Straubhaar: Zwei bis drei Prozent Lohnzuwachs verkraftbar

Moderation: Marie Sagenschneider |
Der Präsident des Hamburgischen Weltwirtschafts-Instituts, Thomas Straubhaar, rechnet mit einem Erfolg der Gewerkschaften bei den diesjährigen Tarifverhandlungen. Die Gewerkschaften seien in einer starken Position, da die Arbeitgeber keine geschlossene Front bildeten, sagte Straubhaar im Deutschlandradio Kultur.
Marie Sagenschneider: Die Wirtschaft ist wieder in Schwung gekommen. Die Arbeitslosenzahlen sinken, und in den beiden größten Industriezweigen Deutschlands steht eine für die Tarifrunde 2007 entscheidende Woche bevor. Der Vorstand der IG Metall wird nämlich verkünden, mit welchen Forderungen man in die Tarifverhandlungen gehen will, und am Donnerstag wollen die Tarifparteien der chemischen Industrie ihre zentralen Gespräche beginnen. Die Metaller werden wohl über 6 Prozent Lohnerhöhung verlangen, die chemische Industrie etwas bescheidener, 3 bis 4 Prozent - immer mit dem Verweis darauf, dass es beiden Branchen ziemlich gut geht. Die Arbeitgeber, ebenfalls in beiden Branchen, wollen allerdings deutlich unter 3 Prozent bleiben. Was ist angemessen? Darüber wollen wir nun hier im Deutschlandradio Kultur mit Thomas Straubhaar sprechen. Er ist der Präsident des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts. Guten Morgen Herr Straubhaar!

Thomas Straubhaar: Guten Morgen Frau Sagenschneider!

Sagenschneider: Wer hat Recht, die Arbeitgeber oder die Gewerkschaften?

Straubhaar: Ich denke, der entscheidende Punkt ist genau der, dass wir das nicht jetzt beide sozusagen am Radio am Montag Morgen festlegen können. Genauso wenig wie das eben Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretungen am Funktionärstisch weit weg vom einzelnen Betrieb für alle Betriebe und Regionen gleichermaßen fix festlegen können. Deshalb würde ich ja genau sagen, sollten die beiden sich bestenfalls erstens einigen für einen Sockel, der für alle gleichermaßen gelten soll. Und dann zweitens vereinbaren, dass in jedem Betrieb, entsprechend dem betrieblichen Ergebnis, das noch aufgestockt werden kann.

Sagenschneider: Und der Sockel soll dann wie hoch sein, relativ niedrig dann, wenn ich Sie richtig verstehe?

Straubhaar: Richtig. Dieser Sockel sollte irgendwo zwischen 2 und 3 Prozent maximal betragen und eben diesen Weg fortführen, den ja die Tarifparteien in den letzten Jahren sehr, sehr erfolgreich für die Beschäftigung in Deutschland insgesamt gegangen sind: Nämlich durch vergleichsweise moderate Lohnfortschritte eben nicht nur etwas zu tun für jene, die heute schon Arbeit haben, sondern vor allem für jene, die gerne wieder arbeiten möchte, und für die eben gerade moderate Lohnabschlüsse in der Fläche sehr hilfreich sind.

Sagenschneider: Andererseits sagen die Gewerkschaften hier natürlich, der Sockel ist das, was bleibt, also diese feste Lohnerhöhung dann, während das, was zusätzlich hinzukommt, wie zum Beispiel Einmalzahlungen, das kommt eben dann nur einmal dazu, da können wir uns nicht darauf verlassen, und verweisen dann natürlich auf diese geringe Lohnentwicklung, die wir in den letzten zehn Jahren in Deutschland durchaus hatten.

Straubhaar: Das ist beides völlig richtig festgestellt. Also erstens ist es genau so, dass eben, wenn der Sockel vergleichsweise bescheiden und mit einer Einmalzahlung dann in jedem Betrieb aufgestockt wird, dann eben dies bei schlechterem Konjunkturgang nicht weitergeführt wird. Das ist genau auch Sinn und Zweck dieses geteilten Verfahrens: dass eben, wenn wieder mal Zeiten in Deutschland konjunkturell auch schlechter werden sollten, dann vergleichsweise schneller reagiert werden kann.

