Straßenkämpfer, Turnschuhpolitiker, Außenminister

Moderation: Vladimir Balzer |
Stefan Lamby hat Joschka Fischer in diesem Jahr begleitet und daraus einen Dokumentarfilm gemacht. Er habe Deutschland als Außenminister verändert, sagte Lamby gegenüber Deutschlandradio Kultur. Umgekehrt hätten die Deutschen sich selbst dafür geliebt, dass sie einen ehemaligen Taxifahrer zum Außenminister bekamen.
Balzer: Jetzt ist er frei, zumindest hofft er das: Joschka Fischer, sieben Jahre deutscher Außenminister. Er will nicht mehr an die Spitze seiner Partei und auch nicht an die der Fraktion. Er zieht sich zurück. In der Fraktion erklärte er es damit, dass er vor 20 Jahren, als er Minister in Hessen wurde, seine Freiheit gegen Macht eingetauscht habe. Nun wolle er diese Freiheit wiederhaben. Joschka Fischer, der Machtmensch, der die vorgezogenen Wahlen nicht wollte, der 68er, der das rot-grüne Projekt geprägt hat wie kein anderer. Zieht er sich jetzt ganz zurück, wird er sich damit abfinden, einfacher Abgeordneter zu sein? Auf jeden Fall, seine Entscheidung ist ein Einschnitt. Straßenkämpfer, Turnschuhminister, Außenminister - und jetzt? Erst einmal Fragen an einen, der ihn kennen gelernt hat: Stefan Lamby. Er hat Fischer lange begleitet und daraus einen Dokumentarfilm gemacht. Stefan Lamby, guten Morgen!

Lamby: Guten Morgen, Herr Balzer!

Balzer: Herr Lamby, jetzt wird ja ernsthaft über ein politisches Bündnis nachgedacht, das man sich vor kurzem nun wirklich nicht hätte vorstellen können: Ein Bündnis aus Union, FDP und Grünen. Bekannt inzwischen unter dem schönen Namen Jamaika-Koalition. Ist das eigentlich Joschka Fischers Verdienst, dass er seine Partei so weit gebracht hat in all den Jahren?

Lamby: Ja. Und gleichzeitig muss ich sagen, ich kann es mir immer noch nicht vorstellen, dass es dazu kommt. Aber wenn Sie fragen, ist das Joschka Fischers Verdienst: Es ist sein Verdienst.

Balzer: Und wie hat er das geschafft?

Lamby: Ich glaube er hat die Grünen, man muss es so hart sagen, in einer bestimmten Phase ideologisch entkernt. Gleich 1998, als er Außenminister wurde, hat er, ich erinnere daran, die Bundeswehr in den Kosovo-Krieg geführt. Er war frisch gebackener Außenminister, gegen den Widerstand seiner Partei. Er hat die Partei auf seine Linie gebracht, auch damit gedroht, die gerade neu entstandene Regierung Rot-Grün platzen zu lassen, wenn die Grünen nicht mitmachen. Sie haben mitgemacht und es ist ihm sogar gelungen, den Grünen ein gutes Gewissen zu verleihen, weil er auf das Argument "nie wieder Krieg, nie wieder Auschwitz" verwiesen hat. Seit dieser Zeit sind Kriege in Deutschland auch wieder - also mit Beteiligung der Bundeswehr - gesellschaftsfähig geworden, sogar auch auf der ehemals linken Seite. Also er hat ihnen ein bisschen das Rückgrad gebrochen in der Zeit.

Balzer: Das Rückgrad gebrochen, das heißt, die Seele der Grünen ist verkauft?

Lamby: Sie ist damals auf den Markt getragen worden. Und davon werden natürlich auch andere Außenpolitiker nach ihm profitieren, die immer darauf verweisen können - auch ehemals linke Teile der deutschen Gesellschaft haben damals für diesen Krieg gestimmt. Also er hat da den Weg geebnet.

