Berliner "Street Football Club"

Die Renaissance des Bolzplatzes

07:11 Minuten
Junge Kicker beim "Street Football Club" in Berlin
Junge Kicker beim "Street Football Club" in Berlin © Mike Auerbach
Von Thomas Wheeler · 19.02.2023
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Messi, Pelé, Matthews: Generationen von späteren Profis lernten das Kicken auf Bolzplätzen. Doch diese Kultur des freien Spiels gibt es immer seltener. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, hat ein Berliner Streetworker ein Projekt gegründet.
Der großartige Pelé sagte einmal über seine fußballerischen Anfänge: „Unser Platz war die Straße, wo ich wohnte. Und unsere Tore die beiden Enden der Straße.“

Der nicht minder begabte Stanley Matthews erzählte, er habe in seiner Kindheit stundenlang mit dem Ball gegen eine Mauer geschossen und Küchenstühle umdribbelt.

Pelé, Matthews und viele andere. Generationen von späteren Profis lernten das Fußballspielen auf der Straße oder auf Bolzplätzen.

Viele öffentliche Fußballplätze sind verwaist

Anders als zum Beispiel in Südamerika, wo in Brasilien oder Argentinien Straßenfußball auch heute noch zur Freizeitgestaltung vieler Kinder und Jugendlicher gehört, ist das freie, kreative Spiel in deutschen Städten kaum noch zu finden. Viele öffentliche Fußballplätze, auch die sogenannten umzäunten Käfige, sind oft verwaist.

"Die Schule nimmt sehr viel Zeit in Anspruch. Das heißt, man hat nicht wie früher so Schluss um 13, 13.30 Uhr - und man weiß nicht wohin. Deswegen ist man vor dem Training noch mal auf den Bolzplatz gegangen und vom Bolzplatz direkt zum Training - oder auch manchmal nach dem Training noch mal auf den Bolzplatz. Und teilweise ist auch der Vereinsfußball so dominant geworden, dass die Jungs in mittelklassigen Ligen schon dreimal die Woche trainieren. Und man ist auch nicht mehr so verwurzelt in den Bezirken oder in den ganzen Straßen. Früher gab es noch Straßenmannschaften - die gibt es gar nicht mehr.“

"Street Football Club" in Kreuzberg und Neukölln

Dieser Entwicklung stemmt sich Zeljko Ristic bereits seit längerem entgegen. Der Streetworker arbeitet für den Sozialträger Outreach, der in elf Berliner Bezirken mit mobiler Jugendarbeit aktiv ist. 2021 gründete Ristic das Projekt „Street Football Club“, das seine Schwerpunkte vor allem in Kreuzberg und Neukölln hat.   
„Es kam dazu in der Pandemiezeit, dass wir gemerkt haben, es hat alles dichtgemacht. Ich habe mitbekommen, dass ein Jugendlicher es irgendwie hinbekommen hat, eine Halle zu bekommen - und die haben drinnen illegalerweise Fußball gespielt. Und ich fand eigentlich die Idee ganz charmant, dass die sich selbst organisiert haben. Und ich habe dann zu dem jungen Mann Kontakt aufgenommen. Dadurch ist die Idee aufgegangen, dass wir während der Pandemie wieder angefangen haben, Straßenfußball zu aktivieren. Die Bolzplätze waren wieder voll gewesen - und dadurch ist so eine kleine Bewegung entstanden.“  

Ristic war als Jugentrainer bei Hertha BSC

Ristic ist aber nicht nur seit vielen Jahren Streetworker. Er war auch lange Zeit Coach im Berliner Nachwuchs- und Amateurfußball. Knapp 13 Jahre war er als Jugendtrainer bei Hertha BSC tätig, wo er damals auch schon Turniere im Straßenfußball organisierte.

Ich sehe Straßenfußball als reformpädagogischen Ansatz, weil im Prinzip Jugendliche sich selbst organisieren. Es ist ihre eigene Welt, die sie sich verschaffen und ihre eigenen Regeln, ihren Freiraum. Und sie spielen auch frei und bringen sich eigentlich ihre eigenen Sachen selbst bei.

Ich treffe ihn in einer Kellergeschosswohnung in Berlin-Kreuzberg. Jugendliche, die Outreach und das "Street-Football-Club"-Projekt kennen, verbringen hier ihre Freizeit, quatschen, spielen Playstation oder können auch Musikaufnahmen in einem Tonstudio machen. Denn der "Street Football Club" ist viel mehr als nur Straßenfußball.  

