Angst um das alte Theatersystem
Der Krach um Chris Dercon, den designierten Nachfolger von Frank Castorf an der Berliner Volksbühne, hält an. Die Theaterproduzentin Amelie Deuflhard sagt, es gehe den Kritikern weniger um die Person als vielmehr um das Festhalten an bewährten Theater-Strukturen.
Alte Theater-Haudegen wie Claus Peymann schießen derzeit aus allen Rohren gegen Chris Dercon, der im kommenden Jahr Nachfolger des Berliner Volksbühnen-Intendanten Frank Castorf werden soll. Sie befürchten den Untergang des experimentier- wie spielfreudigen Theaters, das Castorf über Jahrzehnte geprägt hat.
Nach Meinung der Theaterproduzentin Amelie Deuflhard geht es in dem aktuellen Theaterstreit gar nicht so sehr um die Person Dercon, der derzeit noch die Londoner Tate Gallery of Modern Art leitet. "Sondern es geht darum: Haben neue Formen auch am Theater einen Platz?" In diesem Sinne hoffe sie, dass die Diskussion in kommenden Jahr konstruktiv weitergeführt werde.
Deuflhard, die Künstlerische Leiterin von Kampnagel in Hamburg ist, sagte, sie habe kein Verständnis für Theatermänner wie Claus Peymann. "Ich wundere mich ein bisschen über die ganzen neuen Freunde der Volksbühne: Claus Peymann hat mal wieder gut gebrüllt, spielt wieder den Reißzahn gegen die Politik, der er früher ja vielleicht mal war, aber heute eigentlich nicht mehr ist." Auch andere Kritiker der Personalie wie Joachim Lux oder Jürgen Flimm, der an der Volksbühne eigentlich nie sonderlich präsent gewesen sei, würden wohl eher "das alte Theatersystem in Deutschland" an sich als die Volksbühne verteidigen.
Sie habe Verständnis dafür, dass sich die Mitarbeiter der Volksbühne große Sorgen um ihre Zukunft machten: "Die Volksbühne ist natürlich ein phantastischer sozialer Kosmos. Es gibt immer Angst vor Neuem. Aber es könnte eben auch eine Chance für Neues geben." Sie sehe Dercon jetzt in der Pflicht, mit den besorgten Mitarbeitern offen über seine Absichten und Pläne zu reden und sich mit ihnen auszutauschen. Dercon habe offenbar "das soziale System Theater ein bisschen unterschätzt".
Dercon habe sich seinen Start an der Volksbühne selbst offenbar auch ganz anders vorgestellt: "Er wollte ja mit den alten Leuten weiterarbeiten: Er wollte mit Pollesch weiterarbeiten, mit Fritsch und sicherlich auch mit Castorf. Nur die hatten keine Lust darauf, und das hat ihn durchaus kalt erwischt."