Balzer: Man sagt ja immer, das rot-grüne Projekt war auch, ja eine Sache der 68er. Wenn man so will, dass die 68er durch die Institutionen marschiert sind und dann an der Regierung gelandet sind. Ist jetzt eigentlich, nachdem Rot-Grün jetzt nun tatsächlich beendet ist, das ist ja nun sicher, auch das Projekt '68 beendet? Oder war es damals schon mit diesem Einstieg in den Kosovo-Krieg beendet?

Lamby: Ich glaub, das Projekt '68 ist '98 eben mit der Entscheidung für den Krieg, beziehungsweise mit Beginn des Jahres '99 beendet worden. Die 68er haben da die Hegemonie aufgeben müssen. Seitdem hat sich auch diesbezüglich nicht mehr viel getan.

Balzer: Das heißt, die Grünen sind keine 68er-Partei mehr?

Lamby: Weite Teile der Grünen. Und ich habe mir lange die Frage gestellt, als wir an diesem Dokumentarfilm gearbeitet haben: Kann man Joschka Fischer überhaupt als 68er noch bezeichnen? Keine Frage, er war es einmal, ein sehr prominenter sogar, obwohl er nicht zum akademischen Teil der 68er gehörte. Aber ihn heute noch als 68er zu bezeichnen, ich glaube, das passt nicht mehr.

Balzer: Stefan Lamby, jetzt haben wir über die Partei, über die Grünen geredet. Lassen Sie uns über die ganze Gesellschaft reden, über Deutschland. Wie hat eigentlich Joschka Fischer, der Außenminister, der Politiker, auch zurückgedacht, der Straßenkämpfer, Deutschland verändert?

Lamby: Wie viel Sendezeit haben wir? Also, er hat Deutschland als Außenminister verändert, das habe ich gerade gesagt. Er hat seine Partei, die Grünen verändert, die ja, ich erinnere daran, aus der Friedensbewegung entstanden sind oder zumindest in starken Teilen aus der Friedensbewegung. Er hat allerdings auch etwas in die Politik eingeführt, was bis dahin - zumindest in der Regierungspolitik - relativ neu war: Nämlich er hat einen Charme in die Politik gebracht, er hat Witz in die Politik eingeführt, ohne die Albernheiten, die man beispielsweise bei Guido Westerwelle beim Wahlkampf 2002 erleben musste. Also, Fischer ist ein Original, egal wie man zu ihm steht. Und seine Art, Politik zu denken und zu betreiben, hat die Politik und hat ein wenig auch Deutschland verändert.

Balzer: Charme und Witz - haben das andere Berufspolitiker nicht?

Lamby: Nicht in dem Maße. Also Fischer ist da schon ein Urgestein, so wie wir sie in der deutschen Nachkriegsgeschichte ganz, ganz wenige hatten. Und da wird natürlich den Grünen etwas verloren gehen und auf mittlere Sicht auch der deutschen Politik insgesamt.

Balzer: Also eine kulturelle Veränderung mehr als eine tatsächlich faktisch-politische Änderung?

Lamby: Die faktisch-politische hat stattgefunden, darauf habe ich eben verwiesen. Im Übrigen, man muss Fischer natürlich auch zu Gute halten: Er hat ja nicht nur die Beteiligung der Bundeswehr an Kriegen gesellschaftsfähig gemacht, er hat ja auch, gemeinsam mit Schröder, den USA in einer ganz, ganz entscheidenden Phase die Stirn geboten. Das hat die Grünen auch mit ihrem Außenminister wieder versöhnt. Ich bin mir nicht sicher, ob andere Außenpolitiker in anderen Regierungskonstellationen dazu in der Lage gewesen wären. Also fällt das Urteil über die, über die faktische Politik von Fischer mindestens zwiespältig aus.

