Streichquartette zwischen Rapsblüten

Von Ullrich Bohn |
Direkt nach dem Krieg, 1946, wurde im kleinen Elbstädtchen Hitzacker ein Festival begründet, das auch heute noch durch sein Programm besticht. Zum 60. Jubiläum steht alles im Zeichen der Streichquartette. Außerdem locken die Veranstalter mit "musikalischen Spaziergängen" in die malerische Landschaft rund um Hitzacker.
Kurz nach der Stunde Null, im Sommer 1946, wurde der beschaulichen Idylle des kleinen Elbestädtchens Hitzacker neues musikalisches Leben eingehaucht, um dem durch die Nazi-Zeit entstandenen kulturellen Vakuum entgegen zu wirken. Margret Schuchardt, sie gehört seit vielen Jahren dem Festival-Beirat an, ist sogar in Hitzacker aufgewachsen und kann sich daher sehr gut an die Anfänge der Sommerlichen Musiktage erinnern:

" Sie wurden initiiert durch die Großstädter, die als Ausgebombte oder Flüchtlinge nach Hitzacker kamen. Obwohl es fast nichts zu beißen gab, war der Kulturhunger doch so groß, dass die Musiktage zunächst von einheimischen Künstlern bestritten wurden, erst danach trat eine Professionalisierung ein."

Die "Sommerlichen", wie die Musiktage alsbald schon liebevoll genannt wurden, entwickelten sich im Gegensatz zur heutigen Festivallandschaft eher langsam, aber kontinuierlich. Sie gewannen mehr und mehr Stammgäste und setzten, wie der jetzige künstlerische Leiter Dr. Markus Fein verdeutlicht, auch musikalische Impulse:

" Es hat sicherlich auch Jahre gegeben, in denen es dieses Festival auch schwer hatte. Das Festival war jahrelang mit der deutsch-deutschen Grenze konfrontiert, hat das Festival nachhaltig beeinflusst, auch finanziell durch die Zonenrandförderung. Nach der Grenzöffnung war dann eine völlig neue Situation gegeben, die ein Umdenken notwendig machte. Aber speziell in den 50er Jahren war es das führende norddeutsche Musikfestival. Hier gab es beispielsweise die Pflege der Alten Musik. 1955 gab es mit der Aufführung von Monteverdis "Orfeo" einen ganz wichtigen Schritt in der historischen Aufführungspraxis."

Mittlerweile aber hat das Festival große Konkurrenz bekommen. Das Schleswig-Holstein Musik Festival etwa oder die Musikfestspiele Mecklenburg-Vorpommern. Doch Markus Fein hält mit einer konsequenten Profilierung, mit einer ausgefeilten Programmatik dagegen. So dass bei ihm die Tourneefahrpläne diverser Klassik-Stars erst gar nicht auf den Tisch kommen:

" Mir sind diese exklusiven und kreativen Freiräume ganz wichtig. Das ist die Festspiel-Idee. Und wenn Musikfestivals nicht mit eigenen Produktionen und Ideen auf sich aufmerksam machen, dann wüsste ich nicht, warum es diese Art von Musikveranstaltungen geben soll. Bei uns steht hinter jedem Konzert eine ganz bestimmte Idee, die wir umsetzen. Ein Festival muss auch ein Risiko eingehen."

Ganz so riskant ist es aber nun auch wieder nicht, für die Jubiläumsausgabe der Sommerlichen Musiktage die "Königsdisziplin der Kammermusik" das Streichquartett auf den Schild zu heben. Und gleich mal zehn international anerkannte Quartett-Ensembles zu einer Art "Quartett-Gipfel" einzuladen:

" Streichquartett-Festival ja, aber ganz aktuell. Wir gehen da sehr frisch ran, beispielsweise durch die Kombination Streichquartett und Film, Berlin – Sinfonie der Großstadt, Stummfilm aus den Zwanziger Jahren verknüpft mit Musik aus dieser Zeit."

Aber auch mit den Kombinationen Musik & Tanz oder Musik & Literatur, mit Hörerakademien oder einem musikalischen Spaziergang in der reizvollen Landschaft um Hitzacker herum lockt und gewinnt Markus Fein sein Publikum, das sich oft sogar den musikalischen Genüssen gleich für mehrere Tage hingibt:

" Wir sind hier weitab von den Metropolen, es ist hier ein ganz anderes Konzerterlebnis. Das Publikum stellt sich auf diese Programme ein, es kommt mit Muße hierher. Das zudem unglaublich neugierig ist, viele Frage stellt, und immer wieder mit den Künstlern in Kontakt kommt."

Und auch mit dem "composer in residence", der diesmal Jörg Widmann heißt, und zu den viel beachteten Komponisten der Gegenwart zählt. Den aber Markus Fein nicht nach Hitzacker geholt hat, damit er die obligate Uraufführung zum Festival-Programm beisteuert:

" Ich bin kein Freund starrer Vorgaben, und meine, dass man die Aktualität eines Festivals nicht an der Zahl der Uraufführungen festmachen soll. Die Zweit- und Dritt-Aufführungen haben es gerade im Bereich der Neuen Musik oft viel schwerer. Jörg Widmann wird deshalb sehr umfassend hier vorgestellt, die seine gesamte Schaffenszeit repräsentiert. "

Doch diesmal sind nicht nur Programme und Profile bei den Sommerlichen Musiktagen in Hitzacker gefragt. Es soll auch gefeiert werden: das 60-jährige Jubiläum. So gibt es am kommenden Wochenende ein Wiedersehen mit den ehemaligen Künstlerischen Leitern und auch ein großes Jubiläumskonzert, bei dem sicherlich nicht nur ein paar musikalische Sektkorken knallen werden.