ihr Hausrecht ausüben will: Das sind Situationen, die kennen wir aktuell eigentlich nur von Parteitagen der AfD."
(jfr)
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