Streiks im öffentlichen Dienst

Von Dr. Ursula Weidenfeld, Tagesspiegel |
Seit zwei Wochen streikt die Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes. Seit zwei Wochen werden Kindergärten tageweise zugemacht, Mülltonnen bleiben stehen, Straßen bleiben schmutzig, Krankenhäuser schicken Patienten wieder nach Hause.
Gestreikt wird nicht immer, nicht überall, aber spürbar.

Langsam werden die Bürger unruhig – sie erwarten ordentliche und berechenbare Leistungen für die Gebühren, die sie zahlen.

Langsam werden auch die Gewerkschafter unruhig: Denn so richtig selbstbewusst hört sich die Lage an der Streikfront nicht an, wenn die Arbeiter und Angestellten des öffentlichen Dienstes begründen müssen, warum sie sich wegen 18 Minuten Mehrarbeit am Tag in das Abenteuer Arbeitskampf gestürzt haben. Und wenn sie dann auch noch sehen, dass de facto nur die Hälfte der zum Streik Aufgerufenen die Streikschürze auch überstreifen, bröckelt die Motivation noch mehr.

Langsam werden aber auch die Politiker unruhig. Es ist kein Wunder, dass die ersten Kompromisssignale aus Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg kommen – dort wird schließlich im März gewählt. Dort fürchtet man verbitterte Gebührenzahler als Wähler genau so wie enttäuschte Gewerkschaftsmitglieder des öffentlichen Dienstes.

Mit dieser Unruhe hat Verdi-Gewerkschaftschef Frank Bisrske gerechnet, er braucht sie sogar. Bsirske weiß, dass Verdi für sich allein kaum noch in der Lage ist, um einen großen Arbeitskampf durchzustehen. Die Gewerkschaft ist zerrissen und schwach, die Arbeitgeber sind selten entschlossen, und ihnen sitzt die Finanznot im Nacken. Bsirske braucht den Einigungsdruck. Denn er weiß, was passieren wird, wenn die Spekulation auf einen ordentlichen Abschluss mit deutlichem politischen Rückenwind schief gehen sollte: Dann werden sich weitere Berufsgruppen von Verdi abspalten und eigene Arbeitnehmerorganisationen gründen – so wie es die Ärzte tun, so wie es die Piloten getan haben. Die Starken würden die Gewerkschaft verlassen, nur die Schwachen würden bleiben.

Im Wesentlichen geht es Verdi darum, eine Verlängerung der Arbeitszeit in Westdeutschland auf 40 oder 42 Stunden zu verhindern und die Anerkennung des richtungweisenden Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst zu erzwingen. Damit soll die Einheitlichkeit der Tarifbedingungen in Deutschlands Behörden, Schulen und Ämtern bewahrt werden. Dieser Tarifvertrag verankert erstmals leistungsbezogene Elemente im öffentlichen Dienst – und er soll nach Ansicht von Verdi jetzt vor allem sicherstellen, dass sich die Arbeitgeber im öffentlichen Dienst nicht gegenseitig Konkurrenz um die besten Lehrkräfte, Verkehrs- oder Stadtplaner machen. Unter unterschiedlichen Tarifbedingungen würde vor allem Ostdeutschland leiden, argumentiert Bsirske. Denn die neuen Länder und ihre Städte und Gemeinden könnten sich sonst demnächst die echten Spitzenkräfte einfach nicht mehr leisten.

Natürlich dürfen die öffentlich Beschäftigten nicht zum Sündenbock für die leeren Kassen des Staates gemacht werden. Aber: die Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst sind immer noch sicherer als die in der privaten Wirtschaft – der öffentliche Dienst hat in den vergangenen Jahren längst nicht so viel Personal abbauen müssen wie die privaten Unternehmen. Umgekehrt ist es so, dass gerade in Ostdeutschland schon heute millionenschwere Fördermittel regelmäßig im Personalhaushalt verschwinden, anstatt die eigentlich vorgeschriebenen Investitionen zu ermöglichen. Dass das auf die Dauer die falschen Prioritäten sind, ist unumstritten. Es ist nicht einzusehen, dass den Ländern, Städten und Gemeinden nach einem harten Winter das Geld fehlt, um die Löcher in den Straßen zu stopfen, weil sie immer größere Teile ihres Haushaltes für Personalausgaben reservieren müssen.

Weil viele der öffentlich Bediensteten das ganz genau so empfinden, folgen sie dem Arbeitskampf nur halbherzig.
Die meisten Arbeiter und Angestellten im öffentlichen Dienst halten es nämlich wie die in der privaten Wirtschaft auch. Natürlich arbeiten sie länger, wenn es sein muss. Bei den Beamten und in Ostdeutschland sind die 40 Stunden ohnehin schon Regelarbeitszeit, ohne dass sich jemand ernsthaft darüber beschwert.

Klar ist: Es darf keine Verlierer geben in diesem Streik. Frank Bsirske darf sich keine Niederlage erlauben, weil das den Zerfallsprozess von Verdi beschleunigen würde. Die Arbeitgeberseite darf nicht verlieren, weil der Wähler keine Loser will.

Wenn also beide Seiten gewinnen müssen, wird das Ergebnis am Ende vermutlich so aussehen: Es gibt eine moderate Arbeitszeitverlängerung im Westen, und vielleicht eine kleine Arbeitszeitverkürzung in Ostdeutschland. Möglicherweise wird der allgemeine Tarifvertrag in Kraft eingesetzt - mit der Möglichkeit, ihn entweder offiziell der inoffiziell zu variieren.

Und wenn das dann alle unterschrieben haben, wird man sich zu Recht fragen, ob das den Streik wert war. Und die ehrliche Antwort ist: nein.