Und eben nicht hohe Lohnforderungen genau in schlechten Zeiten dann die Wettbewerbsfähigkeit vor allem der deutschen Beschäftigten negativ beeinflussen. Und das Zweite, was Sie auch Recht haben, ist eben, dass hier diese Lohnzurückhaltung in den letzten Jahren stattgefunden hat. Aber noch einmal: Genau davon ernten wir in diesen letzten anderthalb Jahren die Früchte, weil das dazu geführt hat, dass die deutsche Industrie sehr wettbewerbsfähig ist, und jetzt beginnt auch der Beschäftigungsaufbau in Deutschland positiv zu wirken.

Sagenschneider: Nun klagt aber immer alles darüber, dass Deutschland zwar Exportweltmeister ist und dass wir jetzt auch den Aufschwung haben, aber dass der heimische Konsum nicht so richtig in die Gänge kommt. Wie soll er denn in die Gänge kommen, wenn die Lohnentwicklung so ist, wie sie ist?

Straubhaar: Es gibt dazu zwei Faktoren: Erstens, zur Binnennachfrage trägt nicht nur der Konsum bei, sondern genauso auch die Investitionen der Unternehmen. Also anders ausgedrückt: All das Geld, was die Unternehmen in Form von Lohn schon weggegeben haben, haben sie nicht mehr für Investitionen zur Verfügung.

Und das könnte rein mathematisch auch andersrum laufen, dass sie das Geld für Investitionen ausgeben und nicht für den Konsum. Und das Zweite, dass es beim Konsum nicht um die Lohnhöhe im Einzelfall geht, sondern es geht um die Lohnsumme im Allgemeinen, und diese Lohnsumme hängt eben auch davon ab, wie viele Menschen in Deutschland Arbeit haben. Und wenn wir das steigern können, dann wird auch der Konsum in Deutschland sich positiv entwickeln.

Sagenschneider: Andererseits sagt das Statistische Bundesamt - jetzt nehmen wir mal nicht die Gesamtsituation, sondern die Situation derer, die Arbeit haben - die Tariflöhne sind 2006 in geringerem Maße gestiegen als die Inflation. Das ist in anderen europäischen Ländern ja anders, und auch da geht es den Leuten ja beziehungsweise der Wirtschaft nicht schlecht. Also was läuft hier anders?

Straubhaar: In anderen Ländern müssen wir genau eben betrachten, wie es sich in der mittleren und längeren Frist verhält, und da sehen wir ganz eindeutig, dass in den letzten Jahren gerade dank der Lohnzurückhaltung die deutsche Industrie und die deutsche Wirtschaft wesentlich wettbewerbsfähiger geworden sind.

Und genau das hilft jetzt eben, entgegen dem Trend in anderen Ländern, in Deutschland die Beschäftigung vergleichsweise stark zu steigen, und ich denke, das ist genau das, was Deutschland braucht: Wir brauchen viel mehr Beschäftigung. Da ist noch viel zu machen, und wir sind noch nicht am Ende des Weges, der noch lang und eben mit Bescheidenheit weiter gegangen werden muss.

Sagenschneider: Welchen Stand, glauben Sie, Herr Straubhaar, werden die Arbeitgeber in diesen Tarifverhandlungen haben, also gerade weil die Gewerkschaften natürlich zurecht darauf verweisen können, dass es den beiden angesprochenen Branchen, gerade denen, der Metall und der Chemie, ja ziemlich gut geht?

Straubhaar: Ich denke in der Tat, dass hier in diesem Jahr bei den Verhandlungen die Gewerkschaften vergleichsweise eine wesentlich stärkere Position haben werden. Alleine schon deshalb, weil auf Arbeitgeberseite sozusagen die Fronten nicht so dicht geschlossen sein werden. Weil es geht in vielen Betrieben ja wirklich gut, und die werden selbst mit einem vergleichsweise höheren Durchschnitt in der Fläche leben können und sind nicht so schnell bereit, dies wegen 1 Prozent dann zu gefährden.

Und andererseits für viele andere ist es nicht existentiell in dem Sinne, dass sie gleich schließen müssten, sondern viele Betriebe haben auch gelernt, mit hohen Löhnen gut zu leben, indem sie Standorte verlagern, andere übertarifliche Dinge und Sonderzahlungen abgebaut haben, dass sie Maschinen statt Menschen eingesetzt haben. Und deshalb, denke ich, werden die Arbeitnehmervertretungen, die Gewerkschaften in diesem Jahr vergleichsweise erfolgreich sein.

Sagenschneider: Thomas Straubhaar, der Präsident des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur. Ich danke Ihnen!