Balzer: Wir haben schon am Anfang drüber gesprochen, dass er die Grünen dahin bewegt hat, dass sie eventuell mit der Union paktieren könnten. Heißt das auch, dass die Konservativen, die ihn ja auf jeden Fall als Straßenkämpfer und auch später noch immer auch bekämpft haben, ihn inzwischen akzeptiert haben?

Lamby: Die mussten ihn zwangsläufig akzeptieren. Nicht weil sie es wollten, sondern weil sie gemerkt haben, dass sie mit ihren Kampagnen - und ich bin fest davon überzeugt, dass es im Jahr 2001, bei der so genannten Steinewerf- Affäre seitens der CDU eine Kampagne gegen ihn gegeben hat. Die haben einfach gemerkt, dass sie ihm damit nicht schaden, sondern im Gegenteil eher nutzen. Also die Popularitätswerte von Fischer sind in dieser Phase sogar noch angestiegen. Warum hätten sie also diese Kampagne gegen ihn weitermachen sollen? Also sie waren nicht überzeugt von dem politischen Gegner Fischer, sondern sie sind gescheitert letztlich an seiner Popularität.

Balzer: Was hat ihn so populär eigentlich gemacht? War es genau dieses Leben voller Brüche?

Lamby: Das Leben voller Brüche - es ist ein Politiker mit einer Geschichte, das ist schon mal ganz wesentlich. Viele andere Politiker haben keine Geschichte. Schauen Sie sich Edmund Stoiber an. Der wollte glaube ich immer dahin, wo er jetzt ist. Bei Fischer ist das ganz anders. Und er hat auch die Gesellschaft infrage gestellt. Also er ist, - verkörpert wenn Sie so wollen, die deutsche Version des amerikanischen Traums: vom Taxifahrer zum Außenminister. Eine wirklich einzigartige Geschichte. Und er hat die deutsche Gesellschaft, die deutsche Politik infrage gestellt, um dann ein einhundertfünfzigprozentiger Bürger zu werden. Das haben die Deutschen geliebt. Sie haben sich selbst dafür geliebt, dass sie einen solchen ehemaligen Taxifahrer, Straßenkämpfer, zum Außenminister bekamen.

Balzer: Und das ging auch über die politischen Grenzen hinweg meinen Sie?

Lamby: Das ging eindeutig darüber hinweg. Über Helmut Schmidt hat man in den siebziger Jahren häufiger gesagt der richtige Politiker in der falschen Partei. Ich glaube, viele haben so auch über Joschka Fischer gedacht.

Balzer: Nun haben wir darüber geredet, Stefan Lamby, der Sie einen Dokumentarfilm über ihn gedreht haben, über Joschka Fischer, wie er das Land verändert hat. Wie hat ihn eigentlich das Land verändert?

Lamby: Wie hat ihn die Welt verändert? Also ich habe eben ja relativ hart über ihn als Außenpolitiker im Zusammenhang mit der Kosovo-Krise geurteilt. Man muss fairerweise sagen, er hat sich diese Krisen ja auch nicht ausgesucht. Trotzdem, ein Außenminister muss sich eben diesen Situationen stellen. Was ist in den letzten sieben Jahren, seit er Regierungsmacht hat auf Bundesebene, passiert? Es gab Entscheidung für zwei Kriege, es gab die Entscheidung gegen einen Krieg. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ein deutscher Außenpolitiker diese Situation in dieser Kompaktheit meistern musste. Und er hat sich in dieser Zeit natürlich von einem ehemals friedensbewegten zu einem kriegsbereiten Politiker gewandelt, das muss man feststellen.

Balzer: Ein Stück Realismus?

Lamby: Ja, aber gnadenloser Realismus.

Balzer: Es gibt ja sicherlich auch eine, sagen wir mal, ganz ästhetische Veränderung. Wir erinnern uns noch vielleicht: 1985 trat er mit Turnschuhen an, jetzt sind seine Schuhe längst lederbesohlt und handgenäht.

