Straßentheater

Die Welt zu Gast in Görlitz

Das aus Deutschland stammende Theater "Pikante" auf dem Festival Via Thea in Görlitz, Sachsen.
Das aus Deutschland stammende Theater "Pikante" auf dem Festival Via Thea in Görlitz, Sachsen. © dpa / picture alliance / Jens Trenkler
Von Wolfgang Schilling · 09.08.2014
Zum 20. Mal findet das Theaterfestival Via Thea in Görlitz statt. Die Altstadt verwandelt sich in eine Bühne, aus ganz Europa kommen die Gäste. Ohne Sponsoren und freiwillige Helfer wäre das nicht möglich.
Es ist nicht übertrieben: Was für Köln der Karneval und für München das Oktoberfest ist für Görlitz das Via Thea. Ein Straßentheaterfestival versetzt nicht nur die Stadt, sondern auch ihre Bewohner in einen Ausnahmezustand.
(Zwei Damen auf der Straße): "Ach, gucken Sie mal, ich krieg Gänsehaut. Susanne erzähl Du mal was. Es kommen so viele Künstler. Künstler aus der ganzen Welt. Das ist das Entscheidende. Top-Künstler, nur Top-Künstler und die Stadt lebt."
Zum Beispiel wenn die Stelzenläufer vom Theater Irrwisch aus Wien sich unter die Passanten mischen, ihnen Kameras, Eistüten oder gar Fahrräder abnehmen und damit in luftiger Höhe ihre Späße treiben. Für einen Salto rückwärts mit Zwei-Meter-Stelzen gibt’s dann Applaus von allen.
Inhaltlich hat Via Thea in den letzten Jahren einen neuen Kurs eingeschlagen. Statt Großproduktionen wie zum Beispiel vom Theater Titanick, bestimmen jetzt eher die kleinen und überraschenden Theaterattacken das Programm. Christiane Hoffmann, die das Festival vor 20 Jahren mitbegründet hat und bis heute organisiert, zu den Hintergründen dieser Entscheidung.
Geld allein ist kein Erfolgsgarant
"Opulenz und Größe kostet sehr viel Geld. Dauert eine Stunde und das war es dann. Wir haben aber ein Festival und das soll leben von den verschiedenen Genres, von Pantomime, Stelzen, Feuershow. Deswegen wird es auch keine Abschlussinszenierung geben, wo man sagt, da stürmen jetzt Tausende von Leuten hin. Es gibt mehrere Abschlussveranstaltungen und da sind für mich die Pyromantiker, die im Uferpark an der Neiße spielen, ein Höhepunkt. Aber zum Beispiel das Theater Irrwisch, das zur gleichen Zeit auftreten wird, ist verrücktes Straßentheater, bei dem es einem warm ums Herz wird und man sich entscheiden muss: wo geh ich jetzt hin, Pyromantiker oder Irrwisch."
Insgesamt treten 21 Truppen aus 15 Ländern auf. Im 20. Jahr konnte Christiane Hoffmann den Festival-Etat um gute zehn Prozent auf 133.000 Euro erhöhen. Doch Geld allein ist kein Erfolgsgarant.
"Man muss einfach auch die nennen, die Sachleistungen geben. Wir haben ein Budget, aber das würde noch viel größer sein, wenn da der Bäcker nicht den Kuchen für das Künstlercatering gibt oder die Getränke, die da kostenfrei geliefert werden. Also das ist ein Riesennetzwerk von Partnern aus Görlitz und der Region."
Zu dem auch die freiwilligen Helfer gehören. Die Französin Laure Tellet, ist schon seit Jahren als Künstlerbetreuerin dabei und erinnert sich an Zeiten, als die Neißebrücke, die Görlitz und Zgorcelez heute verbindet, noch eine echte EU-Außengrenze war.
"Ich hab ne Gruppe mal gehabt, die wollten unbedingt auf der Brücke auftreten. Und da war die Frage: Dürfen wir das, ist das erlaubt? Da hab ich gesagt, in eurer Freizeit macht ihr was ihr wollt. Und die waren total zufrieden und haben mitten auf der Brücke ihren Extraauftritt gemacht. Und da kamen auch Zuschauer, die gefragt haben: Aber das steht doch gar nicht im Programm? Nein, hab ich da gesagt, das sind Künstler und wenn die an der deutsch-polnischen Grenze sind, wollen die auch auf der deutsch-polnischen Brücke spielen."
Ein Straßentheaterfestival als Wirtschaftsfaktor
Heute sowieso kein Problem mehr. Inzwischen kommen nicht nur polnische Straßentheatertruppen nach Görlitz, sondern auch immer mehr Besucher über die offene Grenze aus Zgorcelez und Polen. Das sich Via Thea in die erste Reihe der europäischen Straßentheaterfestivals gespielt hat, merkt auch Gaetano Barbato. Beim Betreiber des Hotels Italia am Obermarkt klingelt das Telefon unablässig. Kein Wunder, hat er doch echte Logenplätze im Angebot.
"Wir haben gerade heute einen Anruf bekommen. Spontan, wir wollen kommen. Sage ich: Wissen Sie, es ist Via Thea heute und am Wochenende? Ja, deswegen wollen wir ja kommen. Wollen Sie nicht Sonntag oder Montag kommen? Nein, nein, wir wollen zu Via Thea. Das bringt es, Kultur muss ein. Nur so kommen wir nach vorne."
Ein Straßentheaterfestival als Wirtschaftsfaktor? Auf jeden Fall, meint Christiane Hoffmann, die diesen Trend nicht nur in Görlitz beobachtet hat.
"Diese Straßentheaterfestivals sind fast immer in kleinen Städten. Rastatt ist eine Stadt an der deutsch-französischen Grenze. Görlitz ist klein, Holzminden ist klein. Selbst Aurillac in Frankreich ist eine relativ kleine Stadt. Vielleicht ist das auch der Gedanke, dass es in so einer kleinen Stadt nicht so viel gibt, dass die Bürger sagen: Wir wollen das, wir brauchen das. Und ich denke, das trägt doch zum Gelingen bei."