Straßenschlachten und Reichenghettos

Von Wolfgang Martin Hamdorf · 15.08.2008
Das Festival des lateinamerikanischen Films in Lima hat sich zu einem der wichtigsten Treffen der Filmemacher des lateinamerikanischen Subkontinents entwickelt. Dieses Jahr ging das Festival in die zwölfte Runde und zeigte Filme, die die widersprüchliche Realität Lateinamerikas widerspiegeln: 92 Filme waren insgesamt zu sehen, als Gastland war Deutschland mit 15 Filmen dabei.
Das Schmackhafteste des lateinamerikanischen Films verspricht der Trailer des Festivals. Damit ist aber keine leichte Kost gemeint. Die Filme der überwiegend jungen Regisseure auf dem Festival in Lima spiegeln sehr unterschiedlich die widersprüchliche Realität des lateinamerikanischen Subkontinentes wider, Geschichten aus den weiten und urbanen Ballungsgebieten, Geschichten vom Abgrund zwischen Arm und Reich.

o schildert der mexikanisch spanische Eröffnungsfilm LA ZONA, Die Zone, von Rodrigó Pla die brutalen Reaktionen in einem abgeschirmten Reichenviertel nach dem Eindringen dreier Straßenjungen, von der Bürgerwehr zur Menschenjagd bis hin zur Lynchjustiz. Für die Drehbuchautorin Laura Santullo sind solche abgeschotteten Wohlstandsviertel, wie in Mexiko Stadt, ein weltweites Phänomen:

"Für uns ist die ZONE auch ein Metapher für die vielen Mauern, die im Moment errichtet werden, Mauern aus wirtschaftlichen oder auch politischen Gründen. Wenn wir über diese Mauern reden, dann reden wir auch über diese allgemeine menschliche Unfähigkeit, Konflikte zu lösen."

Das Leben der Reichen in abgeschirmten Wohlstandsghettos und die immer stärkeren Unterschiede zwischen Arm und Reich sind ein privilegiertes Thema im mexikanischen Film.

Nicht nur in Genrefilmen wie LA ZONA, sondern auch im gestalterisch sehr innovativen mexikanischen Autorenfilm. So beschreibt der mexikanische Regisseur Amat Escalante in seinem Film BASTARDOS, Bastarde, mit einem ganz eigenen Erzählrhythmus, langen Einstellungen und harten Schnitten den Alltag illeglaler mexikanischer Einwanderern in den USA.

BASTARDOS erzählt von einem brutalen Überfall, einen Auftragsmord an einer amerikanischen Frau, aber Regisseur Amat Escalante inszeniert seinen Film mit einer fast kalten Distanz gegen die herkömmlichen Vorgaben des Genrefilms.

"Ich glaube, dass der Umgang mit dem Tod in Lateinamerika und besonders in Mexiko viel offener ist als in den USA und vielleicht auch in Europa. Der Tod wird akzeptiert und ist im Alltag immer gegenwärtig. In den USA ist das nicht so, der Tod wird versteckt, bis der Druck sich wieder entlädt. Darin, dass irgendein Jugendlicher wieder 30 Menschen erschießt, dass wieder ein Krieg ausbricht, im Rassismus und im täglichen Hass."

Die Gewalt ist eine latente Grundstimmung vieler lateinamerikanischer Filme. So rekonstruiert die kolumbianisch-mexikanische Produktion SATANAS einen spektakulären Mordfall aus dem Jahr 1986, als ein ehemaliger kolumbianischer Söldner im Vietnam-Krieg in einem renommierten Restaurant in Bogotá ein Massaker anrichtete.

Für Regisseur Andrés Baiz spiegelt der Film auch eine generelle gewalttätige Grundstimmung in Kolumbien wieder:

"SATANAS ist ein sehr gewalttätiger Film über die menschliche Natur und wozu der Mensch fähig ist; allerdings geht es nicht um die üblichen kolumbianischen Themen wie Drogenmafia, Auftragskiller, Guerilla und Paramilitärs. Aber diese Grundstimmung ist immer gegenwärtig, und so werden in Kolumbien entweder Komödien gedreht oder gewalttätige Filme."

Aber abgesehen von den Filmen, die direkt die sichtbare Gewalt inszenieren, setzen sich andere lateinamerikanische Filme mit dem unspektakulären Alltag auseinander. Besonders in Argentinien, neben Mexiko das zweitwichtigste Land des lateinamerikanischen Films, sucht eine Generation junger Filmemacher die einfachen, die kleinen Geschichten.

Lisandro Alonso inszeniert in seinem vierten Film LIVERPOOL mit Laienschauspielern die kurze Heimkehr eines Matrosen in sein Dorf im extremen Süden Argentiniens, die Wiederbegegnung, die Wortlosigkeit und den Abschied, spröde, wortkarg, aber mit einer beeindruckenden Authentizität. Für Lisandro Alonso ist der neue argentinische Film ganz eng mit der Krise des Landes verbunden:

"Was das "Neue argentinische Kino” ausmachte, waren diese kleinen und so wenig hochtrabenden Alltagsgeschichten aus einem Land, das von der schwersten Wirtschaftskrise seiner Geschichte heimgesucht wurde. Man ging auf die Straße und filmte diese Geschichten, als hätte hier der italienische Neorealismus Pate gestanden. Es war eine neue Art Filme zu machen, mit Laienschauspielern an originalen Schauplätzen. Aber mittlerweile ist das wieder rückläufig, und der argentinische Film wird wieder zunehmend konventioneller."

Andere Filmemacher wollen stärker politische Inhalte. So setzt sich Regisseur Esteban Schroeder aus Uruguay in MATAR A TODOS (Alle umbringen!), mit den vertuschten Verbrechen der Militärdiktaturen in Chile, Uruguay und Argentinien auseinander. In dem spannend inszenierten Politthriller mit starken Anleihen bei Costa-Gavras stößt eine Anwältin auf eine Kette von Verbrechen aus der Zeit der südamerikanischen Militärdiktaturen; in den Pakt des Schweigens ist auch ihr eigener Vater, ein einflussreicher General, involviert. Für Esteban Schroeder ist die politische Aufarbeitung der Vergangenheit, die Bewahrung der kollektiven Erinnerung eine wichtige Aufgabe des lateinamerikanischen Films.

"Ich glaube, es wird Zeit, eine ganz wichtige Tradition des lateinamerikanischen Films wiederaufzunehmen: Die Fähigkeit einem großen Publikum politische und historische Zusammenhänge unterhaltsam und künstlerisch zu vermitteln. Ich glaube an die soziale Verantwortung des Künstlers und dass das Kino uns hilft, uns unserer Identität bewusst zu werden."

Als exotischen Kontrapunkt zum lateinamerikanischen Film konnte das Publikum das Filmland Deutschland kennenlernen. Das Goethe Institut in Lima stellte 15 neuere Filme von Christian Wagner über Hans Christian Schmid bis hin zu Fatih Akin vor und zeigte damit ein breites Panorama eines Landes, dass in Peru immer noch fast ausschließlich mit dem Namen Rainer-Werner Fassbinder verbunden wird.