Lamby: Das ist das Besondere: In beiden Rollen ist er glaubwürdig. Und das ist auch das, was man an ihm durchaus schätzen kann, also diese Verwandlungsfähigkeit ohne Aufgabe seiner Glaubwürdigkeit. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass es dergleichen in der Politik gegeben hätte, zumindest in den letzten Jahren nicht. Also ein Politiker, der so häufig seine Rollen verändert und in jeder Rolle glaubwürdig ist - schauen Sie sich an, wie er im Wahlkampf auftritt, schauen Sie sich an, wie er bei Parteitagen der Grünen auftritt, schauen Sie sich an, wie er auftritt, wenn er in Washington ist, bei Condoleezza Rice oder früher bei Madeleine Albright. Sämtlich andere Rollen, in jeder Rolle glaubwürdig.

Balzer: Aber sicher ist auf jeden Fall, dass er gegenüber Journalisten mit einer legendären Arroganz auftritt. Wie haben Sie es eigentlich geschafft, ihm nahe zu kommen in Ihrem Dokumentarfilm?

Lamby: Also wir hatten vor zweieinhalb Jahren versucht, nach dem unerwarteten Wahlerfolg 2002, sein Vertrauen für dieses Projekt zu gewinnen. Und er war dagegen. Im Jahr 2005 hatte sich seine Welt doch reichlich geändert, insbesondere im Zuge der so genannten Visa-Affäre. Ich glaube, er war da schon in der Phase, Resümee zu ziehen, auch zurückzublicken und nicht mehr so weit nach vorne, wie es im Jahr 2002 der Fall war. Er hat ja auch in dieser Phase ein Buch geschrieben, er hat sich also mit ganz anderen Fragestellungen beschäftigt. Und ich glaube, da passte es ganz gut, sich auch unseren Fragen zu stellen.

Balzer: Hat er Sie überrascht?

Lamby: Er hat mich insofern überrascht, als er sich mir gegenüber gar nicht arrogant verhalten hat. Also das, was Sie eben zitieren, diese Arroganz Journalisten gegenüber, das höre ich an allen Ecken und Kanten von Kollegen, und da ist mit Sicherheit auch was dran. Mir gegenüber war er freundlich, war witzig, war auch kooperativ. Allerdings, er schätzt es nicht besonders, sich von einer Kamera begleiten zu lassen. Er spricht in fast jedes Mikrofon rein aber das sind Situationen, die er kontrollieren kann, aber das er beobachtet wird von einer Kamera, die Situation ist ihm unbehaglich. Und ich glaube, das unterscheidet ihn unter anderem ganz wesentlich von Gerhard Schröder.

Balzer: Noch eine letzte Frage, Stefan Lamby. Lassen Sie uns kurz spekulieren, wo sehen wir Joschka Fischer wieder? In Brüssel? In New York? Auf Schloss Bellevue?

Lamby: Schloss Bellevue als Gast bei Empfängen?

Balzer: Nein, als Bundespräsident vielleicht?

Lamby: Sie scherzen, Herr Balzer. In Brüssel, dafür bräuchte er eine Lobby, die geht ihm im Moment abhanden, wenn ich das richtig beurteile. Wir sehen ihn sicher häufiger an Seite seiner Freundin. Aber ich glaube, diese Phase wird nicht allzu lange dauern. Also Fischer ist so durch und durch Politiker, ich kann mir nicht vorstellen, dass er sich jetzt, mit 57, 58 Jahren aufs Altenteil zurückzieht. Also er ist mit Sicherheit für Überraschungen gut. Und eines fernen Tages wird er genauso wie er jetzt seinen Rückzug angekündigt hat, möglicherweise auch wieder sein Comeback ankündigen.

Balzer: Stefan Lamby, der einen Dokumentarfilm über den deutschen Außenminister Joschka Fischer gedreht hat. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!

Lamby: Danke auch!