"Streben nach Glanz und Glamour"

Thomas Biskup im Gespräch mit Joachim Scholl |
Ist der Bundespräsident ein Nachfahr der alten monarchistischen Tradition? Über diese und andere Fragen äußerte sich Thomas Biskup, Autor des Buches "Das Erbe der Monarchie", einen Tag vor der Bundespräsidentenwahl.
Joachim Scholl: Im Studio begrüße ich nun den Historiker Thomas Biskup. Er hat das Buch "Das Erbe der Monarchie" herausgegeben, das sich mit den Nachwirkungen der Monarchie auf die deutsche Gesellschaft bis heute beschäftigt. Willkommen im "Radiofeuilleton", Herr Biskup!

Gerade haben wir von überzeugten Monarchisten gehört, sicherlich ne Splittergruppe, aber auch jenseits von solchen Sektierern scheint die Monarchie auch immer noch eine gehörige Faszination auszustrahlen. Was begeistert uns Demokraten anscheinend weiterhin so sehr für Kaiser, Könige, Prinzen und Prinzessinnen?

Biskup: Ich glaube, man muss zunächst mal fragen, was für Bedürfnisse das sind, die da befriedigt werden. Und es sind, glaube ich, keine unmittelbar politischen Bedürfnisse im engeren Sinne. Das sind eher allgemeine gesellschaftliche Bedürfnisse, Streben nach Glanz und Glamour, was in den Boulevardmedien ja verhandelt wird. Und es ist ja auch interessant, in welchem Bereich die Öffentlichkeit sich mit Prinzen und Monarchen beschäftigt. Das ist eben die Boulevardpresse, in der eben die Bulimie von der schwedischen Kronprinzessin Victoria auf einer Ebene verhandelt wird mit den Gewichtsproblemen von Keira Knightley.

Scholl: Ich meine, Dutzende von Zeitschriften berichten allwöchentlich über den Stand der Dinge in europäischen Adelshäusern. Nach Ihren Worten hat das also aber eigentlich keinen politischen Konnex. Es gibt ja immer wieder diese merkwürdigen journalistischen Umfragen zum Thema, mit dem stets verblüffenden Ergebnis, dass es doch viele gibt, die sich dann plötzlich einen Kaiser wünschen – oder lieber einen Kaiser als einen Köhler wünschen in diesem Fall. Wie schätzen Sie das ein, ist das ’ne Art von, ja, ich weiß nicht, so reflexiver oder instinktiver Nostalgie, demokratischer Unmut oder weht da doch so was nach wie so eine historische Sehnsucht (…) 1918, als man dann Wilhelm II. so roh aus dem Lande stieß und die monarchistische Tradition so jäh abbrach?

Biskup: Ich glaube, zunächst mal muss man ja sagen, dass die Umfrage, die Sie zitiert haben, aus Bayern stammt. Und die Frage war ja gar nicht, Kaiser oder Köhler, sondern König oder Köhler. Insofern glaube ich, kann ich mir vorstellen, ist das noch mal ein besonderer Akzent. Wir haben in Deutschland ja eben nicht nur den Kaiser, sondern eben die vielen deutschen Monarchien: den König von Bayern, den König von Sachsen, den Herzog von Braunschweig und so weiter. Das heißt, in Deutschland gibt es immer diese doppelte monarchische Tradition seit dem Mittelalter. Es gibt den Kaiser, früher den römischen Kaiser, seit 1871 den deutschen Kaiser, und eben die regionalen Monarchien. Und mir scheint, ein ganz beträchtlicher Teil dieser Anhänglichkeit an Monarchie viel mehr aus sich aus diesen regionalen Anhänglichkeiten zu speisen, an das Haus Wittelsbach zum Beispiel, als aus der Anhänglichkeit, der vermeintlichen Anhänglichkeit an das Kaiserhaus.

Scholl: Sind Könige und monarchische Herrscher bessere Identifikationsfiguren als demokratisch gewählte Repräsentanten?

Biskup: Ich glaube nicht unbedingt. Wie gesagt, die Frage ist eben noch einmal, welche Bedürfnisse werden hierbei befriedigt? Die Deutschen haben sich in den letzten Jahrzehnten daran gewöhnt, durchaus an der Monarchie teilzuhaben. Es ist eben nicht die deutsche Monarchie mehr und es ist nicht der deutsche Hochadel.

Es sind eben die englischen, schwedischen, spanischen, auch das holländische Königshaus, an denen man teilhat und an deren Lebenslauf man teilhat. Das heißt, wir haben hier in den letzten Jahrzehnten eine neue Dimension der Beobachtung von Monarchie auf einer transnationalen, einer europäischen Ebene entwickelt, die es den Deutschen durchaus erlaubt, ihren Bedarf an royalem Glamour, Prunk und Zeremonien zu befriedigen, nur eben nicht mehr unbedingt über deutsche Königshäuser. In dem Fall lässt sich sagen, dass die Begeisterung für die ästhetischen Dimensionen der Monarchie, für Zeremoniell zum Beispiel, Staatszeremoniell, sich durchaus verträgt mit einer starken Bindung an das parlamentarisch-demokratische republikanische System.