„Wir haben gemerkt, dass der Bedarf da ist, dass das so ein eigenes Leben ist. So ein urbanes Lebensgefühl: Straße ist auch Straßenmusik, Straßenmalerei, Straßenkunst, Urbanität. Also, ob es Street Art ist oder Graffiti ist. Hiphop-Musik, ist ja ihr Lebensstil auch von den Jugendlichen und haben gemerkt, dass fusioniert so ganz gut miteinander, und ich finde ja, so was ist auch immer eine Wertschätzung an dem, was die betreiben.“
Streetworker Zeljko Ristic
Streetworker Zeljko Ristic gründete den „Street Football Club“.© Outreach
Die 20-jährige Sami, im Verein Spielerin bei Türkijemspor und der 15-jährige Omar, der bei Viktoria-Mitte kickt, kommen regelmäßig zum Treffpunkt. Beide spielen auch bei den Turnieren mit, die die Jugendlichen selber auf die Beine stellen.

„Also Straßenfußball ist nicht mit Strategie gezwungenermaßen und nicht mit so vielen Regeln, würde ich mal sagen. Da kann man einfach mal alles rauslassen, und Straße ist einfach auf Beton ein bisschen härter.“

"Man kriegt seinen Kopf frei. Einfach an so einem Tag, wo man nix vorhat, ruft man seine Freunde raus oder so. Ist egal, was du anhast. Es braucht einfach nur einen Ball - irgendwas, was sich dreht.“

Andere Atmosphäre als bei organisierten Spielen

Für ihre Mitarbeit im Orga-Team, dass momentan aus sechs Frauen und vier Männern zwischen 15 und 21 Jahren besteht, bekommen sie ein Honorar, das sich am Mindestlohn orientiert.

Straßenfußball lebt von einer gänzlich anderen Atmosphäre als organisierte Fußballspiele. Viel freier und ungezwungener.

„Ich würde meinen, es ist ein kollektives Treffen einfach von Freunden meistens. Mein Empfinden ist auch, dass sie untereinander Fußball spielen wollen, weil es ein anderes Spielen ist. Es ist mehr ein Rumfrotzeln, ein gegeneinander spielen, sich gegenseitig auf den Arm nehmen, sich nette Worte an den Kopf zu schmeißen, sich dann auch zu messen, dass man vielleicht auch der Bessere an dem Tag ist. Auch so ein bisschen auch, sich selbst zu feiern.“

Unterschiedliche Teamgrößen

Gespielt wird mit oder ohne Bande in unterschiedlichen Teamgrößen, oft drei gegen drei, auf kleinere Tore. Street Football greift zwar auf ein paar gängige Fußballbegriffe wie Freistoß oder Elfmeter zurück, gibt sich aber längst nicht so strenge Regeln wie im Verein. Schiedsrichter gibt es meistens nicht. Wenn, dann übernehmen die Jugendlichen oder Erwachsenen, gegen die sie manchmal auch spielen, das selbst.
Jugendliche beim Fußballprojekt des Streetworkers Ristic
Jugendliche beim Fußballprojekt des Streetworkers Ristic© Outreach
„Straßenfußball besteht auch dadurch, dass man echt auch gegen Ältere spielen muss, um sich zu beweisen. Ich bin der Meinung, wenn man so Alterskategorien hat, dann ist das nicht, was früher auf dem Bolzplatz normal war.“

Projekt fördert Eigeninitiative und Kreativität

Der Street Football Club setzt auf Eigeninitiative und Kreativität. Für die Kommunikation sind die Jugendlichen selbst verantwortlich. Sie organisieren die Turniere, drehen Videos davon und machen so auf sich aufmerksam. Anders als bei anderen Straßenfußballprojekten in Deutschland, hält Zeljko Ristic nichts davon, Street Football in die organisierte Vereinswelt zu integrieren.

„Man muss es gewähren, dass es frei ist, weil wenn man es versucht, es zu integrieren, ist es nicht mehr frei. Man versucht dann das Freie in Strukturen reinzupressen - und das geht nicht.“

"Street Football Club" bekommt Fördermittel

Der "Street Football Club" wird mit Fördermitteln der Landeskommission „Berlin gegen Gewalt“ unterstützt. Mit seinem Engagement will er auch dazu beitragen, dass junge Menschen nicht kriminell werden. Zunächst ist die Förderung für ein weiteres Jahr gesichert.
Um besser planen zu können, würde sich Zeljko Ristic allerdings eine Regelfinanzierung wünschen. Das käme vor allem den Berliner Jugendlichen zugute, die sich beim "Street Football Club" treffen. Ein Projekt, dass für sie ein wichtiger Anlaufpunkt in ihrer Freizeit geworden ist. 

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