Scholl: Wie würden Sie denn dann die Funktion unseres Bundespräsidenten oder auch seine Person dann eigentlich sehen? Hat er noch etwas vom Erbe dieser monarchischen Tradition in dem Sinne, dass er eben so ein repräsentatives Staatsoberhaupt ohne Exekutivgewalt ist? Das gleicht ja eigentlich einem Herrscher in den Niederlanden, in Belgien oder Spanien.

Biskup: Das stimmt. Verfassungsrechtlich gesehen ist die Rolle des Bundespräsidenten viel näher der Rolle der Monarchen in den konstitutionellen Monarchien als der Rolle beispielsweise des französischen oder amerikanischen Präsidenten. Eigentlich ist ja die Rolle eines selbstständigen Staatsoberhauptes ohne große Exekutivmacht traditionell aus dem 19. Jahrhundert heraus, aus dem Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts entwickelt.

Das ist also die Rolle des, wie es der Verfassungsjurist Christoph Schönberger einmal formuliert hat, hier haben wir im Grundgesetz mit dem Bundespräsidenten also den konstitutionellen Monarchen verwirklicht, den wir in der Monarchie in Deutschland vor 1918 nie hatten. Das ist verfassungsrechtlich durchaus zunächst einmal so zu sehen, aber freilich auch offen in andere Entwicklungsmöglichkeiten, denn das Grundgesetz billigt dem Bundespräsidenten in Krisenfällen durchaus einen gewissen Ermessensspielraum und politischen Spielraum zu, der sich bei einer Verschiebung der politischen Lage in Deutschland durchaus bemerkbar machen kann.

Scholl: Sie, Thomas Biskup, leben selbst in England, und man kennt ja die Briten und ihre Verrücktheit mit ihrem britischen Königshaus. Wie man hört, sind Sie auch mal der Queen vorgestellt worden. Wie war das dann?

Biskup: Ja, einmal hat sie, als ich in Cambridge studiert habe, unser College besucht, und da wurde ich eben mit einer Reihe anderer Studenten eben auch der Königin vorgestellt. Und das war ganz unspektakulär. Sie fragte, was ich studiere. Ich sagte, Geschichte. Und da sagt sie: How interesting?

Scholl: Aber wie sehen Sie als Deutscher auf diese Monarchie in England? Ich meine, wir lächeln da immer drüber und sagen, na, die Briten, die haben sie eigentlich nicht mehr alle, oder? Welche Funktion hat diese Art von Monarchie in diesem Staat?

Biskup: Also zunächst mal muss ich sagen, dass man als Zeitgenosse ja auch nicht ganz frei ist von Faszination. Und es ist, glaube ich auch, man darf sich da dem nicht ganz entziehen, das hat natürlich auch bei gewissen Gelegenheiten immer wieder ein gewisses Faszinosum, da ja die Monarchie genau in diesem Spannungsfeld sich verhält, aus enormer Nähe und enormer Distanz.

Zum einen sind die Monarchen eng am Start, sie sind das Oberhaupt des Staates, sehr entrückt, was ja bei großen Zeremonien immer wieder sich ausdrückt, bei Krönungen, aber auch bei Staatsempfängen. Zum anderen verfolgen wir von Geburt bis zum Tod, inzwischen auch über Scheidung und Patchworkfamilien, das Leben der Monarchen aus ganz, ganz großer Nähe. Und das ist eine Mischung aus Auratisierung und Alltäglichkeit, die eigentlich seit dem Beginn der modernen Öffentlichkeit im 18./19. Jahrhundert unser Verhältnis zur Monarchie immer mitbestimmt.

Scholl: Ist das auch so ein bisschen eine sozialpsychologische Kompensation für unser bürgerlich-banales Dasein, dass eine königliche Hoheit da doch noch existiert in dieser Form?

Biskup: Sicher auch, und insofern schließt es auch und hat seit dem 18. Jahrhundert immer wieder auch ganz eng an den Celebrity- und Starkult angeschlossen. Wie gesagt, wir verhandeln monarchische Leben nicht ganz anders als die Leben von anderen Stars und Celebrities. Und das ist ein Phänomen, was es auch schon im 19. Jahrhundert gab.

Scholl: Kaiser statt Köhler - die ungebrochene Faszination für Krönchen, Scherpen und dergleichen. Das war der Historiker Thomas Biskup. Danke für Ihren Besuch und das Gespräch!

Biskup: Vielen Dank!